Lanz über Österreich: "Ihr habt einen komischen Minderwertigkeitskomplex"
Polit-Talker Markus Lanz navigierte viele Fernsehzuschauer durch die Corona-Pandemie und seziert aktuell in seiner Sendung den Krieg in der Ukraine. Dafür ist er für die ROMY nominiert.
Es ist eine der erstaunlichsten Wandlungen im jüngeren deutschen Fernsehen: Vom „Wetten, dass..?“-Einspringer und Unterhaltungstalker entwickelte sich der Südtiroler Markus Lanz zum maßgeblichsten politischen Fragensteller. Von Dienstag bis Donnerstag pilgern die Politiker zu seiner ZDF-Talksendung „Markus Lanz“ nach Hamburg, um hartnäckig befragt zu werden.
KURIER: In Ihrer Sendung geht es jetzt fast nur noch um Politik. Ist das vielleicht auch Ausdruck dieser dauerhaft von Krisen beherrschten Zeit?
Markus Lanz: Wir haben uns immer verstanden als Resonanzboden dessen, was da draußen in der Welt passiert. Seit einigen Jahren merken wir: Die gemütlichen Zeiten sind vorbei, Krise ist das neue Normal. Ich habe mich mit Olaf Scholz mal darüber unterhalten, kurz bevor er Kanzlerkandidat wurde. Er sagte damals sinngemäß: Niemand kann dich auf das vorbereiten, was wirklich passiert. Du hast zwar eine Idee davon, wie du das Land verändern willst, aber dann kommt die Realität. Und du merkst: Warte mal, das stand doch alles nicht im Koalitionsprogramm. Genau das erleben wir gerade wieder, und es löst bei vielen Leuten das Gefühl einer permanenten Verunsicherung aus. Und das ist es auch, was es Populisten wie Trump so leicht macht, und es hat letzten Endes auch den Aufstieg von Sebastian Kurz ermöglicht. Ich will die beiden aber wirklich nicht gleichsetzen.
Kurz war eigentlich nie bei Ihnen in der Sendung, obwohl er in deutschen Talkshows ziemlich präsent war …
Er hat in Deutschland immer seine Connections gepflegt. Bei uns hat es aber irgendwie nie gepasst. Unsere Sendung entsteht manchmal wirklich erst an dem Tag, an dem sie auch tatsächlich stattfindet. Vielleicht Terminprobleme? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die BILD-Zeitung meistens schneller war. (lacht)
In Ihrem ZDF-Podcast mit Richard David Precht haben Sie zuletzt angesichts des Ukraine-Kriegs auch von einem Kampf zwischen Autokratie und Demokratie gesprochen.
Leon Panetta (früherer US-Verteidigungsminister, Anm.) hat es kürzlich so beschrieben: Im Moment wird so viel von einer Zeitenwende geredet, dass es fast schon wie eine Phrase klingt. Aber vielleicht stimmt es. Vielleicht sind wir tatsächlich an einem entscheidenden Punkt unserer Geschichte. Unsere Art zu leben, unsere Freiheit, unsere Identität: Was ist das alles wert, wenn wir nicht bereit sind, dafür zu kämpfen? Putin geht es doch nicht um Territorium. Putin hat auch nicht Angst vor einer wirtschaftlich ziemlich schwachen Ukraine. Putin hat Angst vor einer funktionierenden Demokratie vor seiner eigenen Haustür. Denn dann könnte seiner eigenen Bevölkerung irgendwann auffallen, was Sache ist: nämlich, dass dieses eigentlich so reiche Russland ein hoffnungsloser Sanierungsfall ist. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen auf dem Niveau der Türkei. Und mit nur noch sieben Prozent der Wirtschaftskraft der USA. Vor zehn Jahren waren es noch mehr als 12 Prozent. In wessen Taschen ist also der Reichtum Russlands gewandert? Die russische Bevölkerung, die immer ärmer wird, wird das eines Tages wissen wollen.
Putin als „Kriegsverbrecher“
Joe Biden und auch die EU haben mittlerweile für Putin das Wort Kriegsverbrecher deutlich in den Mund genommen. Das habe ich bereits vergangene Woche bei Ihnen gehört. Haben Sie die Formulierung bewusst gewählt?
