Zwei Rivalen spazieren auf dem Scheideweg

Philipp Hosiner (li.) hat vor, im Derby wieder scharf zu schießen. Youngster Louis Schaub (re.) könnte Rapids Millionenmann werden.
Sowohl für die Austria als auch für Rapid ist das Prestige-Duell am Sonntag richtungsweisend.

Brisanz. Der Begriff leitete sich vom Französischen briser ab, was zertrümmern heißt. Im Zusammenhang mit einem Fußballspiel sollte davon nicht die Rede sein. Von Brisanz spricht man aber auch, wenn ein Thema eine hohe, zündende Aktualität besitzt. Das trifft auf das 307. Wiener Derby am Sonntag (16.30 Uhr/live auf ORFeins und Sky) zwischen der Austria und Rapid in der Generali Arena viel eher zu.

Rapid ist Vierter mit 17 Punkten, die Austria Fünfter mit 16 Zählern. Der Sieger des Duells könnte Boden gutmachen in Richtung Platz zwei, der Verlierer wird den restlichen Herbst benötigen, um eben diesen verlorenen Boden gutzumachen. Mit der zusätzlichen Belastung durch den Europacup sicher ein kräfteraubendes Unterfangen.

Vor dem Prestige-Duell verbindet die zwei Wiener Klubs so manches:

Cup-Pleite Rapid erwischte es schon in der ersten Runde im Elferschießen beim LASK, die Austria folgte sogleich mit der Blamage in Kalsdorf,die freilich um einiges peinlicher war. Aus einer herbstlichen Dreifach- wurde nur noch eine Doppelbelastung für die Erzrivalen.

Schwankungen Der Austria gelang es in vielen Spielen nicht, ihren Rhythmus und ihr System von Anfang bis Ende durchzuziehen – wie beispielsweise beim 3:3 daheim gegen Ried, wo man eine 3:1-Führung noch verjuxte. Es fehlt zeitweise an der Konstanz, sogar innerhalb von Matches. Nicht selten präsentierte der Meister in zwei Hälften zwei verschiedene Gesichter.

Bei Rapid ist es ähnlich, auch wenn in Genk eine durchgehend gute Leitung geboten wurde. Gegen den WAC wurde gleich zwei Mal ein 2:0 aus der Hand gegeben. Dafür gab es gegen Kiew und Sturm spektakuläre Aufholjagden. Mit der Routine fehlt auch die Konstanz.

Verletztenliste Die Austria litt im Herbst unter den Ausfällen einiger Offensivkräfte. Grünwald und Gorgon, er wird in Deutschland operiert, fallen lange aus, Simkovic und Okotie waren zwischenzeitlich ebenso außer Gefecht wie Kienast.

Bei Rapid wird die Liste zumindest kürzer, nur Alar fehlt noch länger. Palla ist angeschlagen. Burgstaller könnte schon im Derby in den Kader zurückkehren.

Anspruch Den Platz des Vize hinter Salzburg streben beide Wiener Klubs an, weil der (wie auch Rang drei) den sicheren internationalen Startplatz bedeuten würde. Für den Meister muss es der Anspruch sein, mit dem zweitbesten Kader auch unmittelbar hinter Salzburg über die Ziellinie zu gehen. Rapid konnte nicht wie der Erzrivale aufrüsten, sondern verjüngte den Kader. Im Punkteschnitt gibt es ein Minus, für die spielerische Entwicklung ein Plus. Ein Europacup-Startplatz bleibt Pflicht.

Doppelt gemoppelt Beide Klubs spielen bis in den Dezember hinein im Europacup, die Austria in der Champions League (letztes Spiel am 11. Dezember daheim gegen St. Petersburg), Rapid in der Europa League. Mit ein wenig Glück könnten die Hütteldorfer nach dem 1:1 in Genk die Gruppenphase sogar überstehen.

