Rote Karten für Spielmacher Blatter und Platini
Dass der Ball wund ist, daran bestanden schon seit geraumer Zeit keine Zweifel mehr. Wann immer in den vergangenen Jahren von der mächtigen FIFA die Rede war, dann meist in Zusammenhang mit Begriffen und Attributen, die nicht unbedingt zum klassischen Fußballerlatein gehören. Von Betrug und Bestechung war da oft zu hören, von Korruption und Küngeleien, von krimineller Energie und unlauteren Machenschaften.
Nach jedem frischen Verdacht, nach jeder weiteren Verhaftung eines hochrangigen FIFA-Mitglieds war in der Verbandszentrale in Zürich aufs Neue versucht worden, dies als traurige Einzelfälle abzutun. Als schwarze Schäflein in der großen blütenweißen Herde des ballmächtigen Oberhirten Joseph S. Blatter.
Was passiert jetzt bei der FIFA?
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Suspendierung
Mittlerweile weiß man: Die Fehltritte hatten durchaus System. Und die Geschichte von den verirrten schwarzen Schäfchen ist schlicht ein Märchen. Nicht anders sind die jüngsten Entscheidungen der FIFA-Ethikkommission zu verstehen, die am Donnerstag Joseph S.Blatter und Michel Platini provisorisch für 90 Tage sperrten, und den koreanischen Präsidentschafts-Kandidaten Chung Mong Joon überhaupt gleich für sechs Jahre aus dem Verkehr zogen.
Nur zur Verdeutlichung: Damit hat ein Gremium des Weltverbandes sowohl dem Präsidenten der FIFA (Blatter) als auch jenem der UEFA (Platini) die rote Karte gezeigt. Und wer weiß, mit welchen Samthandschuhen in der Vergangenheit die Spielmacher der mächtigen Verbände angefasst worden sind, dem muss spätestens jetzt klar werden, dass im Schattenreich der Fußball-Funktionäre so einiges im Argen liegt. Zumal mit FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke auch noch Blatters rechte Hand für drei Monate suspendiert wurde.
Supergau
Damit sind die Top-Funktionäre des Fußballs vorerst von allen offiziellen Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene ausgeschlossen, erklärte der deutsche Richter Hans-Joachim Eckert, der den Vorsitz über die Ethikkommission inne hat.
Eine offizielle Begründung für die Suspendierung wurde vorerst nicht bekannt gegeben. Die Sanktionen dürften aber in engem Zusammenhang mit einem Strafverfahren stehen, das die Schweizer Generalanwaltschaft kürzlich gegen Blatter eingeleitet hat. Hintergrund ist eine fragwürdige Zwei-Millionen-Franken-Zahlung von ihm an Platini.
Joseph S. Blatter wird nun also von seiner Vergangenheit eingeholt. Seit vier Jahrzehnten hat der Schweizer die Geschicke des Weltverbandes geführt, erst als Generalsekretär, ab 1998 als Präsident. Noch bis vor wenigen Monaten galt der 79-Jährige als echter Teflon-Präsident: keine Affäre, kein Skandal, nichts schien an ihm haften zu bleiben.
Jetzt dürfte das Spiel für ihn und seinen langjährigen Zögling Platini endgültig aus sein. "Haut ab ... und kommt nie wieder", titelte der englische Daily Mail und traf damit die allgemeine Stimmungslage auf den Punkt. Niemand dürfte den Big Bossen eine Träne nachweinen. "Eine Zukunft kann nur ohne Blatter gestaltet werden. Das ist der Super-GAU", sagt Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußballbundes.
Platini wehrt sich
Blatter selbst gibt sich allerdings weiter kämpferisch. Gegen die Suspendierung werde er zwar keinen Einspruch legen, seine Nachfolge wolle er aber sehr wohl noch selbst beim FIFA-Kongress am 26. Februar regeln.
So langsam scheinen der FIFA die Kandidaten auszugehen. Der Südkoreaner Chung Mong Joon, der sich bewerben wollte, wurde nach Verstößen gegen den FIFA-Ethikcode für sechs Jahre gesperrt. Und ob Michel Platini nach all den Vorwürfen als Präsident noch tragbar wäre, scheint mehr als unwahrscheinlich. Der Franzose ist jedenfalls kampfeslustig: „Ich weise alle Anschuldigungen, die bloßer Anschein und erstaunlich vage sind, gegen mich zurück. Ich weigere mich, zu glauben, dass dies eine hastige politische Entscheidung ist, die getroffen wurde, um einen lebenslangen Anhänger dieses Spiels zu beflecken oder meine Kandidatur als FIFA-Präsident zu zerstören.“ Das UEFA-Exekutivkomitee stärkte Platini den Rücken und will Berufung gegen seine Sperre einlegen.
Runderneuerung
Dass nach diesem großen Erdbeben jetzt Ruhe einkehrt, damit kann nicht gerechnet werden. Denn nachdem jetzt sogar Überlebenskünstler Joseph S. Blatter vom Thron gestürzt ist, wird auf die FIFA so einiges zukommen. Von immensen Schadensersatzforderungen ist da die Rede, nach all dem, was inzwischen ans Licht gekommen ist, scheint auch nicht mehr sicher, ob die umstrittene WM 2022 tatsächlich in Katar gespielt wird.
Was die FIFA mittelfristig braucht ist eine Runderneuerung. Eine Revolution, die, da sind sich die Experten einig, nur von außen gestartet werden kann. Vorerst übernimmt beim Weltverband Issa Hayatou das Amt von Joseph S. Blatter. Der Kameruner zog sich 2011 einen Tadel der Ethikkommission zu, nachdem er Zahlungen der früheren FIFA-Marketingagentur bestätigt hatte.