Ja, das habe ich bewusst gemacht. Es ist sehr interessant, wenn Sie sich Angela Merkel mal anschauen. Die hat nichts dazu gesagt bis jetzt, bis auf ein Mal. Und in diesem sehr kurzen Statement hat sie zwei Mal das Wort Angriffskrieg benutzt, was völkerrechtlich und politisch wichtig ist, weil es ein Unterschied ist, ob Sie von Krieg oder von Angriffskrieg sprechen. Angriffskrieg ist Überfall, Invasion, ist ein Kriegsverbrechen.
Obwohl Sie in einer Informationssendung wenige Moderatoren oder Moderatorinnen finden werden, die explizit sagen, Putin sei ein Kriegsverbrecher.
Ich glaube, das wird sich durchsetzen. Wir sind auch keine Nachrichtensendung, es ist eine Sendung, die meinen Namen trägt, es ist ein politisches Gesprächsformat mit Haltung und Meinung. Und ich finde, die Zuschauer haben das Recht, auch ein bisschen zu verstehen: Wie tickt denn die oder der eigentlich, der das alles macht? Und in diesem Fall kann es keine zwei Meinungen geben. Wir haben uns ja gerade bei Putin lang genug die Dinge schöngeredet. Man glaubte: Na ja, gut, er macht zwar diese Dinge, aber jetzt hat er seine Krim und schwadroniert ein bisschen herum, aber eigentlich ist das ein ganz netter Typ und er hat günstiges Gas, also lass es uns kaufen. Und die Folgen davon sehen wir jetzt. Wir haben ihn leider nicht ernst genommen.
Sie scheinen in letzter Zeit eine richtige Lust an der Konfrontation entwickelt zu haben. Hatten Sie diese Lust immer schon, können Sie aber erst jetzt ausleben?
Wir sollten uns im Fernsehen trauen, wieder mehr zu streiten. Streit kann etwas sehr Belebendes sein. Die Frage ist doch: Wollen wir uns weiterhin bis zur totalen Erschöpfung gegenseitig mit Floskeln bewerfen und dabei am Ende unser Publikum verlieren? Oder bestehen wir darauf, dass Politiker auf eine einfache Frage auch eine klare Antwort geben? Oder dass sie, wenn das nicht möglich ist, offen und ehrlich sagen, warum das nicht geht. Einer, der das gerade in Perfektion macht, und eben nicht so tut, als wäre er Superman oder Batman oder beides gleichzeitig, ist Robert Habeck. Der sagte neulich bei uns sinngemäß: Wir können im Moment nicht auf russisches Gas verzichten. Das ist bitter, weil aus unserem Geld Granaten werden, die Ukrainer töten. Aber die Wahrheit ist: Wenn wir morgen den Gashahn abdrehen, dann haben wir übermorgen Massenarbeitslosigkeit in Deutschland. Das verstehen die Leute dann interessanterweise auch. So entstehen im Fernsehen kleine Momente von Wahrhaftigkeit.
Sie haben in einem Interview gesagt, Sie sind jetzt mit der Sendung genau dort, wo Sie immer sein wollten. Wie viel Macht hat Ihre Sendung eigentlich?
Ich bin da immer für ein bisschen Zurückhaltung und Demut, weil ich glaube, man sollte seine eigene Rolle wirklich nicht überschätzen. Es wäre völlig vermessen zu sagen: Ich weiß genau, wie es funktioniert, und genauso machen wir es ab jetzt immer. Das wäre das Ende der Sendung. Und ich habe hohen Respekt vor Leuten, die im Moment politisch Verantwortung übernehmen. Politiker zu sein ist gerade ein Albtraum. Da haben wir Journalisten die bessere Position. Wir müssen einfach nur fragen. Aber Politiker müssen Antworten geben. Das ist schwer in Zeiten, in denen es auf viele Fragen gar keine Antwort gibt. Trotzdem müssen wir unsere Arbeit machen und die unbequemen Fragen trotzdem stellen. Denn wenn wir das nicht tun, dann werden die Leute irgendwann sagen: Dieses System funktioniert nicht mehr, die stecken ja sowieso alle unter einer Decke. Das wäre fatal.