Die Trainer Sowohl Nenad Bjelica als auch Zoran Barisic haben kroatische Wurzeln – das riecht nach einer Derby-Premiere. Und beide kennen den österreichischen Fußball aus dem Effeff.

Getrennte Wege

Einem halben Dutzend Gemeinsamkeiten stehen aber auch fünf Fakten gegenüber, die Fußball-Wien trennen.

Die Derby-Serie Die Austria hat seit zehn Derbys nicht mehr verloren, so eine Minus-Serie hat Rapid gegen keinen anderen Gegner. Der letzte Sieg der Grünen über die Violetten datiert vom 13. März 2011 (1:0 in der Generali Arena). Die Austrianer sind aber gewarnt, wie Bjelica zugibt: „Rapid ist eine starke Mannschaft, gegen die es immer schwer ist.“

Zukunftsaktien Während Philipp Hosiner an seinem Höhepunkt nicht nach Hoffenheim verkauft wurde und sein Marktwert gerade etwas im Sinken begriffen ist, wird Rapid mit Louis Schaub vermutlich viel verdienen – derzeit wird über eine erneute Vertragsverlängerung mit dem 18-Jährigen verhandelt.

Die Austria hat es ebenso verabsäumt, aus den tollen Leistungen von Markus Suttner (war bei Hannover, Mainz und Bremen im Gespräch) oder James Holland Geld zu machen. Vor allem für Suttner hätte man zusätzlich mindestens 1,5 Millionen Euro kassieren können.

Das Stadion Die Austria baut die Generali Arena kontinuierlich aus, bekommt ein immer besseres Umfeld mit der geplanten Aufstockung der Nordtribüne, der Eckenschließung und dem geplanten Viola-Park hinter der Osttribüne. Zugleich wird die U-Bahn ausgebaut und macht spätestens 2017 am Verteilerkreis Halt. Bei Rapid ist immer noch nicht klar, ob es jemals ein g’scheites Stadion geben wird.

Das Umfeld Bei Rapid herrscht Unruhe, es gibt an der Spitze eine Wachablöse. Michael Krammer wird der neue starke Mann werden (siehe rechts). Bei der Austria herrscht dagegen Ruhe, Sportvorstand Thomas Parits geht erst 2014 in Pension. Bis dahin sollte sich personell nicht viel verändern.

Die Finanzen Rapid ist auf der Suche nach einem Gürtel, der sich noch enger schnallen lässt. Der Rekordmeister ist auf Transfers oder Europacup-Erfolge angewiesen, die Austria freut sich wiederum über Millionen-Einnahmen aus der Champions League. Das negative Eigenkapital von über drei Millionen wurde mit einem Schlag getilgt und in ein kräftiges Plus umgewandelt, auch weil man (noch) nicht zu viel in den Kader investiert hat. Manager Markus Kraetschmer möchte ohnehin einen Teil des Geldes für die Verbesserung der Infrastruktur verwenden.

Zwei Tage mehr Regeneration genossen die Austrianer unter der Woche im Vergleich zu den Rapidlern. Für Trainer Nenad Bjelica ist aber nicht unbedingt ein Vorteil, dass man sich schon seit Mittwoch auf das Derby körperlich wie geistig vorbereiten konnte. „Gewinnen wird jene Mannschaft, die mehr Glauben daran hat.“ Und das soll laut Coach Zoran Barisic Rapid sein: „Wir jammern nicht über die Belastung und werden es wieder offensiv anlegen. Wir sind top-fit.“

11.500 Zuschauer werden die Generali Arena am Sonntag restlos füllen. Austrias Sportvorstand Thomas Parits weiß, was auf dem Spiel steht: „Das zeigt ja ein Seitenblick auf die Tabelle. Der Sieger schafft den Anschluss an die Tabellenspitze.“ Bjelica war in den letzten Spielen vor allem mit der taktischen Umsetzung der Vorgaben alles andere als zufrieden. Diesmal wird er es wohl mit einem 4-4-2-System versuchen und Kienast neben Hosiner an vorderster Front aufstellen. Die in einer Formkrise befindlichen Holland und Jun sollen wieder ihre Chance erhalten. „Da müssen sie sich selbst herausziehen.“ Als Alternative zu Jun stünde Talent Spiridonovic bereit.

