Mehr Arbeit, weniger Klima: Wie Rendi-Wagner dazugewinnen will
In einem Jahr wird in Deutschland der Bundestag neu gewählt. Die SPD sendet Olaf Scholz, Finanzminister und Vizekanzler in der Regierung von Angela Merkel, als Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl.
Am Montag und Dienstag dieser Woche ist Scholz in Österreich zu Gast. Er trifft Amtskollegen Gernot Blümel – und Parteifreundin Pamela Rendi-Wagner. Bei dem gemeinsamen Presseauftritt am Montag in Wien stellen Scholz und Rendi-Wagner die Kernkompetenz ihrer politischen Bewegung – Arbeit und Arbeitsplätze – in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Scholz nennt als eine zentrale Zukunftsaufgabe, das klimaneutrale Wirtschaften. Und zwar müsse "morgen früh" damit begonnen werden.
Scholz ist damit merkbar offensiver und klarer als die SPÖ – dort wurde Rendi-Wagners Vorgänger Christian Kern, als er das Klimathema in den Mittelpunkt rücken wollte, von namhaften Funktionären öffentlich gemaßregelt ("Mit grün-linker Fundi-Politik schaffen wir uns selbst ab"). Seither wird die Frage, wie grün die SPÖ-Politik werden muss, um zukunftsfähig zu sein, nicht mehr angerührt.
Das ist möglicherweise ein Versäumnis der österreichischen Sozialdemokraten. Denn sowohl in Österreich als auch in Deutschland sind die Grünen eine starke Konkurrenz für die Roten geworden. In Deutschland liegen die Grünen in den Umfragen zur Zeit vor der SPD, es steht (im Durchschnitt der Institute) 18 Prozent für die Grünen zu 16 für die SPD. Logisch, dass die SPD beim Klimathema Kanten zeigen muss.
In Österreich sind SPÖ und Grüne kommunizierende Gefäße. Das heißt, es gibt eine gemeinsame Wählerschaft. Wenn eine Partei diese Wähler haben will, muss sie sie ansprechen, und darf sich nicht von ihnen abgrenzen.
Christian Kern ist das bei der Nationalratswahl 2017 gelungen. Er hat 29 Prozent erreicht, die Grünen flogen sogar aus dem Parlament.
Bei der Nationalratswahl 2019 erreichten die Grünen 14 Prozent, die SPÖ sackte auf 21 Prozent ab.
In der internen Nachwahlanalyse der SPÖ wird dem Klimathema daran die Hauptschuld gegeben. "Greta Thunberg war den ganzen Wahlkampf hindurch jeden Tag in den Nachrichten. Sie war wie eine zweite Spitzenkandidatin für die Grünen. Wir konnten zusehen, wie bei uns die Prozentpunkte dahinschmolzen", erzählt ein SPÖ-Stratege dem KURIER.
Die derzeitige SPÖ-Führung zieht aus dem Erstarken der Grünen aber einen anderen Schluss als ihre deutsche Schwesterpartei. Die SPÖ meint, man dürfe nicht zu viel über Klimawandel reden, denn das zahle nur auf das Konto der Grünen ein.
Recht erfolgreich ist sie bislang mit dieser Taktik nicht. Die Grünen haben trotz Regierungskoalition mit der ÖVP, bei der sie einige bittere Pillen schlucken müssen, in den Umfragen zugelegt (auf etwa 16 Prozent). Die SPÖ hingegen sackte nochmals leicht unter ihr ohnehin schlechtes Nationalratswahlergebnis und liegt bei 19 bis 20 Prozent.
Intern wurde in der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße das Ziel ausgegeben, bis zum Jahreswechsel jedenfalls das Nationalratswahlergebnis in den Umfragen zu übertreffen. Die SPÖ setzt auf ihre Kampagne für die 4-Tage-Woche. "Die Zukunft der Arbeit ist kein schlechtes Thema, weil derzeit viele Menschen im Live-Experiment – im Homeoffice oder in Kurzarbeit – erleben, wie es in Zukunft sein könnte", sagt Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer. "Damit ist die SPÖ seit Langem einmal in der Rolle des Modernisierens geschlüpft, und nicht des Verteidigens und Bewahrens."
Auftrieb erhofft sich die Bundes-SPÖ auch durch die Wien-Wahl am 11. Oktober. Derzeit sieht es danach aus, dass Bürgermeister Michael Ludwig das gute Ergebnis von Michael Häupl 2015 (39,6 Prozent) überholen könnte.
Muss Rendi-Wagner nach der Wien-Wahl eine Obfrau-Debatte fürchten?
Nur, wenn die Wahl schlecht für die SPÖ ausgeht. Dann werden die Wiener Genossen einen Schuldigen brauchen – und die magere Performance der Bundespartei bietet sich an.
Die nächste bundesweite Wahl könnte an Rendi-Wagner übrigens glimpflich vorüber gehen. Sollte Bundespräsident Alexander Van der Bellen erneut kandidieren, wird die SPÖ höchstwahrscheinlich keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken. Das spart Geld, das die SPÖ ohnehin nicht hat, und zweitens entgeht man der Gefahr einer Niederlage.
Warum die SPÖ gegen Van der Bellen nicht antritt? Weil Van der Bellen genau von jenen vielen Menschen gewählt wurde, die sowohl für die Sozialdemokratie als auch für die Grünen gewinnbar sind. Ein SPÖ-Stratege: "Uns war Van der Bellen in der Krise nach Ibiza ja viel zu nah an Sebastian Kurz dran. Aber die Meinungsumfragen sagen etwas anderes: er hat fantastische Werte."
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