Das haben Sie auch in Ihrer Rede zum Deutschen Fernsehpreis angesprochen. Sie haben sich da gegen klassische Politikmagazine durchgesetzt. Was hat Ihnen das bedeutet, den Preis in der Sparte Information bekommen zu haben?
Das war ein besonderer Moment! Sie müssen wissen: Wir sind ja eigentlich eine Unterhaltungssendung. Und die Idee war ursprünglich mal: Die machen da ein bisschen nette Abendunterhaltung, kurz bevor die Leute ins Bett gehen. Im Zweifel: Lieber Michael Wendler als Michael Müller. Doch Markus Heidemanns, mein langjähriger Partner und ich, hatten irgendwann das Gefühl: Lass uns mehr Politik machen. Wir dachten: Es muss doch möglich sein, andere Politikergespräche zu führen. Und plötzlich waren wir mittendrin in dem Ganzen.
Was bedeutet Ihnen die Nominierung für die ROMY in dieser Sparte?
Viel. Die ROMY ist ja ein Publikumspreis. Das wäre die vielleicht schönste Auszeichnung, die man kriegen kann. Denn das Publikum ist unbestechlich. Das ist die wirklich harte Währung in diesem Geschäft.
Thomas Gottschalk und der "Phantomschmerz"
Manche sagen: Gut, dass Ihnen damals „Wetten, dass..?“ abhanden gekommen ist, so konnten Sie sich darauf konzentrieren, dass Sie jetzt mit Ihrer Hartnäckigkeit die Politiker abklopfen. Sehen Sie das selbst auch so?
Ich habe nie viel von Karriereplanung gehalten. Leben ist ja bekanntlich das, was uns zustößt, während wir darauf warten, dass sich unsere Hoffnungen und Träume erfüllen. Bei „Wetten, dass..?“ war es allerdings ein bisschen anders. Das ist ja erst mal Thomas Gottschalk abhanden gekommen und andere, die dafür infrage gekommen wären, wie Hape Kerkeling zum Beispiel, haben abgewunken. Der Sender wiederum wollte dieses unglaubliche Erfolgsformat natürlich nicht einfach aufgeben, was ich gut verstehen kann. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf. Interessant fand ich: Obwohl er mit der Show aufhören wollte, meine ich bei Thomas immer so einen gewissen Phantomschmerz gespürt zu haben. Und deshalb habe ich mich sehr gefreut, als er sich jetzt entschlossen hat, diesen Phantomschmerz ein für alle Mal zu besiegen und das ultimative Gegenmittel einzuwerfen, nämlich wieder „Wetten, dass..?“ zu machen (lacht) Und es hat ja auch super funktioniert! „Wetten, dass..?“ ist Thomas Gottschalk und Thomas Gottschalk ist „Wetten, dass..?“ Für mich war es eine prägende, zum Teil harte, zum Teil aber auch sehr schöne Erfahrung. Was kaum einer bedenkt: Wir hatten aus heutiger Sicht wirklich gute Einschaltquoten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ich habe nie davon geträumt, um 20.15 Uhr eine Showtreppe herunterzukommen. Das, was wir jetzt alle zusammen in Hamburg machen, ist genau das, was ich in meinem Fernsehleben am allerliebsten gemacht habe. Und wenn ich darf, würde ich gerne noch ein bisschen weitermachen. (lacht)
Bereit für den Shitstorm
Wie wirkt es auf Sie, wenn man im Netz aus der Sendung oder aus Ihrem Podcast "Lanz und Precht" einzelne Punkte herausgreift und sich darauf einschießt. Wie zum Beispiel Richard David Rechts Standpunkt, dass die Ukraine möglichst bald einen Kompromiss mit Russland suchen sollte …