Die Hütteldorfer müssen auf den gesperrten Petsos verzichten, dafür könnte Burgstaller nur drei Wochen nach seinem Bänderriss wieder im Kader stehen. Genk-Torschütze Sabitzer spürte sogar ein „bisschen Wehmut“, dass in Belgien kein Sieg gelang. Die bisher beste Saisonleistung (Barisic: „Der Europa-League-Modus war auf ‚on‘“) macht den Rapidlern aber Mut gegen die zuletzt in den Derbys nicht zu biegende Austria.

Zoran Barisic hat in Genk an den richtigen Knöpfen gedreht und konnte nach dem 1:1 mit einer mutigen Offensivtaktik zufrieden bilanzieren: „Wir haben den Europa-League-Modus auf ‚on‘ gestellt und unsere beste Saisonleistung abgeliefert.“

Die positive Einschätzung des Rapid-Trainers wurde auch in der belgischen Presse bestätigt. „Genk war am Ende nicht stark genug“, urteilte Sporza. Und De Morgen lobte: „Ein wunderschönes Tor von Genk hat nicht gereicht. Rapid war eine starke und schlaue Mannschaft.“

Besonders auffällig war, dass Rapid den aufwendigen Spielstil bis zum Schluss durchziehen konnte: „Wir wissen, dass wir am Ende noch zulegen und Chancen kreieren können, das ist sehr wichtig für uns“, sagte Kapitän Steffen Hofmann.

Bei Marcel Sabitzer kam trotz seines zweiten Saisontors (das erste, ebenso wichtige gelang im Play-off in Tiflis) ein „bisschen Wehmut“ auf, „weil wir nicht mehr geholt haben.“ Denn bei aller Begeisterung hat sich noch nicht viel für Rapid gedreht, weil Kiew Thun 3:0 besiegte: In den anstehenden Heimspielen gegen Genk (7. November) und Thun (28. November) müssen mindestens vier Punkte geschafft werden, um beim Finale in Kiew (12. Dezember) noch theoretische Chancen auf den Aufstieg zu haben. Bisher war Rapid bei drei Starts in der Gruppenphase jeweils nach fünf Runden chancenlos.

Die Unterstützung im Happel-Stadion wird stimmen: zu den knapp 30.000 verkauften Abos werden ab sofort Tagestickets abgesetzt.

Fit ohne Pause

Bei der Mannschaft stand am Freitag bereits das Wiener Derby am Fokus. Dass Rapid am Sonntag mit zwei Tagen weniger Erholung als die Austria antritt (0:3 gegen Atletico Madrid am Dienstag) lässt Barisic kalt: „Wir wollen ja englische Wochen und sind für das Derby sicher topfit. Wir suchen nie Ausreden, weder bei Ausfällen noch bei weniger Zeit zur Regeneration.“

Auch die Minus-Serie im Derby (die Austria ist seit zehn Duellen unbesiegt) beeindruckt Barisic nicht. „Mit der Vergangenheit beschäftige ich mich nicht“, sagte der 43-Jährige, der nach drei Derbys als Cheftrainer bei zwei Unentschieden und einer Niederlage hält.

Rapid wird es erneut offensiv anlegen: „Wir wollen sofort die Initiative ergreifen. Das ist unsere Philosophie und davon werden wir auch nicht abgehen.“ Zuletzt wurden gegen Dynamo Kiew, Sturm Graz und Genk Rückstände zumindest egalisiert.

Erstmals seit seiner Verpflichtung fehlen wird Thanos Petsos. Der Leistungsträger in der Zentrale hält bereits bei fünf Gelben Karten. Dafür könnte Guido Burgstaller nur drei Wochen nach seinem Bänderriss in den Kader zurückkehren.

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