Portugals raues unbekanntes Hinterland

Portugals raues unbekanntes Hinterland
Lange sah die Zukunft in der Region düster aus, weil nur noch Altes da war. Doch jetzt sichert die Tradition das Überleben in liebevoll renovierten Dörfern.

Das Leben ist zurück. Es kam mit den Intellektuellen und Aussteigern. Mit deren Ideen und natürlich ihrem Geld. Nordportugal ist der Rückzugsort für Leute aus Lissabon, die der Stadt überdrüssig geworden sind. Hier renovieren sie Fabriken, revitalisieren Hotels und retten ganze Dörfer. Dörfer wie Marialva (unten) mitten im Nirgendwo.

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Portugal
Der Ort gehört zu den Historischen Dörfern (siehe Geschichte unten), hat viel Geschichte und keine Zukunft. Zumindest war das bis vor kurzem so.

Einige alte Leute winken freundlich, als das Auto mit den Besuchern in den engen Gassen fast stecken bleibt. Früher waren sie die einzigen Bewohner. Doch seit das Casas do Côro aufgemacht hat, übrigens das beste Landhotel in ganz Portugal, kommen wieder mehr Leute – auf Urlaub oder für immer.

Das ist Paulo Romão zu danken, dem Eigentümer des Hotels aus vielen kleinen Häusern aus dem 16. Jahrhundert, die liebevoll renoviert wurden. Romão hat es höchstpersönlich mit Antiquitäten aus Portugal und Belgien ausgestattet (unten: das Restaurant).

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Casas do Coro
Alle seine fünf Kinder arbeiten mit, die jüngste ist zwölf und kocht, erzählt der stolze Vater. Er selbst macht zwar eigentlich in Stoff, versammelt hier im Nirgendwo aber Gäste aus 85 Ländern: "Manche kommen fünfmal im Jahr."

Gut, das mit dem Nirgendwo war jetzt leicht übertrieben. Die Region war in grauer Vorzeit ein Brennpunkt, und die Spuren sind noch überall zu sehen: Um die Felsbilder von Foz Coa, übrigens UNESCO Weltkulturerbe, zu besichtigen, startet man am besten in Castel Rodrigo, einem uralten Dorf, in dem engagierte Rückkehrer die Steinhäuschen renoviert haben. Darunter Ana Berliner, die mit ihrem Mann ein kleines Hotel mit sensationellem Ausblick betreibt. Wenn die studierte Biologin mit Kochen und Servieren fertig ist, packt sie ihre Gäste in einen kleinen Bus und führt sie nachts ins Tal der Felsenkünstler.

Schauen in der Dunkelheit

Nicht nur wir hatten diese Idee; gleich drei voll besetzte Autos kommen uns auf dem holprigen, stockdunklen Feldweg entgegen. Denn: Bei Nacht sieht man die in den Stein geritzten Tiere besser.

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Portugal
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Ana Berliner beleuchtet die Felsen von unten (oben) und wie von Zauberhand beginnen Auerochs, Steinbock, Fisch und Pferd zu leben. Wer wissen möchte, wie und warum die Steinzeitkünstler eine Galerie unter freiem Himmel angelegt haben, besucht am nächsten Vormittag am besten Antonio Batarda im nahe gelegenen Parque Arqueológico do Vale do Côa.
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portugal/e. Museu do coa
Der Archäologe sagt von sich selbst, dass er mit dem Côa-Museums (oben) verheiratet sei und erzählt bei der Führung, wie seine Vorfahren mit Quarzwerkzeugen Linien und Punkte in den weichen Fels bohrten und ritzten. "Das echte Museum aber ist das Tal mit 17 Kilometern Vorzeitkunst", sagt er.

Land im Land

Nordportugal ist eine Land im Land – rau und einsam, wilder Rosmarin, Lavendel, Ginster prägen es.

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Centro de Portugal
Jetzt blüht lila der Spanische Herbst-Krokus. Faia Brava und Serra da Estrela, beide Naturschutzgebiete, laden zum Wandern ein (unten).
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Die Berge sind dünn besiedelt. Die Leute produzieren Wein, Olivenöl, Käse und ernten Mandeln.

In der Serra da Estrela, dem Sternengebirge, ist Portugal am höchsten. Hier dauert es ein bisschen länger, bis morgens der Raureif verschwunden ist. Erst dann bekommen Kräuter und Gräser auf den Plateaus ihr Grün zurück. Und weil ein Großteil des Sternengebirges unter Naturschutz steht, dürfen die Weiden nicht mit Kunstdünger behandelt werden. Deshalb bleibt die Wolle der Schafe genauso rückstandsfrei wie ihre Milch und der von Feinschmeckern hoch geschätzte Rohmilchkäse Queijo da Serra.

Schmuckes Hideaway

Es war dieser Käse, der João Tomás vor 15 Jahren in die Region zog. Ursprünglich kam er aus Lissabon zum Wandern. Dann hat er seinen Juristenjob gekündigt, ein über 100 Jahre altes ausgebranntes Haus renoviert und ein Hotel daraus gemacht, "Casa das Penhas Douradas" – ein schmuckes Hideaway.