Jede Diskussion ist zunächst mal gut. Und wenn man sich in die Küche stellt, muss man die Hitze eben auch aushalten. Wir können uns ja nicht auf der einen Seite über die Wehleidigkeit des einen oder anderen Politikers beklagen, und dann selbst beleidigt sein, wenn wir angegangen werden. Ich finde nicht nur, dass wir zu wenig streiten. Wir streiten auch sehr seltsam. Wir streiten uns zum Teil ganz primitiv, richtig unter der Gürtellinie. Das können Sie sich jeden Tag im Netz anschauen. Und auf der anderen Seite trauen wir uns nicht aus der Deckung. Mir hat mal ein Spitzenpolitiker gesagt: „Ich überlege mir ganz genau, ob ich bei Ihnen am Donnerstagabend einen provokanten Satz rauslasse oder nicht. Ich frage mich: Bin ich bereit für den Shitstorm, der dann mein ganzes Wochenende versaut? Oder möchte ich lieber einen gemütlichen Sonntag haben? Dann äußere ich mich nur sehr verklausuliert und zurückhaltend.“ Das ist aber schade, weil es interessante Debatten zerstört. Und ich schätze Richard David Precht sehr dafür, dass er immer wieder bereit ist, sich in den Sturm zu stellen. Das trauen sich nicht viele. Das Netz ist da übrigens ein interessantes Korrektiv: Wenn jemand nur den einen provokanten Satz von Richard zitiert und den Rest weglässt, dann fliegt das heutzutage sofort auf. Denn es wird sich sofort einer finden, der das im Netz richtigstellt und den ganzen Zusammenhang zitiert.
Es gibt Gäste, die immer wieder bei Ihnen eingeladen werden, wie Robin Alexander, Gerald Knaus oder Karl Lauterbach. Gefällt Ihnen der Gedanke, gewisse Lieblingsexperten und -expertinnen zu haben?
Ich schätze die alle wirklich sehr. Warum? Weil sie Dinge können, die im Fernsehen enorm wichtig sind. Wer kann bestimmte Zusammenhänge so erklären, dass alle sie verstehen? Wer kann das Publikum rhetorisch in seinen Bann ziehen? Wer kann in der Sendung hart streiten, ohne dabei hektische rote Flecken zu kriegen und auf dem Stuhl hin und her zu hampeln? Die Kritik, die Sie da äußern, kommt ja häufig. Übrigens nicht nur bei uns, sondern bei allen anderen auch. Aber wenn Sie wirklich die eben genannten Kriterien anlegen, dann ist der Pool derer, die wirklich infrage kommen, gar nicht mehr so groß. Er ist sogar erschreckend klein. Das ist tatsächlich ein Problem im Fernsehen, das gebe ich gerne zu.
Lanz und Lauterbach
Karl Lauterbach war sehr oft in Ihrer Sendung, auch in anderen. Aber was schätzen Sie an ihm als Talkgast? Und wie er sich als Gesundheitsminister im Stil verändert? Haben Sie sich in den Fragestellungen verändert?
Wir haben tatsächlich ein sehr persönliches Verhältnis, das es übrigens schon lange vor der Pandemie gab, und ich glaube, das hat etwas mit unseren Lebenswegen zu tun. Er sagt immer: „Ich bin ein Arbeiterkind und habe meine Herkunft nicht vergessen.“ Genauso ist es bei mir auch. Auch ich bin ein Arbeiterkind, und das hat mich tief geprägt. Aber wenn Sie sich Gespräche zwischen Karl Lauterbach und mir ansehen, werden Sie merken: Wir schenken uns nichts, wir schonen uns nicht. Und genau das ist das, was ich an ihm so schätze: Man kann sich mit ihm streiten wie ein Kesselflicker, und hinterher trotzdem mit einem stillen Wasser auf einen gelungen Abend anstoßen.
Coronakrise "wie eine Netflix-Serie"
Wie war die Erfahrung damit, in der Corona-Krise kein Studio-Publikum zu haben. Sie haben gesagt, Sie wollen auch nach der Pandemie auf Publikum verzichten. Warum?
