Mehr als 6.000 Menschen sollen in der Provinz Bergamo bisher an Covid-19 gestorben sein. Es waren so viele, dass die Särge mit Militärtransportern mitten in der Nacht in Krematorien nach Parma, Ferrara oder Florenz abtransportiert wurden. Diese Bilder gingen um die Welt. Diese Bilder liefen auch auf der Videoleinwand im Stadion von Bergamo, als Atalanta nach dem Lockdown das erste Heimspiel absolvierte.
Bärenstark nach Corona
Auch nach dem Wiederbeginn der Meisterschaft nach dem Lockdown blieb „La Dea“, die Göttin, wie sie den Klub in Italien nennen, stark. In 13 Spielen gab es drei Remis und nur eine Niederlage – in der letzten Runde gegen Inter, weshalb die Mailänder die Meisterschaft auf Platz zwei vor Atalanta beendeten. Der göttlichen Angriffsmaschine bleibt aber die Ehre der meisten Tore, 98 hat Atalanta in den 38 Runden der Serie A geschossen, 22 mehr als Meister Juventus, 18 mehr als Inter.
2010 hat der Modeunternehmer Antonio Percassi den damaligen Zweitligisten übernommen und seither ruhig geführt. Nur drei Trainer in zehn Jahren ist wohl italienischer Rekord. Im Sommer 2019 qualifizierte sich Atalanta als Dritter erstmals für die Champions League. Die begann mit drei Niederlagen, endete aber mit dem Aufstieg ins Achtelfinale.
Fatales Champions-League-Spiel
Bergamos Bürgermeister Giorgio Gori postete auf Instagram Ende Februar demonstrativ ein Foto vom Abendessen mit seiner Frau in einem Restaurant mit den Worten: „Ein Virus kann Bergamo nicht stoppen.“ Wenige Tage zuvor hatte sich halb Bergamo nach Mailand begeben, um das Champions-League-Spiel von Atalanta gegen Valencia zu sehen und den Sieg der Mannschaft zu feiern. Die ganze Stadt machte anschließend Party, man vermutet, dass das Spiel einer der Gründe für die rasante Ausbreitung des Virus war.
Dennoch wurde der Klub deswegen nicht verdammt. Im Gegenteil, die Erfolge von Atalanta lenkten etwas von der Trauer ab. Gleich neben dem Krankenhaus „Papst Johannes XXIII“, wo vor Monaten die Krankenwagen Schlange standen, schauen die Fans im Trucca-Park auf einer Video-Leinwand die Spiele der Göttin an. Atalanta könne Bergamo nun helfen, „wieder neu anzufangen“, sagte Trainer Gian Piero Gasperini, der selbst an Covid-19 erkrankt war.
Der 62-Jährige ist seit vier Jahren im Amt. Zuletzt meinte er: „Ich habe den Eindruck, meine Spieler brauchen derzeit gar keinen Trainer.“ Bergamo besticht als homogene Truppe ohne Stars, aber mit viel Einsatz, Laufbereitschaft und Leidenschaft. Pep Guardiola, der mit Manchester City in der Gruppenphase einmal gewann und einmal remis spielte, machte einen unangenehmen Vergleich.
„Wie ein Zahnarztbesuch“, sagte der Startrainer nach dem 1:1, „der ist auch immer mit Schmerzen verbunden.“ Stammkräfte wie Remo Freuler, Mario Pasalic oder Papu Gómez sind nur Fußball-Insidern bekannt. Robin Gosens, Deutscher mit niederländischem Vater, hat hier erst den Durchbruch geschafft und ist nun sogar auf dem Radar von Teamchef Joachim Löw. Der flinke, mittlerweile 26-jährige Außenspieler lobt den Teamgeist: „Wir sind eine Mannschaft. Ich weiß, dass sich das immer nach einer Phrase anhört. Aber wir haben uns alle miteinander gern.“
Gosens war während des Lockdowns Stammgast im deutschen TV. Wie sein slowenischer Mitspieler Josip Ilicic verbrachte er den Lockdown in der Lombardei. Dem 32-jährigen Ilicic ist die Tragödie sehr nahe gegangen. Womöglich brachten die schrecklichen Bilder von sterbenden Menschen und Särgen bei Ilicic schlimme Erinnerungen hervor, wird spekuliert. Ilicic war vier, als es in seinem Geburtsort Prijedor (heute Bosnien) zu einem Massaker mit vielen Toten kam. Ilicic ist nun nicht in Lissabon, sondern daheim in Slowenien.
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