Strafverfahren: FIFA-Chef Blatter drohen fünf Jahre Haft

Die Schweizer Bundesanwaltschaft prüft Vorwürfe der Veruntreuung.

Mit Spannung wurde der Auftritt von Joseph Blatter erwartet. Doch dann geht es an der FIFA-Zentrale Schlag auf Schlag. Die Staatsanwaltschaft eröffnet ein Strafverfahren gegen Blatter. Auch Michel Platini spielt eine Rolle.

Die Ära Joseph Blatter steht vor dem jähen Ende, die skandalerprobte FIFA versinkt nach ihrer schwärzesten Stunde im absoluten Chaos. Die Schweizer Behörden eröffneten ein Strafverfahren gegen den vermeintlich unangreifbaren FIFA-Präsidenten und untersuchen auch einen fragwürdigen Deal mit UEFA-Chef Michel Platini. Blatter muss sich seit Freitag „wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung“ und Veruntreuung verantworten. Zum Vorwurf der ungetreuen Geschäftsführung heißt es im Schweizer Strafgesetzbuch unter anderem: „Wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmäßig zu bereichern, die ihm durch das Gesetz, einen behördlichen Auftrag oder ein Rechtsgeschäft eingeräumte Ermächtigung, jemanden zu vertreten, missbraucht und dadurch den Vertretenen am Vermögen schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.“

Sollte der 79 Jahre alte Schweizer wie zu erwarten suspendiert werden, steht der Fußball-Weltverband mit dem neuerlichen Tiefpunkt im Korruptionsskandal vor der Führungslosigkeit. Nach einer Sitzung des FIFA-Exekutivkomitees wurde Blatter noch am Verbandssitz von Vertretern der Schweizer Bundesanwaltschaft „als Beschuldigter“ vernommen.

Mit Unterstützung der Bundeskriminalpolizei durchsuchten die Ermittler die FIFA-Zentrale und das Büro von Blatter, dabei wurden Daten sichergestellt. Platini, Präsident der Europäischen Fußball-Union, wurde zudem „als Auskunftsperson“ befragt.

Auch Platini im Fokus

Blatter soll im Februar 2011 eine „treuwidrige Zahlung“ von zwei Millionen Schweizer Franken an seinen früheren Intimus Platini geleistet haben. Dabei sei es um geleistete Dienste zwischen Januar 1999 und Juni 2002 gegangen. Platini hatte Blatter bei dessen Wiederwahl als FIFA-Chef im Mai 2002 unterstützt. „Wir werden keine weiteren Kommentare abgeben, da es eine laufende Ermittlung ist“, teilte die FIFA mit.

Es bestehe zudem der Verdacht, dass Blatter im September 2005 mit der Karibischen Fußball-Union und deren Präsident Jack Warner einen für die FIFA ungünstigen Vertrag abgeschlossen habe, teilte die Schweizer Bundesanwaltschaft mit. Das Schweizer Fernsehen hatte Anfang September berichtet, dass Blatter die Übertragungsrechte für die WM in Südafrika für 250 000 Dollar, die für die WM in Brasilien für 350 000 Dollar veräußert haben soll. Warner soll demnach die TV-Übertragungsrechte zwei Jahre später nach Schätzungen in Medien für 15 bis 20 Millionen Dollar wieder weiterverkauft haben.

An einem denkwürdigen Freitag auf dem Zürichberg ließ Blatter nach der Sitzung des FIFA-Exekutivkomitees zunächst seinen mit Spannung erwarteten Auftritt vor der Weltpresse in letzter Sekunde platzen.

Die abgesagte Pressekonferenz

Die 15 Kamerateams und zahlreichen Journalisten mussten den Bereich vor der Eingangstür kurz vor 14 Uhr verlassen, 150 Minuten danach klärte die Schweizer Bundesanwaltschaft die mysteriöse Situation auf. „Für den Präsidenten der FIFA, Joseph Blatter, gilt wie für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung“, teilte die Behörde mit.
Dennoch müsste Blatter von der Ethikkommission suspendiert werden, dann würde der ebenfalls skandalumwitterte Vize Issa Hayatou aus Kamerun vorerst die Geschäfte übernehmen. Eigentlich wollte Blatter erst Ende Februar abdanken.

