Lanz über Österreich: "Ihr habt einen komischen Minderwertigkeitskomplex"

Markus Lanz (2022)
Polit-Talker Markus Lanz navigierte viele Fernsehzuschauer durch die Corona-Pandemie und seziert aktuell in seiner Sendung den Krieg in der Ukraine. Dafür ist er für die ROMY nominiert.

Es ist eine der erstaunlichsten Wandlungen im jüngeren deutschen Fernsehen: Vom „Wetten, dass..?“-Einspringer und Unterhaltungstalker entwickelte sich der Südtiroler Markus Lanz zum maßgeblichsten politischen Fragensteller. Von Dienstag bis Donnerstag pilgern die Politiker zu seiner ZDF-Talksendung „Markus Lanz“ nach Hamburg, um hartnäckig befragt zu werden.

KURIER: In Ihrer Sendung geht es jetzt fast nur noch um Politik. Ist das vielleicht auch Ausdruck dieser dauerhaft von Krisen beherrschten Zeit?

Markus Lanz: Wir haben uns immer verstanden als Resonanzboden dessen, was da draußen in der Welt passiert. Seit einigen Jahren merken wir: Die gemütlichen Zeiten sind vorbei, Krise ist das neue Normal. Ich habe mich mit Olaf Scholz mal darüber unterhalten, kurz bevor er Kanzlerkandidat wurde. Er sagte damals sinngemäß: Niemand kann dich auf das vorbereiten, was wirklich passiert. Du hast zwar eine Idee davon, wie du das Land verändern willst, aber dann kommt die Realität. Und du merkst: Warte mal, das stand doch alles nicht im Koalitionsprogramm. Genau das erleben wir gerade wieder, und es löst bei vielen Leuten das Gefühl einer permanenten Verunsicherung aus. Und das ist es auch, was es Populisten wie Trump so leicht macht, und es hat letzten Endes auch den Aufstieg von Sebastian Kurz ermöglicht. Ich will die beiden aber wirklich nicht gleichsetzen.

 

Kurz war eigentlich nie bei Ihnen in der Sendung, obwohl er in deutschen Talkshows ziemlich präsent war … 

Er hat in Deutschland immer seine Connections gepflegt. Bei uns hat es aber irgendwie nie gepasst. Unsere Sendung entsteht manchmal wirklich erst an dem Tag, an dem sie auch tatsächlich stattfindet. Vielleicht Terminprobleme? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die BILD-Zeitung meistens schneller war. (lacht)

In Ihrem ZDF-Podcast mit Richard David Precht haben Sie zuletzt angesichts des Ukraine-Kriegs auch von einem Kampf zwischen Autokratie und Demokratie gesprochen.

Leon Panetta (früherer US-Verteidigungsminister, Anm.) hat es kürzlich so beschrieben: Im Moment wird so viel von einer Zeitenwende geredet, dass es fast schon wie eine Phrase klingt. Aber vielleicht stimmt es. Vielleicht sind wir tatsächlich an einem entscheidenden Punkt unserer Geschichte. Unsere Art zu leben, unsere Freiheit, unsere Identität: Was ist das alles wert, wenn wir nicht bereit sind, dafür zu kämpfen? Putin geht es doch nicht um Territorium. Putin hat auch nicht Angst vor einer wirtschaftlich ziemlich schwachen Ukraine. Putin hat Angst vor einer funktionierenden Demokratie vor seiner eigenen Haustür. Denn dann könnte seiner eigenen Bevölkerung irgendwann auffallen, was Sache ist: nämlich, dass dieses eigentlich so reiche Russland ein hoffnungsloser Sanierungsfall ist. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen auf dem Niveau der Türkei. Und mit nur noch sieben Prozent der Wirtschaftskraft der USA. Vor zehn Jahren waren es noch mehr als 12 Prozent. In wessen Taschen ist also der Reichtum Russlands gewandert? Die russische Bevölkerung, die immer ärmer wird, wird das eines Tages wissen wollen.

Putin als „Kriegsverbrecher“

Joe Biden und auch die EU haben mittlerweile für Putin das Wort Kriegsverbrecher deutlich in den Mund genommen. Das habe ich bereits vergangene Woche bei Ihnen gehört. Haben Sie die Formulierung bewusst gewählt?

Ja, das habe ich bewusst gemacht. Es ist sehr interessant, wenn Sie sich Angela Merkel mal anschauen. Die hat nichts dazu gesagt bis jetzt, bis auf ein Mal. Und in diesem sehr kurzen Statement hat sie zwei Mal das Wort Angriffskrieg benutzt, was völkerrechtlich und politisch wichtig ist, weil es ein Unterschied ist, ob Sie von Krieg oder von Angriffskrieg sprechen. Angriffskrieg ist Überfall, Invasion, ist ein Kriegsverbrechen.

