Wie weit links steht Kanzler Kern?

Bundeskanzler Christian Kern am SPÖ-Parteitag im Juni
Von Maschinensteuer bis CETA: Wie viel Ideologie und wie viel Marketing stecken im neuen SPÖ-Chef ?

"Menschen brennen nicht für Kompromisse, sie brennen für Grundsätze und Haltungen."

Am 19. Mai sagte Christian Kern genau das.

Es war im Parlament, der damals neue Bundeskanzler präsentierte sich zum ersten Mal dem Hohen Haus, und die Sache mit der Haltung war eine der Schlüssel-Passagen seiner Rede.

Mittlerweile sind vier Monate ins Land gezogen, der frühere ÖBB-Boss ist mehr oder weniger im Hickhack der Tagespolitik angekommen. Doch weil Kern seinen Koalitionspartner mit Begriffen wie der "Maschinensteuer" und seiner Haltung bei den transatlantischen Handelsabkommen zuletzt irritiert hat, stellt sich mehr denn je die Frage: Wofür steht eigentlich dieser Christian Kern?

Eine Art Mini-Marx

Ist er ein in der Wolle gefärbter Linker, eine "Art Mini-Marx", wie der ÖVP-Abgeordnete und Generalsekretär des Wirtschaftsbundes Peter Haubner befundet?

Oder ist er eher der Marketingmann und Populist, der bei Themen wie der Notverordnung für Flüchtlinge oder seinem Nein zu einem EU-Beitritt der Türkei Positionen vertritt, die – als Überschrift – auch im rechtsnationalen Lager durchaus gut ankommen?

"Die ideologische Überzeugung, also wofür jemand im Herzen brennt, die kann man objektiv schwer nachweisen", sagt Politikbeobachter Peter Filzmaier. Das, was der SPÖ-Chef bislang sage und tue, sei aber eine clevere Mischung aus vielem.

Filzmaier: "Es gibt bei Kern eine klare Mehrheit an linken Positionen, wie gerade eben bei CETA. Das wird allerdings vermischt mit einigen objektiv populistischen Ankündigungen – man denke nur an die geforderten 200.000 Jobs – und mit eingestreuten Rechtspositionen, wie der Aussage, in der EU müssten die Nationalstaaten wieder mehr Kompetenzen bekommen."

Auslöser des jüngsten Konflikts mit der ÖVP war insbesondere ein Kommentar von Kern in der Frankfurter Allgemeinen, in dem der SPÖ-Chef zu einer Abkehr von der allzu rigiden Sparpolitik aufruft und eine massive Aufstockung des Juncker-Investitionsprogrammes fordert.

Ist das schon links? Die ÖVP sagt ja – und rückt den SPÖ-Chef nicht nur in die Nähe einer Kreisky’schen Schuldenpolitik, sondern gar in die Nähe kommunistischen Gedankengutes. Namentlich VP-Chef Reinhold Mitterlehner erkennt bei Kern einen "alt-linken Irrglauben" sowie "Tendenzen eines realen Sozialismus mit menschlichem Antlitz". Und ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling nennt Kern wenig schmeichelhaft einen "linken Ideologieträger".

Worauf Kern kontert, die Kritik an seinen Positionen sei bloß "Ausdruck einer bestimmten rechten Ideologie". Schließlich unterstütze er die von Juncker selbst vorgeschlagene Verdopplung seines Investitionsprogrammes und der Kommissionspräsident sei ein Konservativer, kein Sozialdemokrat.

Wähler zurück?

Strategisch, glaubt Politik-Beobachter Filzmaier, muss Kern jedenfalls linke Positionen vertreten. "Seit Kreisky hat die Sozialdemokratie rund eine Million Wähler an die FPÖ verloren. Mit rechten Positionen kann man die nicht wieder zurückgewinnen."

So gesehen waren die Arbeitszeitverkürzung und die Maschinensteuer nicht von ungefähr die ersten Ansagen des frisch gekürten Kanzlers. Der Aufschrei aus Wirtschaft und ÖVP? Natürlich kam er, immerhin fordern beide seit Jahr und Tag "keine neuen Steuern" sowie eine "Arbeitszeitflexibilisierung".

Richtig tief wurde der Graben aber durch Kerns Aufruf gegen das Freihandelsabkommen CETA. Kern sei "mehr Faymann als Faymann", er vertrete bisher ausschließlich Krone-taugliche Positionen, sagt hier der Politologe und SPÖ-Kenner Anton Pelinka. Also mehr Marketing als Inhalt? Inhaltliche Unterstützung bekommt Kern von US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Der – vor allem von Deutschland geforderte – Sparkurs habe die Krise verschärft. Der Stabilitätspakt sei falsch, bei der Drei-Prozent-Defizitgrenze handle es sich nicht "um die zehn Gebote, die Gott am Berg Sinai übergeben hat".

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