Vor einer Woche war der langjährige Blatter-Vertraute Jérôme Valcke als FIFA-Generalsekretär suspendiert worden. Der Franzose wurde nach „einer Reihe von Vorwürfen“ von der FIFA vorläufig seines Amtes enthoben. Gegen den Franzosen sind Korruptionsanschuldigungen im Zusammenhang mit der Vergabe von Ticket-Kontingenten laut geworden, er wies diese zurück. Nach einer Hängepartie gewährte die FIFA am Donnerstag der Staatsanwaltschaft der Schweiz Einblick in den Mailverkehr von Valcke.

"Es gilt die Unschuldsvermutung"

Dieser sei beim Treffen der FIFA-Regierung aber „nur ganz kurz ein Thema“ gewesen, berichtete der Chef des Deutschen Fußball-Bundes am Freitag nach der zweitägigen Sitzung am FIFA-Sitz in Zürich. „Das muss man verstehen, es stehen die Anschuldigungen im Raum und auf der anderen Seite das klare Statement, dass diese Anschuldigungen falsch sind. Es gilt die Unschuldsvermutung, es ist ein laufendes Verfahren“, sagte DFB-Chef Wolfgang Niersbach.

Valcke hatte bereits neben Blatter gefehlt, als dieser sich zuletzt vor gut zwei Monaten den Medien gestellt hatte und von einem Komiker mit Dollarnoten beworfen worden war. Nun kam es erst gar nicht zu einem weiteren Blatter-Auftritt.

Stattdessen verschickte der angeschlagene Fußball-Weltverband zunächst lediglich eine Mitteilung mit Ergebnissen des zweitägigen Treffens der FIFA-Regierung. Die Resultate sind äußerst dünn: Der Beginn der umstrittenen WM in Katar wurde auf den 21. November 2022, einen Montag, terminiert. Damit dauert das Weltturnier wie erwartet nur 28 Tage.

Warten auf die Transparenz-Reform

Ansonsten blieb die Exekutive viele Antworten schuldig: Die geforderte Transparenz-Reform für die Arbeit der FIFA-Ethikhüter lässt weiter auf sich warten. Den Antrag der unabhängigen Ethikkommission, die Öffentlichkeit über laufende Verfahren informieren zu dürfen, begrüßte das Exko zwar „prinzipiell“.
Allerdings wurde die angestrebte Änderung der Verschwiegenheitsklausel an die Kommission für rechtliche Angelegenheiten zur „Beratung“ weitergegeben. Das Exko hätte die Änderung auch selbst beschließen können. Würde der Paragraf 36 des FIFA-Ethikcodes aufgehoben, könnte die Untersuchungskammer der Ethikkommission beispielsweise erklären, ob gegen UEFA-Präsident Michel Platini Ermittlungen laufen.

Auch im Reformprozess gab es keine neuen Erkenntnisse. Ein konkretes Vorschlagspaket solle dem Exekutivkomitee des Weltverbands erst nach zwei weiteren Treffen des Reformgremiums vorgelegt werden, berichtete Niersbach. „Da erwartet man von außen jetzt sicherlich ein Stück mehr“, sagte Niersbach. „Aber es gibt keine Alternative, als mit kühlem Kopf diesen Weg jetzt zu beschreiten.“

Die Bundesanwaltschaft in der Schweiz ermittelt in der Korruptionsaffäre des Fußball-Weltverbandes jetzt auch gegen FIFA-Chef Joseph Blatter. Das Statement „Strafverfahren gegen FIFA-Präsident eröffnet“ der Behörde im Wortlaut.

„BERN, 25.09.2015 --- Die Bundesanwaltschaft der Schweiz hat gegen den Präsidenten der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) ein Strafverfahren wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung sowie - eventualiter - wegen Veruntreuung eröffnet.

Das Verfahren der Bundesanwaltschaft gegen Joseph Blatter wurde am 24. September 2015 eröffnet wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) und - eventualiter - wegen Veruntreuung (Art. 138 StGB).

