"Überschätzen sich eher selbst"
Vorab: Laut einer Untersuchung der EZB unter europäischen Banken, die 2019 publiziert wurde, neigen Menschen mit höherer Finanzbildung sogar eher zu variabel verzinsten Krediten. Damals galt aber auch ein anderes Zinsniveau – und zwar ein über Jahre hinweg niedriges. Und natürlich können auch Menschen mit guter Finanzbildung risikofreudig sein.
WIFO-Experte Thomas Url hält deshalb andere Publikationen für aussagekräftiger. Etwa zwei Umfragen der Österreichischen Nationalbank (OeNB), die sich 2014 und 2019 der Finanzbildung der Österreicher widmeten – mit einfachen Fragen. Das Resultat: "Personen, die relativ viele falsche Antworten gegeben haben und somit tendenziell eine schlechtere Finanzbildung aufweisen, überschätzen sich eher selbst. Das heißt, sie sind auch anfälliger dafür, die Folgen ihrer Entscheidungen falsch einzuschätzen", sagt Url zum KURIER.
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Nationale Strategie
Was sich zeigt: Die Fragen wurden 2019 im Durchschnitt häufiger richtig beantwortet. Das Finanzbildungsniveau in Österreich hat sich also verbessert. EU-weit liegt man im Mittelfeld, wie eine Publikation der EU-Kommission von Juli 2023 zeigt. Die Niederländer, Finnen und Dänen schnitten bei einem Online-Test besonders gut ab – rund 40 Prozent der Befragten beantworteten die meisten Wissensfragen richtig. Österreich landete mit 28 Prozent auf Platz elf. Schlusslicht: Rumänien.
Die Bundesregierung hat 2021 die „nationale Finanzbildungsstrategie“ beschlossen, um gegenzusteuern. Mehr Finanzwissen könne einen „wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Erhöhung des Wohlstands in der Gesellschaft erzielen“, sagt Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Der Plan sieht derzeit 125 Maßnahmen vor, um etwa Finanzbildung an Schulen „fächerübergreifend“ zu fördern. Das Finanzministerium erstelle zudem „Unterrichtsmaterialien“ für Lehrer.
In Wien bietet die Schuldnerberatung Jugendlichen kostenlos einen „Finanzführerschein“ an, der sie im Umgang mit Geld unterrichtet. Eine Priorität des Plans, passend zur aktuellen Situation: der Bevölkerung die sichere Nutzung von Krediten und den richtige Umgang mit Schulden näherbringen.
Dass sich früh erworbenes Finanzwissen auf dem späteren Lebensweg bezahlt macht, darauf weist eine Studie der Federal Reserve – des US-Zentralbank-Systems – aus dem Jahr 2014 hin. Die US-Bundesstaaten Georgia, Idaho und Texas hatten 2007 verpflichtende Finanzbildung an Schulen eingeführt. Danach wurde untersucht, wie sich die höhere Finanzbildung auf spätere finanzielle Entscheidungen der jungen Menschen auswirkte. Und zwar im Vergleich zu Bundesstaaten ohne verpflichtender Finanzbildung. „Es hat sich gezeigt, dass junge Menschen, die am Programm teilgenommen haben, später eine höhere Kreditwürdigkeit hatten und deutlich seltener in Rückzahlungsschwierigkeiten geraten sind“, sagt Url.
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"Einfach auch Pech"
Bei aller Bildung: Variabel verzinste Kredite sind prinzipiell im Interesse der Banken und der Kreditnehmer. Warum? „Theoretisch sollte das fest verzinste Produkt im Durchschnitt teurer sein als das variable. Die Bank bietet ja quasi ein Versicherungsprodukt an, das sie sich selbst gegen einlagenseitige Zinsänderungen absichern muss“, erklärt Url. „Wer mit einem variabel verzinsten Kredit in eine Hochzinsphase fällt, hat also auch einfach Pech.“
Der Experte glaubt aber nicht, dass die Banken in den vergangenen Jahren grundsätzlich Kunden schlecht beraten haben: „Es liegt im ureigenen Interesse eines Kreditinstitutes, dass der Kunde rückzahlungsfähig ist. Die Banken können also nur wenig Eigeninteresse an schlechter Beratung haben.“ Getreu dem Motto: Ein Kreditinstitut ist kein Immobilienverwerter.
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Kein großes Problem?
Aber wie groß ist das aktuelle Problem tatsächlich? Die Banken sprechen von nur wenigen Einzelfällen, während SPÖ und FPÖ Alarm schlagen und eine Sondersteuer auf Zinsgewinne fordern.
„Die Wahrscheinlichkeit eines Notfalls bei Immobilienkrediten ist eher klein. Da muss schon einiges zusammenkommen: ein variabler Zinssatz, die Aufwertung eines Fremdwährungskredits und ein persönlicher Schicksalsschlag“, sagt Url. Die Banken würden derzeit eher auf den hohen medialen und politischen Druck reagieren, als auf ein weitreichendes Problem.
Ein Indiz dafür: Die Zahl der Privatinsolvenzen ist laut dem Gläubigerschutzverband Creditforum in Österreich im ersten Halbjahr 2023 nur sanft gestiegen: um fünf Prozent, auf rund 5.000 Verfahren. Das ist ein deutlich geringerer Anstieg als im Vorjahr – der auch bis Jahresende moderat bleiben soll.
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