Obwohl Sie in einer Informationssendung wenige Moderatoren oder Moderatorinnen finden werden, die explizit sagen, Putin sei ein Kriegsverbrecher. 

Ich glaube, das wird sich durchsetzen. Wir sind auch keine Nachrichtensendung, es ist eine Sendung, die meinen Namen trägt, es ist ein politisches Gesprächsformat mit Haltung und Meinung. Und ich finde, die Zuschauer haben das Recht, auch ein bisschen zu verstehen: Wie tickt denn die oder der eigentlich, der das alles macht? Und in diesem Fall kann es keine zwei Meinungen geben. Wir haben uns ja gerade bei Putin lang genug die Dinge schöngeredet. Man glaubte: Na ja, gut, er macht zwar diese Dinge, aber jetzt hat er seine Krim und schwadroniert ein bisschen herum, aber eigentlich ist das ein ganz netter Typ und er hat günstiges Gas, also lass es uns kaufen. Und die Folgen davon sehen wir jetzt. Wir haben ihn leider nicht ernst genommen. 

Sie scheinen in letzter Zeit eine richtige Lust an der Konfrontation entwickelt zu haben. Hatten Sie diese Lust immer schon, können Sie aber erst jetzt ausleben?

Wir sollten uns im Fernsehen trauen, wieder mehr zu streiten. Streit kann etwas sehr Belebendes sein. Die Frage ist doch: Wollen wir uns weiterhin bis zur totalen Erschöpfung gegenseitig mit Floskeln bewerfen und dabei am Ende unser Publikum verlieren? Oder bestehen wir darauf, dass Politiker auf eine einfache Frage auch eine klare Antwort geben? Oder dass sie, wenn das nicht möglich ist, offen und ehrlich sagen, warum das nicht geht. Einer, der das gerade in Perfektion macht, und eben nicht so tut, als wäre er Superman oder Batman oder beides gleichzeitig, ist Robert Habeck. Der sagte neulich bei uns sinngemäß: Wir können im Moment nicht auf russisches Gas verzichten. Das ist bitter, weil aus unserem Geld Granaten werden, die Ukrainer töten. Aber die Wahrheit ist: Wenn wir morgen den Gashahn abdrehen, dann haben wir übermorgen Massenarbeitslosigkeit in Deutschland. Das verstehen die Leute dann interessanterweise auch. So entstehen im Fernsehen kleine Momente von Wahrhaftigkeit.

Sie haben in einem Interview gesagt, Sie sind jetzt mit der Sendung genau dort, wo Sie immer sein wollten. Wie viel Macht hat Ihre Sendung eigentlich?

Ich bin da immer für ein bisschen Zurückhaltung und Demut, weil ich glaube, man sollte seine eigene Rolle wirklich nicht überschätzen. Es wäre völlig vermessen zu sagen: Ich weiß genau, wie es funktioniert, und genauso machen wir es ab jetzt immer. Das wäre das Ende der Sendung. Und ich habe hohen Respekt vor Leuten, die im Moment politisch Verantwortung übernehmen. Politiker zu sein ist gerade ein Albtraum. Da haben wir Journalisten die bessere Position. Wir müssen einfach nur fragen. Aber Politiker müssen Antworten geben. Das ist schwer in Zeiten, in denen es auf viele Fragen gar keine Antwort gibt. Trotzdem müssen wir unsere Arbeit machen und die unbequemen Fragen trotzdem stellen. Denn wenn wir das nicht tun, dann werden die Leute irgendwann sagen: Dieses System funktioniert nicht mehr, die stecken ja sowieso alle unter einer Decke. Das wäre fatal.

Das haben Sie auch in Ihrer Rede zum Deutschen Fernsehpreis angesprochen. Sie haben sich da gegen klassische Politikmagazine durchgesetzt. Was hat Ihnen das bedeutet, den Preis in der Sparte Information bekommen zu haben? 

Das war ein besonderer Moment! Sie müssen wissen: Wir sind ja eigentlich eine Unterhaltungssendung. Und die Idee war ursprünglich mal: Die machen da ein bisschen nette Abendunterhaltung, kurz bevor die Leute ins Bett gehen. Im Zweifel: Lieber Michael Wendler als Michael Müller. Doch Markus Heidemanns, mein langjähriger Partner und ich, hatten irgendwann das Gefühl: Lass uns mehr Politik machen. Wir dachten: Es muss doch möglich sein, andere Politikergespräche zu führen. Und plötzlich waren wir mittendrin in dem Ganzen. 

Was bedeutet Ihnen die Nominierung für die ROMY in dieser Sparte? 

Viel. Die ROMY ist ja ein Publikumspreis. Das wäre die vielleicht schönste Auszeichnung, die man kriegen kann. Denn das Publikum ist unbestechlich. Das ist die wirklich harte Währung in diesem Geschäft. 

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