Andrij Schewtschenko - Durch Lobanowskyjs Schule zum Ruhm

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Eine Fußballer-Karriere war nicht vorgezeichnet. Als Trainer stand er in der Kritik, aber zuletzt auch höchst erfolgreich.

Als am 26. April 1986 in Tschernobyl der Super-GAU eintritt, wird der junge Andrej Schewtschenko abrupt aus dem Leben gerissen. "Der Reaktor 4 explodierte, wir wurden alle weggebracht. Aus der ganzen UdSSR kamen Busse und nahmen Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren mit. Ich war 1.500 km von zu Hause weg und kam mir vor wie in einem Kinofilm", erinnerte sich Schewtschenko. Neun Jahre war er damals alt. Am Asowschen Meer wird er ohne seine Familie Wochen mit Fußball verbringen.

Zehn Jahre später machte er als Profi auf sich aufmerksam, nun steht der 44-Jährige als Teamchef seiner Heimat Ukraine an der Seitenlinie. Auf Österreich treffen die Osteuropäer am letzten Spieltag der EM-Gruppenphase am 21. Juni. Schewtschenko sieht seine Elf für den Aufstieg in die K.o.-Phase bereit. Als Aktiver war er 2006 bei bis dato größten Erfolg der Verbandsgeschichte dabei. Damals schaffte es die Ukraine bei der WM in Deutschland bis ins Viertelfinale.

Der Aufstieg des Sohnes eines Berufssoldaten zum Weltstar war nicht unbedingt vorgezeichnet. Die Eltern waren zunächst gegen seinen Eintritt in die Akademie von Dynamo Kiew. Die Aufnahmeprüfung an einer renommierten Sportschule verpatzte er davor - auch bei den Fußballübungen sei er durchgefallen, verriet Schewtschenko im Frühjahr anlässlich der Präsentation seiner Autobiografie "Sanfte Kraft". Ein Scout von Dynamo sieht bei Nachwuchsspielen aber sein Können. Der junge Andrej entscheidet sich für Fußball und gegen Boxen, wo er ebenfalls Talent hat.

In Kiew erlebt Schewtschenko den Niedergang der Sowjetunion mit. "Nur die Liebe meiner Eltern und der Sport haben mich gerettet", erinnerte er sich. "Das Land löste sich auf, die Menschen waren verzweifelt. Drogen, Alkohol und Waffen haben meine Freunde getötet. Von meinen Kindheitsfreunden hat nur einer überlebt." Bei Dynamo reift Schewtschenko unter Trainer-Legende Waleri Lobanowskyj. Drei Tore schießt der damals 21-Jährige bei Dynamos 4:0 beim FC Barcelona im Herbst 1997.

Die Methoden sind streng.

Lobanowskyj gibt den Spielern kaum Freiheiten abseits des Fußballs. Sie vertrauen ihm vollends. "Sie nannten ihn den General. Und ich war sein loyaler Soldat auf dem Spielfeld", sagte Schewtschenko einmal. Er habe alle Anweisungen Lobanowskyjs befolgt. "Ich bin durch den Dreck gewatet, weil es gibt keinen leichten Weg zum Ruhm. Sein Training war ein Test der Stärke, bin hin zur völligen Erschöpfung."

1999 macht Milan das Rennen um seine Dienste. Wirklich gefragt wird der damals 22-Jährige bei den Verhandlungen nicht. In Italien wird die neue Nummer 7 kritisch beäugt. Am Trainingsplatz legt Schewtschenko Extraschichten ein. Paolo Maldini berichtet später, dass der Ukrainer über die 80-minütigen Trainings irritiert gewesen sei. Er sei Drei-Stunden-Einheiten gewohnt gewesen. Journalisten diktiert Schewtschenko: "Auf dem Platz muss man spielen und trainieren, sprechen kann man später." Es folgen Sternstunden.

Schewtschenko schießt in seiner ersten Saison in Italien 24 Tore in 32 Spielen. Er gewinnt mit Milan 2003 die Champions League und wird ein Jahr später Meister. 2004 wird ihm auch der Ballon d'Or für Europas besten Fußballer überreicht. In Mailand lebt sich "Schewa" ein und wird Teil der Prominenz. Modezar Giorgio Armani wird sein Freund und Geschäftspartner. 2004 heiratet er das amerikanische Model Kristen Pazik, mit dem er vier Söhne hat. Milans Clubchef Silvio Berlusconi ist Taufpate des ältesten davon.

Für Milan erzielt Schewtschenko in 323 Spielen 176 Tore, ehe die "Rossoneri" dem Werben von Roman Abramowitsch nachgeben. Nach der WM 2006 geht es für 43 Millionen Euro nach London. Bei Chelsea wird Schewtschenko aber nicht glücklich. 2008 folgt die leihweise Rückkehr zu Milan, nach einer torlosen Saison geht der Angreifer 2009 wieder zu Dynamo Kiew. Es bleibt ein Ziel: bei der Heim-EM 2012 noch einmal für Furore zu sorgen.

Trainer-Karriere

Körperlich weit von seiner Bestform entfernt, führt der 35-jährige Schewtschenko den EM-Co-Gastgeber als Kapitän aufs Feld und erzielt beim 2:1 gegen Schweden beide Tore. In den folgenden Partien kann er verletzungsbedingt nur noch als Joker mitwirken, die Ukraine scheidet aus. Nach 48 Toren in 111 Länderspielen ist auch für Rekordtorschütze Schewtschenko Schluss. Er wechselt aufs politische Parkett und tritt für die sozialdemokratische Bewegung "Ukraine - Vorwärts!" an. Der Sprung ins Parlament gelingt aber nicht.

Dass er seine Zukunft als Trainer sieht, bekundet Schewtschenko rasch. Der ukrainische Verband ist froh, die Legende an sich zu binden. Im Februar 2016 wird er Co-Trainer der Nationalmannschaft. Wenige Monate später wird er mit 39 Jahren zum Chefcoach befördert, nachdem sich die Ukraine bei der EM 2016 schon nach der Gruppenphase mit drei Niederlagen verabschiedet hatte. Aus Andrej ist inzwischen Andrij geworden - die Maidan-Bewegung machte auch vor ihm nicht halt.

Die EURO 2020 erreicht die Ukraine ohne Umwege, Europameister Portugal bleibt in der Gruppe nur Platz zwei. Für Schewtschenko ein besonderer Triumph, nachdem er sich ob seiner mangelnden Erfahrung als Trainer lange Kritik gefallen lassen musste. Nach dem Verpassen der WM 2018 stand sein Engagement bereits an der Kippe. Taktische Mängel übertüncht Schewtschenko, indem er auf Hilfe aus seiner zweiten Heimat setzt. Seine Assistenztrainer sind die beiden Italiener Mauro Tassotti und Andrea Maldera. Der ehemalige Verteidiger Tassotti bestritt als Profi über 400 Spiele für Milan und war danach Co-Trainer der Mailänder. Maldera war jahrelang Video-Analyst der Lombarden.

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