Es besteht dabei einerseits der Verdacht, dass Joseph Blatter am 12. September 2005 mit der CARIBBEAN FOOTBALL UNION (deren Präsident Jack Warner war) einen für die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) ungünstigen Vertrag abgeschlossen hat.

Andererseits besteht der Verdacht, dass Joseph Blatter auch bei der Umsetzung des Vertrages in Verletzung seiner Treuepflichten gegen die Interessen der FIFA resp. der FIFA Marketing & TV AG verstossen hat.

Zudem wird Joseph Blatter eine treuwidrige Zahlung von CHF 2 Mio. im Februar 2011 an Michel Platini, Präsident der Union of European Football Associations (UEFA), zu Lasten der FIFA vorgeworfen, angeblich für die zwischen Januar 1999 und Juni 2002 geleisteten Dienste.

Joseph Blatter wurde am 25. September 2015 von Vertretern der Bundesanwaltschaft der Schweiz im Anschluss an eine Sitzung des Exekutiv Komitees der FIFA als Beschuldigter einvernommen.

Michel Platini wurde gleichzeitig als Auskunftsperson (Art. 178 StPO) von Vertretern der Bundesanwaltschaft einvernommen.

Die Bundesanwaltschaft führte zudem am 25. September 2015 mit Unterstützung der Bundeskriminalpolizei (BKP) eine Hausdurchsuchung bei der FIFA in Zürich durch. Dabei wurde auch das Büro des FIFA-Präsidenten durchsucht und Datenmaterial sichergestellt.

Für den Präsidenten der FIFA, Joseph Blatter, gilt wie für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung.

Die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA), die gegen FIFA-Chef Joseph Blatter ein Strafverfahren führt, ist die oberste Ermittlungs- und Anklagebehörde der Eidgenossenschaft. Sie verfolgt besonders schwere Straftaten, die in die Zuständigkeit der Schweizer Bundesgerichte fallen. Dazu gehören organisierte Kriminalität und Terrorismus, aber auch Geldwäscherei und Korruption.

„Die Bundesanwaltschaft leistet mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Schwerstkriminalität“, heißt es auf der Website der in Bern ansässigen Behörde. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist auch „Wirtschaftskriminalität mit ausgeprägten internationalen Bezügen“.

Bei den Ermittlungen wegen des Verdachts der schweren Korruption gegen FIFA-Funktionäre arbeitet die BA eng mit den Strafverfolgungsbehörden der USA zusammen. Auf deren Antrag hin hatte die BA am 27. Mai in Zürich sieben hochrangige Fußball-Funktionäre verhaftet. Drei von ihnen wurden inzwischen an die US-Justiz ausgeliefert. Bei den anderen vier laufen die Auslieferungsverfahren.

Die Korruptionsaffäre um die WM-Vergabe an Russland 2018 und Katar 2022 erschüttert seit Jahren den Fußball-Weltverband FIFA.