Das ist ganz interessant, die Sendung hat sich mehr und mehr zu einem Kammerspiel entwickelt. Man kann sich nicht mehr mit einem steilen Spruch den schnellen Applaus abholen. Das ist ganz gut, weil es gibt ja Politiker, die das unheimlich gut beherrschen. Aber die Politiker müssen jetzt stärker um das gute Argument kämpfen. Einen populistischen Spruch raushauen und hoffen, dass wer klatscht und der Rest im Applaus einfach untergeht, das funktioniert jetzt nicht mehr. Ich habe das Gefühl, das finden alle gleichermaßen gut. Die Politiker, weil sie auch Spaß am Argumentieren haben, und interessanterweise findet es auch das Fernsehpublikum gut, dass kein Publikum im Studio sitzt. (lacht)
In der Pandemie gab es zwei extreme Pole bei Talksendungen: Einerseits, Runden mit polarisierenden Gästen einzuladen, andererseits, auf hochseriöse Expertenrunden zu setzen. Wo haben Sie sich da positioniert?
Wir haben tatsächlich versucht, nicht wirklich konfrontativ zu besetzen. Das ist auch nicht die Idee unserer Sendung. Sie können ja eine Sendung so besetzen, dass Sie relativ sicher sein können, dass es Krawall gibt. Sie können die Sendung auch so besetzen, dass sie immer mit der allerersten Liga der Politik besetzt ist. Darum geht es bei uns auch nicht. Es geht darum, inhaltlich zu besetzen. Deswegen haben sie häufig bei uns die Situation, dass Sie von vier Gästen drei vielleicht noch nie gesehen haben. Und das tut aber der Sendung überhaupt keinen Abbruch. Die Leute sind sogar dankbar dafür. Vielleicht ist aber auch unsere Sendezeit ein Vorteil, weil die Leute am späteren Abend schon mal das erste Glaserl ausgetrunken haben und entspannter sind, oder schon eingeschlafen sind und sich nicht mehr wehren können. (lacht)
In der Corona-Krise haben Sie das Profil der Sendung noch einmal schärfen können. Haben Sie das selbst auch so gesehen?
Wenn man so mittendrin im Gemetzel ist, dann nimmt man das eigentlich nicht so wahr. Eigentlich war die Idee: Man muss diese Geschichte berichten wie eine Netflix-Serie. Was bedeutet: Es geht immer weiter, die Dinge bauen aufeinander auf, aber es gibt immer wieder neue Aspekte, neue Wendungen, neue Einzelheiten, über die wir dann ganz spezifisch gesprochen haben. Ich habe immer versucht zu vermeiden, immer wieder bei Adam und Eva anzufangen. Ich habe das Gefühl, dass die Leute da mitgehen, auch wenn da Leute sitzen, die so richtig aus dem akademischen Betrieb kommen. Dirk Brockmann, ein brillanter Mathematiker und Physiker, hat einfach einmal 30 Minuten Grafiken erklärt, wie bei einem Proseminar an der Uni, aber vor zwei Millionen Leuten. Das Interessante war, als wir uns am nächsten Tag die Kurve angesehen haben: Niemand geht dabei weg, alle bleiben total dabei. Man darf sein Publikum wirklich nicht unterschätzen. Das gehörte in der Pandemie zu meinen wichtigsten Erkenntnissen.
Wie viel Spaß macht Ihnen das Podcast-Format mit dem Philosophen Precht?
Für uns war immer klar: Das darf nicht die Fortsetzung von Fernsehen mit anderen Mitteln sein. Und Richard ist jemand, den ich über die Jahre sehr schätzen gelernt habe. Auch seinen Mut, provokant zu argumentieren und auch Positionen zu vertreten, die sich nicht anbiedern bei irgendeinem vermeintlichen Mainstream, sondern einfach das zu sagen, was er wirklich denkt. Und dieser Austausch macht mir großen Spaß. Auf einer anderen Ebene ist es für mich faszinierend, diesen Beruf auszuüben, weil ich drei Mal pro Woche darüber diskutiere, wie Politik funktioniert. Wenn ich dann für eine Reportage rausgehe und zum Beispiel in San Francisco mit einem Obdachlosen spreche, kann ich mir die konkreten Auswirkungen von Politik vor Ort ansehen. Ich kann dann wieder ins Studio zurückgehen und die Politiker damit konfrontieren, was Ihre Art Politik zu machen auslöst. Und dann gibt es jetzt seit kurzer Zeit nochmal die Metaebene oben drüber, in der man sich mit jemandem wie Richard ganz ruhig auf einer anderen Ebene genereller austauscht über Gesellschaft, Politik und die Art und Weise, wie wir unser Leben gestalten.