Überall liegen Wolldecken herum, die Sessel sind mit Filz gepolstert. Dafür ist Joãos Frau, Isabel Costa, verantwortlich. Die ehemalige Biotech-Ingenieurin suchte nach einer Fabrik, die den filzähnlichen Burel, der seit 1100 v. Chr. hier nachgewiesen ist, herstellt. Fündig wurden sie in Manteigas am Fuß des Bergmassivs. Das Dorf soll nicht aussterben wie so viele andere im Hinterland, fand das karrieremüde Paar aus der Stadt und kaufte die bankrotte Firma.

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Portugal
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"Heute arbeiten mehrere Generationen hier, denn wir haben alle wieder angestellt", erzählt Tomás. Früher wurde Burel für praktisch-wasserabweisende, aber unansehnliche Schäfer-Umhänge in Tarnfarben verwendet. Heute werden daraus leuchtend orange, lila, gelbe, grüne Taschen, Decken, Teppiche, Kappen, Schlüsselanhänger, Schals, Zeitschriftenhalter und Hocker hergestellt. Tomás: "Wir wollen es modern machen". Das gefällt – Japanern, Amerikanern, Europäern, Australiern. Die von Designern entworfenen Stücken gehen in alle Welt. Und die Fabrik kann man natürlich besichtigen (unten).
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Portugal

Mächtige Mauern, verwinkelte Gassen, tiefe Brunnen und uralte Häuser mit fast mystisch anmutender Atmosphäre: alles ist so erhalten, wie es Jahrhunderte zuvor gebaut und genutzt wurde. Die "Aldeias Históricas de Portugal" sind eine Vereinigung von zwölf mittelalterlichen Dörfern, die teils aus dem 11. und 12. Jahrhundert stammen. Manche gehen sogar bis auf die Mauren oder Römer zurück.

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Grafik
Auf seinen Reisen, die er 1981 in seinem Buch "Viagem a Portugal"(in der deutschen Ausgabe "Die portugiesische Reise") beschrieb, besuchte der Literaturnobelpreisträger José Saramago fast alle heutigen Historischen Dörfer (Marialva, Castelo Rodrigo, Trancoso, Almeida, Castelo Mendo, Linhares, Belmonte, Sortelha, Piodão, Castelo Novo, Monsanto und Idanha-a-Velha).

Jedes der zwölf Dörfer hat seine Eigenart und seinen eigenen Reiz: Almeida etwa mit seinen tief in die Erde versenkten Wällen, dessen sternförmige Form der Besucher nur am Stadtplan erkennt. Castelo Rodrigo, das dafür in die Höhe geschossen ist und auf einem Hügel thront. Oder Marialva, das im Mittelalter eine wichtige militärische Festung war.

Um den Zerfall dieser einzigartigen Dörfer zu vermeiden, wurden sie authentisch rekonstruiert, Sitten sowie Traditionen wurden wiederbelebt und kulinarische Köstlichkeiten wiederentdeckt. Sie sind heute Spiegelbild des Bemühens, die Geschichte so zu erhalten, dass nachfolgende Generationen sie nicht nur in Büchern, sondern beim Besuch nachempfinden können.

600 Kilometer

Apropos Besuch: Eine 600 Kilometer lange Route verbindet die Dörfer heute, und Radfanatiker bewältigen die schon mal in einem Urlaub.

Info: Radprogramme zu und in den Historischen Dörfern: www.a2z-adventures.com

Anreise z. B. mit TAP Portugal täglich von Wien nach Porto, Tickets für Hin- und Rückflug in der Economy Class kosten ab 358,30 €, www.flytap.com/de-de/

Währung Euro

Beste Reisezeit Frühling, aber auch Herbst

Übernachten Casas do Côro, Marialva, twitter.com/casasdocoro– Casa da Cisterna, Castelo Rodrigo, www.wonderfulland.com/cisterna/– Casa das Penhas Douradas Design Hotel & Spa, Manteigas, www.casadaspenhasdouradas.pt

Erleben Steinzeit-Felsenkunst im Côa Museu, Vila Nova de Foz Côa, www.arte-coa.pt

Historische Dörfer www.aldeiashistoricasdeportugal.com

Buchen Zum Beispiel bei ARR: Rundreise "Centro de Portugal" in die noch unbekannte Mitte Portugals. Abseits der Besucherströme im Süden des Landes können hier noch nahezu unberührte Gegenden entdeckt werden: Naturparadiese wie der Duoro Nationalpark oder das Côa-Tal mit seinen jahrtausendealten Felsgravuren oder das von Gletschern geformte Estrela-Gebirge (9 Tage, ab 2190 €, Termine 23.04. bis 01.05.2018 oder 26.10. bis 03.11.2018) www.arr.at

Auskunft ARPT Centro de Portugal, ☎ +351 232 432 032, eMail: info@centerofportugal.com, www.centerofportugal.com

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