Am Ende bleibt nur ein Statement des Schweizers. „Wichtiger als alles andere ist mir, dass der Fußball der Gewinner ist, wenn all dies vorüber ist“, hatte Blatter vor wenigen Wochen gemeint.
20. Oktober 2010: Die FIFA-Exekutivmitglieder Reynald Temarii (Tahiti) und Amos Adamu (Nigeria) werden wegen Korruptionsverdachts suspendiert. Sie sollen bereit gewesen sein, ihre Stimmen bei der WM-Vergabe 2018 und 2022 zu verkaufen.
18. November 2010: Sechs FIFA-Funktionäre werden mit Strafen belegt. „Alle Zweifel sind ausgeräumt“, sagt FIFA-Chef Joseph Blatter.
29. November 2010: Neue Bestechungsvorwürfe gegen drei weitere Exekutivmitglieder: Ricardo Teixeira (Brasilien), Nicolás Leoz (Paraguay) und Issa Hayatou (Kamerun).
2. Dezember 2010: Die FIFA vergibt die Weltmeisterschaften an Russland und Katar.
6. Dezember 2010: FIFA-Vize Julio Grondona (Argentinien) soll etwa 59 Millionen Euro aus Katar erhalten haben.
10. Mai 2011: Der frühere englische Verbandschef David Triesman beschuldigt Teixeira, Leoz, Vize Jack Warner (Trinidad und Tobago) und Worawi Mukudi (Thailand), unlautere Forderungen vor den WM-Vergaben gestellt zu haben.
20. Juni 2011: Warner tritt von all seinen Ämtern im Fußball zurück.
21. Oktober 2011: Nach heftigen Korruptionsvorwürfen setzt die FIFA auf die Hilfe externer Experten und gründet diverse Arbeitsgruppen.
17. Juli 2012: Der frühere US-Staatsanwalt Michael Garcia wird zum Vorsitzenden der FIFA-Ethikkommission ernannt, der Münchner Richter Hans-Joachim Eckert steht der rechtsprechenden Kammer vor.
22. November 2013: Blatter unterstellt Deutschland und Frankreich, bei der WM-Vergabe an Katar wegen wirtschaftlicher Interessen politischen Druck auf FIFA-Entscheidungsträger ausgeübt zu haben.
1. Juni 2014: Laut Sunday Times soll der katarische Ex-Funktionär Mohammed bin Hammam fünf Millionen Dollar an Offizielle gezahlt haben, um sich deren Unterstützung für Katars Bewerbung zu sichern.
13. Juni 2014: Franz Beckenbauer wird von der FIFA für 90 Tage für jegliche Tätigkeit im Fußball gesperrt. Beckenbauer habe nicht mit der Ethikkommission kooperiert, sagt der Weltverband zur Begründung.
5. September 2014: Garcia legt seinen Untersuchungsbericht bei der FIFA vor und spricht sich für eine Veröffentlichung aus.
17. Oktober 2014: Der Bericht wird nach einer Entscheidung der FIFA nicht komplett veröffentlicht.
13. November 2014: Eckert legt einen weiteren Bericht vor, in dem Russland und Katar keine gravierenden Verstöße bei den Bewerbungen nachgewiesen werden. Garcia legt Einspruch ein.
16. Dezember 2014: Die FIFA weist Garcias Einspruch als „unzulässig“ zurück. Garcia erklärt daraufhin seinen Rücktritt.
27. Mai 2015: Kurz vor Blatters geplanter Wiederwahl nimmt die Schweizer Polizei mehrere hochrangige Funktionäre fest. Dazu gehören die FIFA-Vizepräsidenten Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo sowie Ex-Vize Jack Warner. Die USA ermitteln gegen 14 ehemalige Spitzenfunktionäre und Geschäftsleute.
29. Mai 2015: Blatter sieht einen Zusammenhang zwischen den Festnahmen und dem Wahlkongress. Er wird wiedergewählt.
2. Juni 2015: Blatter kündigt seinen Rücktritt an der Spitze des Fußball-Weltverbandes an.
2. Juli 2015: Die US-Behörden ersuchen die Schweiz um die Auslieferung von sieben im Mai festgenommenen Fußball-Funktionären.
17. September 2015: Generalsekretär Jérôme Valcke, Blatters engster Vertrauter, wird vom Weltverband „mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres von all seinen Aufgaben entbunden“. Nach in Medien erhobenen Vorwürfen der persönlichen Bereicherung leitet der Weltverband eine „formelle Untersuchung durch die FIFA-Ethikkommission“ ein.
25. September 2015: Die Bundesanwaltschaft in der Schweiz eröffnet ein Strafverfahren gegen Blatter.
2. Oktober 2015: Die Sponsoren Coca-Cola, McDonald's, VISA und Anheuer-Busch fordern im Gegensatz zu Adidas den sofortigen Rücktritt von Blatter. Der lässt über seine Anwälte erklären: Er bleibe im Amt.
7. Oktober 2015: Die Untersuchungskammer der FIFA-Ethikkommission fordert nach Angaben des Beraters von Blatter eine 90-tägige Freistellung des Präsidenten. Eine Entscheidung der rechtsprechenden Kammer stehe allerdings noch aus, sagte Klaus J. Stöhlker.
8. Oktober 2014: Die FIFA-Ethikkommission sperrt Blatter und UEFA-Chef Michel Platini vorläufig für jeweils 90 Tage. Zudem wurde Valcke ebenfalls suspendiert, teilte die Ethik-Kammer mit.
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