Wo Türkis und Grün derzeit über Kreuz sind
Es war schon einmal harmonischer. Mit der Auseinandersetzung darüber, wie mit Flüchtlingen aus dem niedergebrannten Flüchtlingslager „Moria“ umgegangen werden soll, haben Türkis und Grün an einen Umstand erinnert, der in der Bewältigung der Covid-19-Pandemie über weite Strecken beinahe in Vergessenheit geriet, nämlich: Hier koalieren zwei Parteien miteinander, die nicht erst im Wahlkampf einander widersprechende Ansichten gezeigt und Forderungen gestellt haben.
Man habe „das Beste aus beiden Welten“ unter einem Dach versammelt. So lautete der Slogan, unter dem Sebastian Kurz und Werner Kogler die erste Koalition von ÖVP und Grünen auf Bundesebene propagierten.
Dass der Juniorpartner zuletzt auf offener Bühne den „Zynismus“ der Kanzler-Partei beklagte, liegt daran, dass es nicht um Details, sondern bisweilen um ideologische Grundsatzfragen geht.
So kommt es, dass etwa in Fragen der Sozial-, Flüchtlings- aber vor allem der Umweltpolitik große Anstrengungen unternommen werden müssen, um das viel zitierte „Beste aus beiden Welten“ miteinander zu vereinbaren.
Der KURIER bietet einen Überblick, wo Grüne und ÖVP derzeit und in naher Zukunft aneinander geraten könnten – oder sogar ziemlich sicher werden.
Asylpolitik
Die Flüchtlings- und Migrationspolitik war schon bei den Koalitionsverhandlungen ein Knackpunkt – und sie ist es geblieben. Während die ÖVP an ihrer Zuwanderungspolitik festhält und davor warnt, dass die Aufnahme weiterer Flüchtlinge neue Flüchtlingsströme auslöst („Pull-Effekt“), stellen die Grünen die Pflicht zur Hilfe in den Mittelpunkt: Es sei alternativlos, dass man obdachlose Flüchtlinge aus dem niedergebrannten Flüchtlingscamp Moria nach Europa bringt.
Die Tatsache, dass sich Wien im Wahlkampf befindet, hat die Rhetorik zuletzt verschärft. Erstmals haben wesentliche Verantwortungsträger der Öko-Partei von „Zynismus“ und einer „unwürdigen“ Haltung des Koalitionspartners gesprochen.
Türkis wie Grün verspüren jede Menge Druck: Während die ÖVP mit ihrer Position nach rechts abdichten will, fordern grüne Landesparteiobleute, dass die Grünen nun Flagge zeigen – man müsse obdachlose Kinder aus Moria ausfliegen.
Corona-Ampel
Öffentlich würde die Kanzlerpartei das nie zugeben, aber: Eines der Paradeprojekte des grünen Aushängeministers Rudolf Anschober, die Corona-Ampel, ist der Volkspartei mittlerweile mehr als nur ein Dorn im Auge.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen wird die Ampel insbesondere in den Ländern – und damit von gewichtigen ÖVPlern – kritisch bis ablehnend beurteilt. Das ist für die Kanzlerpartei umso ärgerlicher, als die Covid-Ampel die ohnehin sehr fordernde Gesamtsituation bei der Krisenkommunikation weiter verkompliziert. Dem nicht genug, trägt die Ampel aus Perspektive mancher ÖVPler dazu bei, dass politische Entscheidungen ein Stück weit an Experten delegiert werden.
Die Grünen bzw. Minister Anschober sehen das völlig anders: Für sie ist die Ampel ein Mittel zu mehr Transparenz in der Politik. Vor allem ist sie aber ein Prestigeprojekt, das allein deshalb funktionieren muss, weil bei der Anti-Corona-App anfangs sehr viel schief gegangen ist.
Plastikabgabe
Österreich produziert zuviel Plastikmüll, vor allem Plastikverpackungen. Klima- und Umweltministerin Leonore Gewessler will mit einem Drei-Punkte-Plan einerseits den Müllberg reduzieren, andererseits Strafzahlungen an die EU vermeiden. Dabei denkt sie an eine Quote für Mehrwegflaschen im Handel, ein Pfand auf Einwegflaschen und eine Abgabe für Erstellung und Import von Kunststoffen.
Der Gegenwind ist groß: Das sei so nicht im Koalitionspakt ausgemacht gewesen, heißt es in der ÖVP. Weder der Handel noch die Industrie seien über die Pläne erfreut. Zudem hatte Finanzminister Gernot Blümel schon im Juli darüber nachgedacht, die voraussichtlichen Strafzahlungen an die EU – ab 2021 etwa 160 Millionen Euro – einfach aus dem Budget mit Steuergeld leisten zu wollen.
Dass es ein No-Go für die Grünen wäre, Müll nicht zu vermeiden und einfach nur Strafe zu zahlen, dürfte inzwischen auch bei der ÖVP angekommen sein. Eine Lösung steht in der Koalition aus.
Öko-Steuern
Die Klimaministerin will Gas geben – aber sicher nicht mit einem Verbrennungsmotor: Leonore Gewessler hat zahlreiche Baustellen in ihrem Ressort (übernommen), vieles soll noch 2020 gelöst werden. Morgen, Mittwoch, wird das Ausbaugesetz für die „Erneuerbaren“ (Ökostrom) präsentiert, auf das die Branche seit Jahren wartet. Welche Konflikte sich da auftun, ist vorab gar nicht absehbar.
Jedenfalls konfliktbeladen zwischen ÖVP und Grünen sind die Öko-Reformen zur Pendlerpauschale, beim Dienstwagen-Privileg, bei der Reform der Auto-Normverbrauchsabgabe (NoVA, eine SUV-Steuer gegen Hybride), zudem der Kampf gegen den Lkw-Tanktourismus (Dieselpreis) und eine Erhöhung der Autobahnmaut für Lkw. Dazu der Streit mit einigen (ÖVP-geführten) Ländern über das 1-2-3-Klimaticket in Sachen Öffi-Ausbau und Rückvergütung. Weil all die Punkte unterschiedlich detailliert im Koalitionspakt formuliert sind, bleibt viel Spielraum – auch für Streit.
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