Wenn Väter ihre Kinder töten

Wenn Väter ihre Kinder töten
Allein in Wien gab es heuer schon 283 Wegweisungen. Die Richter raten Opfern, bei ersten Anzeichen Schutz zu suchen.

Ein Kebab-Standler erschießt seinen achtjährigen Sohn Berk in der Volksschule in St. Pölten und danach sich selbst. Ein Wiener wirft sich mit seinem zweijährigen Sohn im Arm im Weinviertel vor einen Zug. Ein Oberösterreicher erschlägt seine 14-jährige Stieftochter Paulina, wobei er seinen Sohn noch zum Komplizen macht, und erhängt sich danach in der Zelle. Drei Väter, die mit dem Mord am Kind ihre Ex-Frauen treffen wollten. Häufen sich diese Fälle? Und wie kann man sie verhindern?

Die Familienrichter beobachten ein erhöhtes Gefahrenpotenzial und drastischere Folgen. Sie appellieren an die Opfer von Gewalttätern, bei ersten Anzeichen massiver Aggression sofort zu reagieren und Hilfe von Polizei, Interventionsstellen sowie Gerichten in Anspruch zu nehmen.

Trügerisch

Ein Schutzmittel ist die Wegweisung bzw. das Kontaktverbot. Diese Maßnahmen werden von der Polizei für 48 Stunden und vom Gericht für ein Jahr oder während eines Scheidungsverfahrens auch für länger verfügt. Heuer gab es allein in Wien bereits 283 gerichtlich angeordnete Wegweisungen, wobei die Donaustadt mit 36 am stärksten und Hietzing mit zwei am schwächsten betroffen waren. Im gesamten Vorjahr gab es 548 Wegweisungen. Allerdings kann dieser Schutz auch trügerisch sein.

Gabriela Thoma-Twaroch, Vorsteherin des Bezirksgerichts Wien-Josefstadt, berichtet von einem aktuellen Fall: Eine Frau beantragte am Freitag, noch rasch vor einem zu erwartenden gewalttätigen häuslichen Wochenende, ein Betretungsverbot für ihren Mann. Dieser hatte sie bereits einmal eingesperrt, ihr das Handy weggenommen – die Richterin sah eine Gewaltspirale vor sich und riet der Frau, sofort in ein Frauenhaus zu gehen. Die Frau wartete zu. Am Montag bekam die Richterin die Verständigung, dass sich die Frau im Krankenhaus befindet. „Für ein bestimmtes Gewaltpotenzial reicht die Wegweisung nicht aus", sagt Thoma-Twaroch.

Schutzzonen

Aus der Analyse solcher Fälle heraus fordern die Familienrichter eine Zusatzausbildung für sich selbst und für Polizisten, um konkrete Gefährlichkeitsanalysen erstellen zu können. Außerdem plädieren sie dafür, jedem Opfer häuslicher Gewalt einen psychologischen und rechtlichen Berater zur Verfügung zu stellen. Die Zusammenarbeit zwischen Zivilrichtern und Polizei soll intensiviert werden, damit man Schutzzonen gemeinsam auf Bereiche außerhalb der Wohnung ausdehnen kann, in denen Gewalteskalationen zu erwarten sind. Etwa auf Schulen. Im „Fall Berk" in St. Pölten wusste die Volksschule nicht, dass sich bei dem Achtjährigen daheim ein Beziehungsdrama der Eltern abspielte.

Die Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, Marlene Perschinka, gibt zu bedenken: Polizei und Richter seien darauf angewiesen, was von Opferseite – in dem Fall von der Mutter des Buben – an Informationen kommt. „Wenn sich die Gewalt vorher nie gegen das Kind gerichtet hat, kommt niemand auf die Idee, dass es in der Schule geschützt werden muss."

„Die früheren Übergriffe nicht bagatellisieren“

Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner über Kinder mordende Väter und gebrochene Tabus.

KURIER: Die Familienrichter beobachten, dass die Gewalt in der Familie exzessiver wird. Machen Sie auch diese Erfahrung?
Heidi Kastner: Das deckt sich mit der Jugendkriminalität, die steigt nicht an, aber sie wird intensiver. Die üb­lichen Tabus gelten nicht mehr, heute wird auch noch auf den am Boden Liegenden hingetreten.

Warum stellen manche Männer den Hass auf ihre Frauen über die Liebe zu ihrem Kind?
Das Medea-Syndrom gab es schon in der griechischen Mythologie. Die eigene Gekränktheit wird ausgelebt, die Liebe zum Kind untergeordnet. Es gibt keine Häufung. In der Familie sind nun einmal die tiefsten Emotionen, daher kommt der Großteil der Tötungs­delikte aus dem familiären Umfeld. Es gibt aber heute einen Hang, alles psychologisch erklären zu wollen. Früher sagte man: Der hat die umgebracht. Heute: Der konnte den Trennungsschmerz nicht verkraften.

Wie kann man Eskala­tion vorhersehen und verhindern?
Der verlässlichste Faktor ist das vergangene gewalttätige Verhalten. Was hat der bis jetzt schon gemacht? Man sollte frühere Übergriffe nicht baga­tellisieren. Damit steigt nämlich die Wahrscheinlichkeit zu Gewalttätigkeit drastisch an. Es ist aber auch nicht sinnvoll, jede Trennung mit massiver Angst zu überfrachten. Man sollte nicht hysteri­sieren.

 

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