20. Oktober 2010: Die FIFA-Exekutivmitglieder Reynald Temarii (Tahiti) und Amos Adamu (Nigeria) werden wegen Korruptionsverdachts suspendiert. Sie sollen bereit gewesen sein, ihre Stimmen bei der WM-Vergabe 2018 und 2022 zu verkaufen.
18. November 2010: Sechs FIFA-Funktionäre werden mit Strafen belegt. „Alle Zweifel sind ausgeräumt“, sagt FIFA-Chef Joseph Blatter.
29. November 2010: Neue Bestechungsvorwürfe gegen drei weitere Exekutivmitglieder: Ricardo Teixeira (Brasilien), Nicolás Leoz (Paraguay) und Issa Hayatou (Kamerun).
2. Dezember 2010: Die FIFA vergibt die Weltmeisterschaften an Russland und Katar.
6. Dezember 2010: FIFA-Vize Julio Grondona (Argentinien) soll etwa 59 Millionen Euro aus Katar erhalten haben.
10. Mai 2011: Der frühere englische Verbandschef David Triesman beschuldigt Teixeira, Leoz, Vize Jack Warner (Trinidad und Tobago) und Worawi Mukudi (Thailand), unlautere Forderungen vor den WM-Vergaben gestellt zu haben.
20. Juni 2011: Warner tritt von all seinen Ämtern im Fußball zurück.
21. Oktober 2011: Nach heftigen Korruptionsvorwürfen setzt die FIFA auf die Hilfe externer Experten und gründet diverse Arbeitsgruppen.
17. Juli 2012: Der frühere US-Staatsanwalt Michael Garcia wird zum Vorsitzenden der FIFA-Ethikkommission ernannt, der Münchner Richter Hans-Joachim Eckert steht der rechtsprechenden Kammer vor.
22. November 2013: Blatter unterstellt Deutschland und Frankreich, bei der WM-Vergabe an Katar wegen wirtschaftlicher Interessen politischen Druck auf FIFA-Entscheidungsträger ausgeübt zu haben.
1. Juni 2014: Laut „Sunday Times“ soll der katarische Ex-Funktionär Mohammed bin Hammam fünf Millionen Dollar an Offizielle gezahlt haben, um sich deren Unterstützung für Katars Bewerbung zu sichern.
13. Juni 2014: Franz Beckenbauer wird von der FIFA für 90 Tage für jegliche Tätigkeit im Fußball gesperrt. Beckenbauer habe nicht mit der Ethikkommission kooperiert, sagt der Weltverband zur Begründung.
5. September 2014: Garcia legt seinen Untersuchungsbericht bei der FIFA vor und spricht sich für eine Veröffentlichung aus.
17. Oktober 2014: Der Bericht wird nach einer Entscheidung der FIFA nicht komplett veröffentlicht.
13. November 2014: Eckert legt einen weiteren Bericht vor, in dem Russland und Katar keine gravierenden Verstöße bei den Bewerbungen nachgewiesen werden. Garcia legt Einspruch ein.
16. Dezember 2014: Die FIFA weist Garcias Einspruch als „unzulässig“ zurück. Garcia erklärt daraufhin seinen Rücktritt.
27. Mai 2015: Kurz vor Blatters geplanter Wiederwahl nimmt die Schweizer Polizei mehrere hochrangige Funktionäre fest. Dazu gehören die FIFA-Vizepräsidenten Jeffrey Webb und Eugenio Figueredo sowie Ex-Vize Jack Warner. Die USA ermitteln gegen 14 ehemalige Spitzenfunktionäre und Geschäftsleute.
29. Mai 2015: Blatter sieht einen Zusammenhang zwischen den Festnahmen und dem Wahlkongress. Er wird wiedergewählt.
2. Juni 2015: Laut „New York Times“ hält die US-Justiz FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke für denjenigen, der 2008 von einem FIFA- auf ein US-Konto eine Zehn-Millionen-Dollar-Überweisung angewiesen hat. Blatter kündigt seinen Rücktritt an der Spitze des Fußball-Weltverbandes an.
2. Juli 2015: Die US-Behörden ersuchen die Schweiz um die Auslieferung von sieben im Mai festgenommenen Fußball-Funktionären.
19. Juli 2015: Nach seiner Auslieferung plädiert Webb vor einem New Yorker Gericht auf „nicht schuldig“. Der suspendierte Chef des Fußballverbandes für Nord- und Zentralamerika sowie der Karibik (CONCAF) war enger Vertrauter Blatters.
14. September 2015: US-Justizministerin Loretta Lynch sagt auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber in Zürich: „Ich erwarte eine nächste Runde von Festnahmen. Es kann sein, dass wir weitere Verdachtsmomente feststellen“.
17. September 2015: Generalsekretär Valcke, Blatters engster Vertrauter, wird vom Weltverband „mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres von all seinen Aufgaben entbunden“. Nach in Medien erhobenen Vorwürfen der persönlichen Bereicherung leitet der Weltverband eine „formelle Untersuchung durch die FIFA-Ethikkommission“ ein.
25. September 2015: Die Bundesanwaltschaft in der Schweiz ermittelt in der FIFA-Korruptionsaffäre jetzt auch gegen FIFA-Chef Blatter.

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