Wie intensiv bereiten Sie den Podcast eigentlich vor?
Wir tauschen uns nur kurz einen Tag vorher darüber aus, welches Thema wir machen wollen. Und dann geht's eigentlich los, wir setzen uns beide am nächsten Morgen hin und reden.
Die Positionen sind also noch nicht klar abgesteckt.
Das ist ja das Spannende daran. Das entsteht dann beim Reden. Es geht schon darum, selber zu denken. Ich genieße es auch, mich mit Richard auszutauschen, weil er eine faszinierende Eigenschaft hat. Richard ist wahnsinnig schlau und verglichen mit Richard ist man eigentlich wahnsinnig doof. Er tut aber so, als würde er es nicht merken, und das mag ich so an ihm. (lacht)
Sie sagen im Podcast, dass sie Smartphones nicht mehr missen können, aber auch nicht missen wollen. In sozialen Netzwerken sind Sie offenbar eher der Beobachter.
Absolut. Aber ich versuche - wenngleich auf subjektiv geprägte Art und Weise - einen möglichst neutralen, unvoreingenommenen Blick darauf zu werfen. Und es gibt viele Entwicklungen in den sozialen Netzwerken, die man zu Recht kritisieren kann. Sie tragen eine Mitschuld daran, dass die Gesellschaft so polarisiert ist. Aber Social Media ist auch wichtig für die soziale Hygiene, auch gerade jetzt mit Blick auf diesen Ukraine-Krieg. Wir können uns nicht mehr ein X für ein U vormachen lassen. Viele Bilder werden mit Smartphones aufgenommen. Und dann kann man nicht sagen: Das hat nie stattgefunden, weil alles wird dokumentiert. Natürlich wird auch manipuliert, aber die große Richtung ist: Es gibt nichts mehr, was unbeobachtet bleibt. Und das macht es für Leute wie Putin zunehmend schwer, da durchzukommen und ihr schmutziges Geschäft zu betreiben. Außerdem gibt es einen großen sozialen Druck auf Firmen, wenn sie Geschäfte mit diesem Regime machen, dann müssen sie sich spätestens auf Social Media fragen lassen: Warum macht ihr das eigentlich? Und die Leute bleiben da echt hartnäckig dran. Das empfinde ich als echte Bereicherung. Es ist auch ein unheimlich starkes Instrument. Schauen Sie sich Selenskij an, die Kraft und Stärke dieses Präsidenten entsteht fast nur über Social Media.
Österreich und Südtirol
Österreich war in deutschen Talkshows lange Zeit nur dann ein Thema, wenn die Skandale eine gewisse Wahrnehmungsschwelle überschritten haben. Aber zuletzt war plötzlich das Thema PCR bei Ihnen aktuell und man hat dann schon auch den Blick nach Österreich geworfen. Sollte man öfters in die Alpenrepublik schauen aus Deutschland?
Tatsächlich ist Österreich in den deutschen Medien häufig ein Thema. Natürlich einerseits, wenn vermeintliche russische Oligarchentöchter auf Ibiza erhebliche Dinge angeboten kriegen oder Angebote machen, die man nicht ablehnen kann. Aber häufig wird Österreich auch sehr wohlwollend besprochen, so nach dem Motto: Schau mal, wie die Österreicher das machen, mit den Mieten zum Beispiel, Stichwort Wien. Schau dir an, wie die Österreicher das mit dem hohen Rentenniveau machen, wie bezahlen die das eigentlich? Wieso ist eine Stadt wie Wien in der Lage, in der Woche so viel PCR-Tests zu machen wie ganz Deutschland gefühlt in vier Wochen? Über Österreich wird häufig sehr positiv gesprochen. Ich glaube, ihr habt da manchmal so einen komischen Minderwertigkeitskomplex, aber den solltet ihr ablegen.
