Das Salzburger Dilemma: Eine Zwischenstation am Scheideweg
„Der Plan ist, dass wir ihn nach zwei Jahren verkaufen.“ Jene Journalisten, die regelmäßig über Salzburg berichten, schauten sich die fünfte Episode der Dokumentation „JEDER.MANN: Des ist Soizburg“ mehrmals an, weil sie nicht glauben konnten, was da von Sportchef Christoph Freund vor laufender Kamera zu Geschäftsführer Stephan Reiter gesagt wurde.
Unmissverständlich drückte eine Red-Bull-Führungskraft in aller Öffentlichkeit aus, worum es dem Verein hauptsächlich zu gehen scheint: Spieler zu kaufen, um diese möglichst schnell wieder zu verkaufen - mit maximalem Ertrag. Man kann sich also darauf einstellen, dass Max Wöber Salzburg trotz eines Fünf-Jahres-Vertrags bald verlassen wird. Denn um ihn ist es in dem Gespräch gegangen. Kurz nach diesem wurde er im August vom FC Sevilla verpflichtet.
Fixe Klausel
Bei Erling Haaland funktionierte das Kaufen und wieder Verkaufen so schnell wie noch selten davor. Seinen Transfer zu Dortmund hätten die Salzburger nicht verhindern können, selbst wenn man gewollt hätte. Das war aber sowieso nie ein Thema. „Ohne Ausstiegsklausel wäre seine Verpflichtung für uns niemals möglich gewesen“, erklärte Freund, nachdem so ein Vertragsinhalt monatelang trotz Nachfragen verschwiegen worden ist.
Haaland war also schon gekommen, um möglichst schnell wieder zu gehen. Der damals nur Insidern bekannte Norweger hatte mit nur 18 Jahren im August 2018 beim damaligen Europa-League-Semifinalisten einen Fünf-Jahres-Vertrag bekommen, der ihm sogar während einer laufenden Saison das Recht gab, Salzburg ohne Einverständnis des Klubs zu verlassen.
Kurzer Stopp
Er ist nicht der erste Spieler, der Red Bull als Zwischenstation auf dem Weg in eine größere Liga benutzt hat. Aber er ist der erste, der nur zwölf Monate geblieben ist. Seine Vorbilder waren alle länger da, viele sogar viel länger.
Finanziell funktioniert das System. Auch Haaland war ein Geschäft bei kolportierten rund 20 Millionen Euro fixer Ablöse, auch wenn - wie bei jedem Transfer - niemand außer den direkt Beteiligten weiß, wie viel wirklich auf dem Salzburger Konto landen wird. Mehr als die im Sommer 2018 zumindest investierten fünf Millionen Euro werden es allerdings wohl schon sein.
Rund 300 Millionen soll Salzburg in sechs Jahren mit Spielerverkäufen brutto eingenommen haben. Genaue Zahlen sind Betriebsgeheimnis. Ein guter Teil kam aber in jedem Fall von Leipzig, wanderte also im Red-Bull-Konzern von der linken in die rechte Hosentasche.
Hat sich der Kurzaufenthalt des Norwegers aber auch sportlich ausgezahlt? Natürlich bleiben phänomenale acht Wochen im Sommer, in denen Haaland in neun Spielen unglaubliche 17 Tore erzielte, immer in Erinnerung.
Doch entscheidend weitergebracht hat er Salzburg nicht. Dafür war er zu kurz da. Sein Beitrag zum Double 2019 war unter der Wahrnehmungsgrenze. In der Champions League war man als Meister Fixstarter. In der Gruppenphase wurde das Mindestziel Platz 3 erreicht. Und die Bundesliga-Tabellenführung ist für einen Serienmeister genauso normal wie für einen Titelverteidiger das Überwintern im Cup.
Natürlich könnte man positiv anmerken, dass mit Haaland die Reputation als Zwischenstation erneut gestiegen ist. Doch hat dies Salzburg nach den zahlreichen positiven Beispielen überhaupt noch nötig? Und ist ein Wechsel zu Dortmund, also zu einem Klub, zu dem mit Kevin Kampl schon 2015 ein Spieler verkauft und der 2018 dazu in der Europa League ausgeschaltet wurde, ein Quantensprung?
Haben die Salzburger nicht vielmehr mit der Vertragsgestaltung bei Haaland die Büchse der Pandora geöffnet? Will jetzt nicht jeder Spieler, der zum Ligaprimus wechselt, schon in seinem ersten Vertrag mit dem Klub eine günstige Ausstiegsklausel, die nur ihm Vorteile bringt und die bisher eher erst bei einer Verlängerung ein Zuckerl war?
Zweiter Abgang
Sportlich steht Salzburg jedenfalls vor einer ungewissen Zukunft. Neben Haaland konnte mit Takumi Minamino, der zu Liverpool gewechselt ist, schon ein zweiter Leistungsträger den Klub verlassen, bevor das Transferfenster im Jänner überhaupt geöffnet hat. Weitere Abgänge sind nicht ausgeschlossen.
Es droht ein Umbruch, wie ihn Red Bull erst im Sommer zu verkraften hatte. Dieser konnte weggesteckt werden, weil man mit einem großen Kader darauf vorbereitet war. Dieser wurde nun ausgedünnt. Und in diesem stehen Spieler wie Smail Prevljak oder Albert Vallci, die in ihrer Herbstform den Ansprüchen nicht genügen.
Auch vom FC Liefering, der ja in der 2. Liga gegen den Abstieg spielt, kommt zumindest momentan wenig nach, sieht man vom Deutschen Karim Adeyemi ab. Der noch 17-Jährige durfte bisher allerdings noch nicht in der Bundesliga beweisen, dass er wirklich so gut ist wie ihm nachgesagt wird.
Gefährlicher Gegner
Und das alles passiert mitten in einer Bundesliga-Saison, in der nicht nur die Punkte nach 22 Runden geteilt werden, sondern in der es mit dem LASK einen ernst zu nehmenden Gegner gibt, der dazu Salzburg auch noch den ebenfalls anvisierten Cuptitel streitig machen kann.
Aber neben dem Double ist ja laut Trainer Jesse Marsch auch noch der Gewinn der Europa League das Ziel im Frühjahr. In dieser wartet mit Eintracht Frankfurt im Februar vorerst einmal ein bezwingbarer Gegner, gegen den ein Ausscheiden zwar keine Blamage, aber eine Enttäuschung wäre. Ein Out würde dazu das schwächste Abschneiden im Europacup seit der Saison 2016/'17 bedeuten.
Aber ist Red Bull 2005 nicht eingestiegen, um mehr zu sein als nur die Nummer 1 in Österreich und ein Stammgast in der Europa League? Wurden nicht Hunderte Millionen Euro eigentlich investiert, um in der Champions League regelmäßig in der Gruppenphase dabei zu sein und dann auch zumindest hie und da den Aufstieg ins Achtelfinale zu schaffen? 2020 wartet – wenn überhaupt – erst einmal die Qualifikation zur Eliteliga, die bisher ja in elf Versuchen immer ein Stolperstein war.
Um den nächsten Schritt zu machen, wird man aber wohl vom Geschäftsmodell, Spieler nur zu kaufen, um sie mit Gewinn - und das immer schneller - wieder zu verkaufen, abkehren müssen. Denn in der Champions League nicht nur mit-. sondern auch eine Rolle zu spielen, wird nur mit einer Mannschaft möglich sein, die länger als sechs Monate zusammenbleibt.
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