Ukraine beim ESC: Lied mit politischem Sprengstoff

Als Kind kehrte Jamala zurück auf die Krim, die heute von Russland annektiert ist.
Eurovision: Das Lied über die Deportation der Krim-Tataren 1944 kann durchaus als Hinweis auf die gegenwärtige Politik des Kreml verstanden werden

Ihr Auftritt am Samstagabend ist eine politische Demonstration. "1944", so der Titel des Songs – keine Anspielung sondern eine unmissverständlicher Hinweis auf die Geschichte. 1944, das war das Jahr, als Stalin die Krim-Tataren nach Zentralasien deportieren ließ. Auch die Großeltern von Susana Dschamaladinowa, die als Jamala auf der Bühne stehen und die Ukraine beim Eurovision Song Contest in Schweden vertreten wird. Geboren wurde sie im zentralasiatischen Kirgistan.

1944 ist aber auch ein Jahr in der Geschichte, das gerade dieser Tage immer wieder von Vertretern der Krim-Tataren als Beispiel für die Gegenwart genannt wird. Und genau da liegt der politische Sprengstoff dieses Liedes.

Rund zwölf Prozent der rund zwei Millionen Einwohner der Krim sind Tataren. Die Annexion der Krim durch Russland im April 2014 ging einher mit einem sukzessiven Vorgehen der neuen russischen Machthaber auf der Halbinsel gegen diese Volksgruppe. Erst vor zwei Wochen wurden die institutionalisierten Selbstverwaltungsorgane der Krim-Tataren, die Mejlis, von den russischen Behörden auf der Krim als "extremistische Organisationen" gebrandmarkt und verboten. Zahlreiche Vertreter der Mejlis haben sich seit 2014 auf das ukrainische Festland abgesetzt. Und die, die geblieben sind, haben die russischen Strafverfolgungsbehörden am Hals.

"Schrittweise Eskalation"

Der amtierende Chef der Mejlis, Refat Chubarow, der heute in Kiew sitzt, charakterisierte dieses Vorgehen der russischen Behörden auf der Krim als "schrittweise Eskalation der Repressionen" gegen die Tataren – allen Versprechungen des russischen Staatschefs Putin zum Trotz, der nach der Einverleibung der Krim lauthals geschworen hatte, alle Minderheitenrechte würden gewahrt werden.

Die Realität sieht aber ganz anders aus. Tatarische Kultureinrichtungen, Schulen ebenso wie Medien wurde die Lizenz entzogen. Verhaftungen und Hausdurchsuchungen stehen auf der Tagesordnung.

Die überwiegende Mehrheit der Tataren lehnt die russische Besatzung ab - zu nah ist die Geschichte der von Moskau verordneten Verbannung nach Zentralasien. Entsprechend groß sind gegenwärtig die Ängste.

Erst vergangenen Donnerstag wurde der stellvertretende Chef der Mejlis, Ilmi Umerow, zusammen mit drei anderen Personen festgenommen. Der Vorwurf: Er habe öffentlich zur Untergrabung der territorialen Integrität Russlands aufgerufen. Es ist ein Tatbestand, der mittlerweile derart ausgelegt wird, dass jeder, der die bestehende völkerrechtliche Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine öffentlich zur Sprache bringt, angeklagt werden kann. Umerow und den drei weiteren Beschuldigten wird zudem vorgeworfen, der in Russland als Terrorgruppe gelisteten Organisation Hizb ut-Tahrir anzugehören – ein Vorwurf, der in steter Regelmäßigkeit bei den mittlerweile mehrmals wöchentlich stattfindenden Verhaftungsaktionen auf der Krim genannt wird. Für Verurteilungen reichte dann aber auch nur eine anonyme Zeugenaussage.
Tatsächlich haben sich die Mejlis von Hizb ut-Tahrir, einer pan-islamistischen Organisation, die aber nicht als Dschihadistisch eingestuft wird, öffentlich distanziert – weil sie Muslime als "gut" und "schlecht" kategorisiere, wie es der ehemalige Chef der Mejlis, Mustafa Dzhemilew nannte. Nicht zuletzt aber wohl auch, weil die Aktivitäten dieses Kults die Autorität der Mejlis untergraben.

Finanzielle Unterstützung durch EU

Erst am vergangenen Donnerstag hatte auch das EU-Parlament in einer Resolution angeregt, die Mejlis im Kiewer Exil finanziell zu unterstützen. Einher ging der Aufruf aus Brüssel mit einem Appell an die russischen Behörden, eine unabhängige Untersuchung aller Berichte von Folter zuzulassen.

Wenn Jamala heute also von 1944 singt und die Erinnerung an eine grausame Vergangenheit hoch hält, dann ist damit eigentlich 2014, 2015 oder auch 2016 gemeint.

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