Gerade beim Thema PCR haben wir uns schon gewundert, warum das Gurgelsystem in Deutschland nicht aufgegriffen wurde.
Österreich ist schon ein Land, wo man das Gefühl hat, dass jeder jeden kennt. Auch Österreicher selbst sagen immer mal gerne mal: Wir sind ja kein richtiges Land, Österreich ist eigentlich ein Club. Das hat in bestimmten Situationen dann auch einen großen Vorteil, weil man sehr schnell und pragmatisch Dinge auf die Spur bringen kann. Und das machen die Österreicher mit großem Erfolg.
Wie haben Sie früher von Südtirol aus auf Österreich geblickt?
Österreich war immer wichtig, weil man gleich hinter der Grenze günstig tanken konnte, das gehört zu den frühesten Kindheitserinnerungen. Und es gab diese sensationell gute Milchschokolade. Es gab Leute aus meiner Familie, die sind nur zum Schokolade kaufen über die Grenze nach Österreich gefahren und dann wieder zurück. Österreich ist ja für Südtirol immer wichtig gewesen, als „Schutzmacht“, obwohl ich das Wort immer schwierig fand. Wenn sie durchs Pustertal nach Sillian fahren und dann nach Lienz, dann sind sie offiziell in Österreich und in Osttirol. Aber die Wahrheit ist: Es ist ein und dasselbe Tal, ein und dieselbe Sprache bis hinein in die kleinsten Verfärbungen dieses Dialekts. Es sind sogar dieselben Dolomiten, die Lienzer Dolomiten. Es gehört übrigens zu den großen Leistungen der Südtiroler, dass sie es geschafft haben, der Welt weiszumachen, dass die Dolomiten ausschließlich in Südtirol stehen. Dabei ist ja der größte Teil der Dolomiten überhaupt nicht auf Südtiroler Gebiet. Aber das haben wir sehr gut hingekriegt. (Lacht)
Sie fahren öfter in Ihre Heimat Südtirol. Wie geht es Ihnen dort? Sind Sie da der Markus Lanz, so wie er früher war? Oder geht es auch um die Themen, die in Ihren Sendungen vorkommen?
Nein, überhaupt nicht. Das ist ja das Schöne. Heimat ist für mich immer ein wichtiger Begriff gewesen. Auch zu einer Zeit, als in Deutschland häufig damit gefremdelt wurde. Wenn jemand Heimat sagte, dann war das etwas Deutschtümelndes. Ich habe das nie verstanden. Meine Heimat hat für mich überhaupt nichts mit völkischem Gedankengut zu tun. Heimat ist eine gewisse Landschaft, nicht irgendein Berg. Ich finde die österreichischen Berge wunderschön. Aber zu Hause ist für mich, wenn ich die Südtiroler Berge sehe, die Dolomiten aus dem Pustertal, auf die ich immer geschaut habe in meiner Kindheit. Diese Gerüche, die Sprache. Ich lege größten Wert darauf, dann wirklich Südtiroler Dialekt zu sprechen. Ich fotografiere sehr viel, bin dann oft auf der Alm unterwegs und fotografiere alte Bergbauern. Die schauen kein Fernsehen und wissen überhaupt nicht, was ich beruflich mache. Die würden im Leben nicht auf die Idee kommen, dass ich mittlerweile mehr als die Hälfte meines Lebens in Deutschland lebe und eigentlich ganz anders spreche. Das freut mich dann immer unheimlich, weil ich merke: Ich bin immer noch Teil von dieser Welt. Und das Schöne an Heimat ist für mich immer gewesen: Es ist der Ort, an dem du sein kannst, wenn du glücklich bist, wo keiner fragt, warum, wieso, weshalb. Du bist einfach du und du bist okay, so wie du bist. Und das ist das, was Heimat ausmacht. Und das ist das Gefühl, das ich ganz intensiv mit Südtirol verbinde.
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