Dem EM-Kater folgt die nüchterne Analyse

Was war los bei der EM? Marcel Koller will es in den kommenden Wochen herausfinden.
Teamchef Marcel Koller will In den nächsten Wochen die wahren Gründe für das frühe Ausscheiden finden.

Da die Wahrheit bekanntlich eine Tochter der Zeit ist, wird Teamchef Marcel Koller die wahren Gründe für das Scheitern bei der EURO erst in den nächsten Wochen wirklich kennen. So sieht es auch sein Plan vor, denn am Tag nach dem Ausscheiden wollte er gestern in Mallemort nicht zu sehr ins Detail gehen. Und dennoch konnte man einiges heraushören.

Die Mannschaft hat es vor allem mental nicht geschafft, mit der neuen Situation eines Turniers umzugehen. "Da geht es um die eigene Erwartungshaltung und auch um die allgemeine. Man muss schauen, ob das von außen gekommen ist." Abgeschottet, wie das Team war, fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Von sechs gespielten Halbzeiten ist Österreich nur in einer einzigen dermaßen so überzeugend wie in der Qualifikation aufgetreten. "Wir haben es nicht auf den Punkt gebracht", meinte Kapitän Christian Fuchs enttäuscht. Er hatte ebenso wie die meisten seiner Kollegen eine schlaflose Nacht hinter sich. "Du kannst kein Auge zumachen, sitzt beisammen und redest darüber."

Formfrage

In der kurzen Zeit sei es nicht gelungen, angeschlagene Spieler voll fit zu machen, oder wichtigen Akteuren die Verunsicherung zu nehmen und ihre Form zurückzubringen. "Das ist ganz schwer bei so einem Turnier, weil zwischen den Spielen kaum Zeit bleibt", sagte Koller.

Die Zeit also ...

Dem EM-Kater folgt die nüchterne Analyse
ABD0128_20160623 - MALLEMORT - FRANKREICH: Teamchef Marcel Koller und ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner (R.) während eines Medientermins des ÖFB-Teams am Donnerstag, 23. Juni 2016, in Mallemort. Die österreichische Fußball-Nationalmannschaft ist bei der EURO 2016 in Frankreich in der Vorrunde ausgeschieden. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Der Schweizer zeigte sich unzufrieden. "Meine Erwartungshaltung war nicht, dass wir als Letzter ausscheiden." Er sei nur ein Trainer, "ich bin von den Spielern abhängig." Denen gab er einen wohlgemeinten Rat mit in den Urlaub: "Jeder soll sich sich in den kommenden Wochen so seine Gedanken machen und vor der eigenen Tür kehren." Man kenne das bei Fußballern, dass man gerne auf einen anderen zeigt, wenn es nicht gut läuft. "Das ist nicht wie bei einem Einzelsportler." Koller gab so manche internen Spannungen zu. "Das ist aber normal, wenn man vier oder fünf Wochen zusammen ist." Auch das war eine neue Erfahrung. Aus dem ÖFB-Umfeld war sogar von einem Ansatz der Gruppenbildung im Team zu hören. Umgekehrt gibt es weltweit keine Mannschaft, in der es schon allein aufgrund der verschiedenen Charaktere keine Gruppenbildung gibt. Die Harmonie steht und fällt letztlich mit dem Erfolg.

Systemfrage

Auch gestern verteidigte Koller sein taktisches Experiment, erstmals mit einer Dreier-Abwehrkette zu agieren. Man habe es in den Tagen zuvor trainiert, in seinem Kopf sei die Variante schon länger gewesen. Bleibt die Frage, wieso man das im Frühjahr in keinem einzigen Test geprobt hat. "Ein System hat noch nie ein Spiel gewonnen oder verloren. Es sind die Spieler, die dieses System ausfüllen und es umsetzen." Systeme lassen sich von Spielern leichter oder schwerer umsetzen, in der ersten Hälfte gegen Island gelang dies nicht nach Wunsch.

Erfahrungen

Koller sah sich vielleicht zu der Maßnahme auch gezwungen, weil er diesen Spielern mehr zutraute als anderen. "Wir sind immer noch Österreich und keine Fußballnation wie Spanien, dass wir das Potenzial haben, auf diese Dinge ohne Probleme zu reagieren. Wir haben keine 40 Spieler zur Auswahl." Österreichs Kader ist eben begrenzt, wenn es gilt, in kurzer Zeit auf eine neue Situation optimal zu reagieren.

Dem EM-Kater folgt die nüchterne Analyse
ABD0127_20160623 - MALLEMORT - FRANKREICH: Christian Fuchs und ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner (L.) während eines Medientermins des ÖFB-Teams am Donnerstag, 23. Juni 2016, in Mallemort. Die österreichische Fußball-Nationalmannschaft ist bei der EURO 2016 in Frankreich in der Vorrunde ausgeschieden. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Sportdirektor Willi Ruttensteiner sprach von einem Prozess, den die Mannschaft durchläuft. "Diese Turniererfahrung sehe ich positiv, daraus können alle lernen." Kapitän Fuchs versuchte, die Richtung vorzugeben: "Wichtig ist es, jetzt aufzustehen und weiterzumachen."

Perspektive

Auf die Phase der EM-Analyse folgt unweigerlich die nächste Qualifikation – jene für die WM 2018 in Russland. Auch dort will Österreich wieder mit von der Partie sein und dann eine bessere Rolle spielen als in Frankreich. Ruttensteiner: "Ich habe schon vor dem Turnier gesagt, dass es wichtig ist, wie gesund und in Form die Spieler kommen. Wir haben alles versucht, es hat letztlich nicht gereicht." Die Vorbereitung auf die EM sei optimal gewesen, nichts wollte man dem Zufall überlassen. "Wir haben nicht zu 100 Prozent das Potenzial abgerufen. Ich glaube aber, dass uns diese Niederlage weiterbringt."

Koller ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt, um sich bei den Fans zu bedanken, die vor allem bei den zwei Spielen in Paris für eine sensationelle Stimmung sorgten. "Es war toll, diese rote Wand zu sehen. Ich hoffe, dass sie der Mannschaft auch in Zukunft die Treue halten."

Ernst wird es für Österreich in der WM-Qualifikation am 5. September in Georgien. Die weiteren Kontrahenten sind Wales, Serbien, Irland und Moldawien.

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