War die Formel-1-Saison spannend?
Wie so oft glänzt die erste Startreihe bei einem Grand Prix in Silber. Valtteri Bottas startet heute (14 Uhr MEZ/live ORFeins, RTL, SRFzwei, Sky) beim Grand Prix von Abu Dhabi aus der Poleposition. Neben ihm steht der Weltmeister des Jahres 2017, Mercedes-Teamkollege Lewis Hamilton. Sebastian Vettel verteidigt seinen zweiten Platz in der WM von Startplatz drei aus. Der deutsche Ferrari-Pilot hat 22 Punkte Vorsprung auf Bottas.
Abgesehen vom Duell um WM-Rang zwei ist die Saison 2017 längst entschieden. Mercedes fixierte am 22. Oktober in Austin, zwei Rennen vor Saisonende, den Titel der Konstrukteure, eine Woche später gewann Hamilton auch die Fahrer-WM. Eintönig und berechenbar, sagen viele. Als hochklassig und hochemotional bezeichnen andere das Duell von Hamilton und Vettel. Wie war es aber nun, das Formel-1-Jahr 2017? Auch die KURIER-Motorsportredakteure sind sich erstaunlich uneinig. Zwei Diskussionshilfen.
Philipp A.: Packendes Spektakel
Erinnern Sie sich noch an den Start zum Großen Preis von Singapur? Das Flutlichtspektakel ist atmosphärisch längst das Juwel im prallen Kalender, heuer wurde es auch sportlich zum Rennen des Jahres. Die Startkarambolage zwischen Favorit Vettel, seinem Teamkollegen Räikkönen und dem furchtlosen Verstappen bewies, wie mitreißend, unberechenbar und emotional die Formel 1 ist.
Binnen Bruchteilen von Sekunden ging es nicht mehr um Rennstrategien oder Reifenmanagement, sondern um das große Ganze: Weltmeister-Sein oder Weltmeister-Nichtsein!
Zwar war die WM wenige Rennen später bereits entschieden, doch dieser Umstand war eher Hamiltons Extraklasse geschuldet als der Eintönigkeit der Rennserie. Nicht ohne Grund wurde der frischgebackene Vierfach-Weltmeister nun von der renommierten Fachzeitschrift Autosport zum größten Formel-1-Piloten Großbritanniens auserkoren. Die größte Erscheinung der Szene ist der 32-Jährige ohnehin bereits seit längerer Zeit.
Der kürzere, aber dafür bis in den Herbst völlig ausgeglichene und sportlich intensive WM-Kampf zwischen Hamilton und Vettel lieferte mehr Höhepunkte als das vergiftete Teamduell zwischen Hamilton und Rosberg im Vorjahr. Die erinnerungswürdigen Momente wurden damals meist in Pressekonferenzen kreiert statt auf den Rennstrecken.
So wird von dieser Saison neben des denkwürdigen Starts in Singapur auch Vettels Rempler gegen Hamilton in Baku im Langzeitgedächtnis bleiben. "Für den Fairplay-Preis wird es heuer wohl eher nicht reichen", bilanzierte Vettel in Abu Dhabi seine Saison mit einem Augenzwinkern. Weil auch der geschlagene Deutsche merkt, dass der Vorsprung der Silberpfeile allmählich aufgebraucht ist.
Ungewiss und hungrig
Mercedes hat bereits angekündigt, Veränderungen im Winter vorzunehmen, um auch im kommenden Jahr das Tempo bestimmen zu können. Das ist nicht zwingend als Drohung zu verstehen, sondern vielmehr als Chance. Die ungewisse Zukunft könnten die potenten und hungrigen Jäger (Ferrari, Red Bull und hoffentlich endlich auch McLaren) zum Machtwechsel nutzen.
Das wird viele freuen. Auch die neuen Besitzer der Formel 1. Liberty Media kann man einiges vorwerfen, nur eines nicht: keinen Willen zur Veränderung.
Florian P.: Berechenbare Show
Flachere Heckflügel, breitere Autos, dickere Reifen. Die Formel 1 hat vor der Saison eine Macho-Kur durchgemacht. Das lässt ebenso wenig kalt wie die purzelnden Streckenrekorde und die hohen Kurvengeschwindigkeiten 2017.
Allerdings: An die neue Optik hat man sich rasch gewöhnt, und dass die Autos um drei bis fünf Sekunden schneller als im Vorjahr um die Rennstrecken rasen, ist mit freiem Auge im TV nicht zu erahnen.
Wehmütig denkt der Formel-1-Nostalgiker zurück an die 80er-Jahre, als das Lenken eines Formel-1-Autos noch ein Ritt auf der Rasierklinge war, als weit mehr als 1000 PS aus den Motoren gekitzelt wurden – und als diese Triebwerke natürlich regelmäßig in die Luft gingen.
Die Formel 1 lebt nicht von Rundenzeiten oder von hochkomplexer Technik, versteckt unter dem Chassis. Sie lebt von packenden Szenen auf der Strecke, von Zweikämpfen, Überholmanövern, qualmenden Reifen, rauchenden Motoren. Und genau von diesen Szenen gab es 2017 zu wenig, denn das neue Reglement war für die Spannung ein Schuss ins Knie: Die Zahl der Überholvorgänge ging klar zurück.
Also blieb ein schönes Schaulaufen von Mercedes und Ferrari, das zumindest bis zum Sommer spannend war. Dann setzte sich Lewis Hamilton ab, und die WM war gelaufen. Hinter den Top-Teams folgte Red Bull, das einmal mehr über den eigenen Motor jammerte. Die sieben anderen Teams schafften es in bisher 19 Rennen zusammen gerade ein Mal auf das Podest: Lance Stroll belegte in Baku Rang drei. Und wenn Sie jetzt nicht wissen, für welches Team Stroll fährt, sagt das viel über die WM 2017 aus.
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