Zusperren ist rechtlich kein Muss – Hauptsache ist, der Staat tut etwas

Ein E-Scooter steht auf einem Platz in Wien.
Wie die Politik Leben schützt, ist ihr überlassen – auch, wenn Experten konkret einen Lockdown fordern.

Das Gesundheitssystem ist am Limit. Um einen Kollaps zu verhindern, kann der Gesundheitsminister laut Covid-19-Maßnahmengesetz einen Lockdown verordnen. „Kann“. Aber muss er das nicht sogar – angesichts der Infektionslage, die sich seit Wochen zuspitzt?

In der Presse erklärt ein Jurist am Beispiel Salzburg, dass sich Politiker des Amtsmissbrauchs schuldig machen könnten, wenn sie keinen Lockdown verhängen.

Ist es Verfassungsbruch?

Für den Verfassungsjuristen Christoph Bezemek von der Uni Graz ist der Fall nicht so klar. „Der Staat hat den Schutz auf Leben zu gewährleisten, und dazu gehört ein funktionierendes Gesundheitssystem. Wie er das tut, ist aber nicht konkret vorgezeichnet, es gibt nicht diesen einen Weg. Jede Maßnahme ist ein Ergebnis komplexer Abwägungen“, erklärt er.

Daran ändert auch nichts, dass mehrere Experten genau diese eine Maßnahme, den Lockdown, so vehement fordern – zumindest nicht aus verfassungsrechtlicher Perspektive. Wobei Bezemek aber betont: „Je mehr sich die Situation zuspitzt, desto enger wird der Handlungsspielraum, und umso klarer wird auch, dass ein Lockdown die ultimative Option ist, um akut Zahlen zu senken.“

Amtsmissbrauch?

Was „Amtsmissbrauch“ betrifft, sind Strafrechtler skeptisch: Es müsste nachgewiesen werden, dass ein Politiker „wissentlich“ eine Aktion setzt (oder nicht setzt), die Schaden verursacht.

Und wie sieht es mit Schadenersatz aus? Wenn beispielsweise jemand nach einem Unfall im Spital nicht angemessen behandelt werden kann, weil die Pflegekräfte übermüdet und die Betten mit Covid-Patienten belegt sind – kann der Staat haftbar gemacht werden?

Gibt es Schadenersatz?

Laut dem Zivilrechtsexperten Ernst Karner von der Uni Wien brauche es dafür eine Kausalität: „Man müsste nachweisen, dass ein Schaden nur deshalb entstanden ist, weil der Staat schuldhaft gehandelt hat, indem er eine bestimmte Maßnahme nicht getroffen hat.“

Diese Frage stellt sich aktuell auch bei den Amtshaftungsklagen in der Causa Ischgl. Zu bedenken sei laut Karner aber, dass man damals noch weniger über Corona wusste. Grundsätzlich gelte: „Der Staat hat einen großen Ermessensspielraum, wie er die Pandemie bekämpft. Gar nichts zu tun, kommt jedenfalls nicht infrage.“RAffaela Lindorfer

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