Alle für einen: Vingegaard gewinnt die Tour dank Teamgeist

Kurze Schrecksekunde: Jonas Vingegaard riskierte kurz vor dem Ende zu viel, konnte sich aber auf seiner Zeitfahrmaschien halten
Der Däne musste sich im Einzelzeitfahren nur Wout van Aert beugen und baute den Vorsprung im Klassement weiter aus.

Einmal noch umziehen und auf dem Rad sitzen, vom hypermodernen Pariser Stadtteil La Défense über 115,6 Kilometer zum Ziel auf die Champs-Élysées fahren, dann ist der zweite Sieg eines Dänen in der Geschichte der Tour de France Tatsache.

Jonas Vingegaard drehte heuer das Ergebnis der 108. Auflage des bedeutendsten Radrennens der Welt und geht mit 3:34 Minuten Vorsprung auf die Ehrenrunde am Sonntag. Wie erwartet konnte der zweifache Titelverteidiger Tadej Pogacar im Einzelzeitfahren am Samstag nichts mehr ausrichten und wird – Tradition verpflichtet – auch nicht mehr attackieren. Vingegaard beendete die Prüfung gegen die Uhr 19 Sekunden hinter seinem Teamkollegen Wout van Aert und holte weitere acht Sekunden auf Pogacar heraus, der sich mit Platz 3 begnügen musste.

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Papa, Löwe, Kind: Jonas Vingegaard mit Töchterchen Frida

Radsport ist Teamsport

Für den 23-jährigen Slowenen endet damit eine kurze Ära, und es zeigte sich einmal mehr, wie wichtig ein Team im Radsport ist. Mit einer taktischen Meisterleistung sorgte Jumbo-Visma auf der letzten Pyrenäen-Etappe am Donnerstag für die Entscheidung: Attacken vom Start weg, zwei Mann in der Ausreißergruppe platziert, die später als Relaisstationen dienten, und erst auf den letzten 3,5 Kilometern fuhr Jonas Vingegaard dann alleine.

Dabei hatte die Mannschaft des Vorjahreszweiten wie schon 2021 wieder einen schweren Sturz samt Verletzung von Primoz Roglic zu verdauen: Als der dreifache Vuelta-Sieger am Sonntag aus der Tour ausstieg, war das Murren der Teamkollegen deutlich zu vernehmen. Inzwischen ist der Hintergrund klarer: Laut ESPN hat sich der Slowene bei seinem Unfall in der ersten Woche nicht nur die Schulter lädiert, sondern auch zwei Wirbelbrüche erlitten – damit rückt auch der erhoffte Start bei der Spanien-Rundfahrt in weite Ferne.

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Chancenlos: Tadej Pogacar

Die Pechvögel

Überhaupt waren die Verletzungen heuer eines von zwei großen Themen. Neben Roglic verlor Jumbo-Visma auch Steven Kruijswijk durch einen Sturz. Besonders gebeutelt war freilich Pogacars Mannschaft: Positiver Corona-Test bei Vegard Stake Laengen (Etappe 8) und George Bennett (10), Marc Soler verpasste das Zeitlimit wegen eines Magen-Darm-Virus (16), Rafal Majka erlitt bei einem Kettenriss einen Teilriss des Oberschenkelmuskels (16).

„Die Tour ist mehr oder weniger besiegelt“, sagte denn auch Tadej Pogacar, der sich am Donnerstag alleine gegen die Übermacht in Gelb und Schwarz zu wehren versuchte, aber als Quasi-Solist keine Chance hatte. Zumal auch der 23-Jährige noch im Straßengraben landete, aber wenigstens mit zerrissenem Gewand und abgeschürften Händen weiterfahren konnte.

Das andere große Thema war – natürlich – die Corona-Sommerwelle. Obwohl die Veranstalter schon kurz nach dem Start ein strenges Protokoll samt Maskenpflicht und Abstand zu den Fans einsetzten, mussten 16 Fahrer bis einschließlich Samstag das Rennen verlassen.

Kurios war dabei der Fall von Rafal Majka, der zwar ebenfalls positiv war, aber fahren durfte, weil der Pole nicht so stark infiziert war, dass er andere hätte anstecken können. Dann – siehe oben – riss die Kette beim wichtigsten Helfer von Tadej Pogacar. Gerade einmal vier der 22 Mannschaften waren am Samstagnachmittag noch vollzählig unterwegs: Ineos, Groupama-FDJ, Intermarché–Wanty-Gobert und B&B Hotels-KTM mit Sebastian Schönberger.

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Bester Österreicher: Patrick Konrad auf Gesamtrang 16

Die Österreicher

Schönbergers oberösterreichischer Landsmann Michael Gogl kuriert unterdessen weiter seine Verletzungen aus, die ihn auf der fünften Etappe ins Spital katapultiert hatten. Brüche von Becken, Schlüsselbein und einem Rückenwirbel lautet die Diagnose für den 28-Jährigen vom Team Alpecin-Deceuninck. Inzwischen ist er in häuslicher Pflege, darf aufstehen und bewegt sich an Krücken und Rollator fort.

Das Trio von Bora-hansgrohe – Marco Haller, Patrick Konrad und Felix Großschartner – versah vorwiegend Helferdienste für den glücklosen Kapitän Alexander Wlasow. Haller holte einen 13. Etappenrang, Konrad überzeugte nach einem schwierigen Frühjahr als Fünfter der 14. Etappe, die Großschartner als Siebenter beendete. Und Gregor Mühlberger rieb sich für Movistar auf, Etappe 14 brachte ihm Platz 14.

20. Etappe (Einzelzeitfahren Lacapelle-Marival–Rocamadour, 40,7 km): 1. Van Aert (BEL) Jumbo-Visma 47:59, 2. Vingegaard (DEN) beide Jumbo-Visma +19, 3. Pogacar (SLO) Emirates +28, 4. Thomas (GBR) Ineos +32, 35. Großschartner (AUT) +3:43, 62. Konrad (AUT) beide Bora-hansgrohe +5:13,  80. Schönberger (AUT) B&B-KTM +6:29, 93. Haller (AUT) Bora-hansgrohe +6:47,  99. Mühlberger (AUT) Movistar +6:56.

Gesamt: 1. Vingegaard 76:33:57, 2. Pogacar +3:34, 3. Thomas +8:13, 16. Konrad +56:62, 29. Mühlberger +1:59:24, 35. Schönberger +2:17:46, 54. Großschartner +2:57:17, 87. Haller +3:52:56.

Geraint Thomas wird am Dienstag dem Grazer Altstadtkriterium die Ehre geben, der Waliser ersetzt den verletzten Primoz Roglic. Start ist um 18.15 Uhr.

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