Seltener, aber länger
Denn allmählich schwappt der Greta-Effekt, ausgelöst von der jungen Klimaaktivistin Greta Thunberg, auch auf das Mega-Thema Reisen über. Die Sparte des nachhaltigen, sanften Öko-Tourismus prosperiert ebenso wie das öffentliche Bewusstsein: Selbst Jetsetter wie US-It-Girl Nicky Hilton oder Starbloggerin Caro Daur philosophierten zuletzt medienwirksam über ihre CO2-intensive Vielfliegerei und beteuerten, dafür zu Hause öfter aufs Fahrrad zu steigen. In der Thunberg-Heimat Schweden hat man für die empfundene Scham beim Fliegen sogar ein Wort erfunden (das wunderbare „Flygskam“). Nicht mehr zu verreisen, ist in einer globalisierten Welt keine Option, darüber besteht über die Generationen hinweg Konsens. Nachhaltiger Tourismus – per Definition der größtmögliche Reisegenuss bei einer möglichst geringen negativen Beeinflussung von Natur und Bevölkerung am Urlaubsort – ist nicht nur eine Option, sondern zunehmend eine Notwendigkeit. Reisen, ohne einen Fußabdruck zu hinterlassen – geht das denn überhaupt?
Das vermeintliche Paradoxon offenbart sich bereits bei der Anreise, in der Regel über den Wolken (die Welttourismusorganisation zählte 2012 erstmals mehr als eine Milliarde Auslandsreisen, davon ein Großteil Flugreisen): Wer ein Mal von Wien nach Sydney und retour fliegt, verbraucht fast so viel CO2 (6,6 t) wie der Durchschnittsösterreicher in einem ganzen Jahr (7,19 t). Umweltschutzorganisationen empfehlen daher, erst ab einer Distanz von 700 Kilometern (Wien–Berlin: 523 km Luftlinie) in den Flieger zu steigen und pro Flugstunde zumindest eine Woche am Zielort zu verweilen. Heißt, dass Mitteleuropäer minimum zweieinhalb Wochen auf Mallorca urlauben sollten. Hmm. Auch der flotte Wochenendtrip nach Barcelona oder Amsterdam erledigt sich durch die Faustregel von selbst, es sei denn, man nimmt den Zug und plant (mindestens) einen Tag mehr für die Anreise ein. Freilich, distanzabhängige CO2-Kompensationszahlungen – etwa über atmosfair und MyClimate – finanzieren Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern und beruhigen nebenbei das Gewissen. Die Erderwärmung werden sie aber kaum stoppen (zumal Schätzungen zufolge nur ca. ein Prozent aller Flüge kompensiert wird). Die Lösung kann nur lauten: Verzicht. Seltener verreisen, dafür länger bleiben. Warum nicht – sofern möglich – Urlaubstage sammeln und statt einmal im Jahr eine Woche Mittelmeer einmal in fünf Jahren sechs Wochen Nordamerika erkunden? Oder überlegen, ob es sich im Nachbarland nicht ebenso gut relaxt wie auf der griechischen Insel? „Es ist eine moralische Frage“, erklärte Patrick Hofstetter, Experte für Klimapolitik beim WWF, kürzlich in der NZZ. Seine Worte saßen: „Fliegen tötet. Jeder Flug, den ich mache, verkürzt das Leben eines anderen Menschen, über den Klimawandel und die Wetterextreme.“
Langsam und fernab der Masse
Je lauter solche Stimmen werden, desto mehr tut sich in der Branche. Ab 2020, so das ambitionierte Ziel der Luftfahrtindustrie, soll der Luftverkehr nur noch CO2-neutral wachsen, selbst Kreuzfahrtschiffe rüsten nach, um ihre drei größten Umweltsünden – Müllberge, Lebensmittelverschwendung, Schweröl – aus der Welt bzw. dem Meer zu schaffen. Hotels von Kalifornien bis Mecklenburg-Vorpommern rühmen sich mit Nachhaltigkeitssiegeln, mit Costa Rica hat sich sogar ein ganzes Land der grünen Philosophie verschrieben. Freilich nicht (nur), weil sie die Tiere so lieb haben: Touristiker haben erkannt, dass ein einziges Foto vom plastikbedeckten Traumstrand jahrzehntelange Werbung zunichte macht. Laut einer deutschen Umfrage legen mittlerweile 14 Prozent der Urlauber Wert auf ressourcenschonendes Reisen, drei Viertel sind bereit, mehr zu bezahlen, wenn dafür die Umwelt nicht leidet.
Aus dem Wunsch nach klimaneutralem Reisen entstanden weitere Trends, die sich an der Rettung des Planeten orientieren. „Undertourism“ versteht sich als Antithese zu „Overtourism“, von dem man wiederum spricht, wenn die Anzahl der Touristen die Bevölkerungszahl um ein Vielfaches übersteigt (in Island etwa kommen auf 334.000 Einwohner jährlich 1,9 Millionen Besucher). Laut dem Tourism Density Index, der für 2018 die Dichte von Touristen in beliebten Urlaubszielen gemessen hat, sind Sri Lanka, Kolumbien oder der Iran besonders Undertourism-geeignet. Obacht beim Foto-Posten: In der Ära Social Media wird auch aus dem entlegensten Geheimtipp rasch ein Wallfahrtsort. Als ein italienischer Blogger ein Bild vom bis dato unbekannten Verzascatal in der Schweiz mit seiner Gefolgschaft teilte, klagten Anrainer wenig später über Müllberge und kilometerlange Staus. Der kleine Ort war mit der fotowütigen Massen heillos überfordert.
Hier setzt der „Slow Tourism“ an, der langsame Tourismus. Statt Schlangestehen vor Sehenswürdigkeiten und Prügeleien um den besten Selfie-Platz (so geschehen vergangenes Jahr am Trevi-Brunnen in Rom) stehen Entspannung, Achtsamkeit und der Austausch mit Einheimischen im Vordergrund. Die Anreise erfolgt, sofern möglich, per Zug und in der Nebensaison, große Hotelketten und All-Inclusive-Burgen werden gegen privat geführte Unterkünfte getauscht. Das Smartphone, ganz wichtig, bleibt auf Flugmodus. (Posten kann man zu Hause auch noch) Auf diese Weise erholt sich nicht nur die Umwelt, sondern auch der Urlauber selbst.
Auch das ist er, der Greta-Effekt.
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