Nahost: Appell gegen die Mauer

Nahost: Appell gegen die Mauer
Schikanen durch die Israelis und die Schwäche der Autonomiebehörde machen den Palästinensern das Leben schwer.

Wenn in der Küche von Um Ashraf die Gasflasche leer wird, muss sich die 50-Jährige auf den Weg nach Jerusalem machen. Die Stadt ist zwar nur einen Kilometer von ihrem kleinen Dorf Khallet an Nu’man entfernt, seit einigen Jahren aber ist es eine kleine Weltreise dorthin. Denn Um Ashraf wohnt in einer Enklave. Das Dorf gehört zwar zum palästinensischen Territorium des Westjordanlands, ist davon aber durch die Mauer getrennt, mit der sich Israel seit 2003 vor Terrorangriffen schützen will.

Um nach Jerusalem und wieder zurückzukommen, kann Um Ashraf nicht mehr den direkten Weg nehmen, sondern muss vier Checkpoints passieren. Zuerst ins Palästinensergebiet "hinein", dann wieder "hinaus" nach Jerusalem – und zurück. Und manchmal kommt es vor, dass sie bei der letzten Kontrolle vor ihrem Dorf die neu gekaufte Gasflasche wieder abgeben muss – ohne Begründung.

Auf die zweite Intifada (2000–2005) mit mehr als 20.000 Anschläge reagierte Israel mit Abschottung: Die Grenzen wurden geschlossen, Palästinenser aus Gaza und dem Westjordanland durften nicht mehr in Israel arbeiten, an der Grenze zu den Palästinensergebieten wurde ein "Terrorabwehr-Zaun" errichtet, der den unkontrollierten Grenzübertritt verhindern und Attentäter fernhalten soll.

Doch die Palästinenser sind sicher: "Die wollen uns psychisch fertigmachen, bis wir die Gebiete verlassen, die sie für sich haben wollen." Das sagt eine Frau, die mit Um Ashraf im Wartezimmer einer improvisierten Klinik sitzt. Die wird von CARE Österreich betrieben und von der EU finanziert. "Es ist nicht nur das Gas", sagt sie. "Ohne diese Klinik hätten wir keine Chance auf Gesundheitsversorgung." Sie erzählt von ausbleibenden Passierscheinen für Rettungswagen und von schwangeren Frauen, die nach Ramallah oder Ostjerusalem ziehen, weil sie Angst haben, bei Komplikationen nicht rechtzeitig in ein Krankenhaus zu kommen. "Es ist ganz klar. Die Israelis wollen uns aus diesem Dorf weghaben", sagt Vizebürgermeister Jussef dar-Awui zum KURIER. "Aber das Dorf war hier, bevor es einen israelischen Staat gegeben hat. Es ist mein Land, für mich ist es unmöglich, wegzugehen."

Finanzspritzen

Ohne internationale Finanzhilfen wäre der – noch zu etablierende – Palästinenserstaat nicht lebensfähig. Ein Viertel der Palästinenser lebt unter der Armutsgrenze und die Palästinensische Autonomiebehörde steckt seit heuer in einer ernsten Finanzkrise.

Ihr Budget setzt sich aus Steuereinnahmen, die Israel eintreibt und weitergibt, sowie internationalen Finanzhilfen zusammen. Die Oslo-Abkommen von 1993 verpflichten Israel zu Wirtschaftshilfen. Das sind gut 700 Millionen Euro pro Jahr und damit zwei Drittel des palästinensischen Budgets.

Doch die sind nicht immer sicher. Als bekannt wurde, dass Palästinenserpräsident Abbas vor der UNO im Alleingang einen palästinensischen Staat ausrufen wollte, fror Israel die Zahlungen vorübergehend ein. Größter Geldgeber ist die EU, erst danach kommen die USA. Rund 400 Millionen Euro investiert die Union pro Jahr in die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit der Autonomiebehörde.

Das Europäische Amt für humanitäre Hilfe (ECHO) ist seit 2000 in den Palästinensergebieten tätig. Vor allem der verminderte Zugang der Bevölkerung zu Wasser, Gesundheitsversorgung, gesunder Nahrung und zum Arbeitsmarkt macht seine Arbeit im Westjordanland und im Gaza-Streifen notwendig. ECHO-Leiter Mamar Merzouk spricht von materieller, aber auch psychosozialer Hilfe für die Menschen. Durch die Mauer und die Einschränkungen laste ein enormer psychischer Druck auf den Palästinensern. Die Langzeitfolgen seien unberechenbar.

"Mein Kind muss jeden Tag den Checkpoint passieren", sagt die 27-jährige Siham. Kürzlich hatte das 7-jährige Mädchen seine Geburtsurkunde vergessen und wurde von israelischen Soldaten dort stundenlang festgehalten. "Das ist ein Kind! Sie hat sich zu Tode gefürchtet. Stellen Sie sich vor, Sie wachsen so auf!"

Unparteiisch

Auch wenn die Kommissarin für Entwicklungshilfe, Kristalina Georgieva, stets betont, wie wichtig eine Öffnung der Gaza-Sperre und ein Ende der Barrieren im Westjordanland wären, sagt Merzouk: "Wir sind nicht hier, um in einem Konflikt Partei zu ergreifen. Die Hilfsorganisationen haben uns vor zehn Jahren gerufen, um sie finanziell zu unterstützen."

Erst in der Vorwoche trafen sich die Geberländer der Palästinenser in Brüssel. Sie stellten fest, dass die Finanzkrise der Autonomiebehörde zum Dauerzustand wird, sollten die Hilfsgelder erneut zurückgehen. Etwa 800 Millionen Euro wären heuer nötig. Außerdem forderte die Geberkonferenz Israel auf, das Wachstum der palästinensischen Wirtschaft nicht länger durch Grenz-Beschränkungen für Arbeitskräfte und Waren zu behindern.

Den Alltag von Um Ashraf und Sihams Tochter werden solche Appelle aber noch lange nicht erleichtern.

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