Wie eine Wiener Direktorin die Bildungsmisere im Kleinen löste
Es war ein Déjà-vu-Moment, aber kein guter: In einem Zeitungsinterview berichtete kürzlich der Pädagoge und grüne Landtagsabgeordnete Felix Stadler, dass einem Drittel der Schulanfänger Wiens die nötigen Deutschkenntnisse fehlen, um dem Unterricht zu folgen – dabei wurden zwei Drittel dieser Kinder in Österreich geboren.
Ein Déjà-vu des KURIER-Schwerpunkts aus dem Jahr 2016, in dem die damalige Wiener Pädagogin Andrea Walach, Direktorin einer Schule mit einem besonders hohen Migrantenanteil, trocken erklärte: „Ein Drittel meiner Kinder sind nicht vermittelbar.“ Also nicht in weiterführende Schulen, aber eben auch nicht in die Lehre, sie sprach von einer „verlorenen Generation“. Die starren Strukturen und Vorgaben des Schulsystems, erklärte Walach damals im KURIER, würden die bestmögliche Ausbildung verhindern, um die Kinder aus allen Kulturkreisen – Serben, Polen, Türken, Somali, Iraker, Syrer, Bosnier, Inder, Tschetschenen, Albaner, Ungarn, Slowaken –, auf ihrem Bildungsniveau abzuholen.
Ein riesiger Erfolg
Ein Jahr später, erzählt die inzwischen pensionierte Direktorin, sah das schon ganz anders aus: „Wir konnten alle Kinder unterbringen, in höheren Schulen bis hin zu Lehrplätzen. 100 Prozent.“
Ein riesiger Erfolg, der bald Schule machte. Was war geschehen?
Die KURIER-Titelseite („Ein Drittel meiner Kinder sind nicht vermittelbar“) vom März 2016 hatte viel Staub aufgewirbelt. Als dieser sich wieder legte, wurde Walach eine Sondererlaubnis ausgestellt, ihren Schulbetrieb so umzustellen, wie sie das für klug erachtet. Walach überlegte nicht lange: Durch das Teamteaching in den „Hauptfächern“ Deutsch, Mathe und Englisch mit zwei Lehrern pro Klasse, hatte sie ausreichend Pädagogen pro Jahrgang zur Verfügung. Bei sechs Pädagogen in drei Klassen pro Jahrgang teilte sie alle Kinder eines Jahrgangs also in sechs „Leistungsgruppen“ mit annähernd gleichem Bildungsniveau.
Für die Lehrer hatte das den Vorteil, dass wieder individuell und gezielt so unterrichtet werden konnte, dass alle Kinder einer Gruppe dem Unterricht folgen konnten, noch dazu in sehr kleinen Gruppen zwischen 10 und 15 Schülern.
Und die Kinder profitierten, weil sie im Unterricht endlich weder unter- noch überfordert waren, sondern genau bei ihrem Wissensstand abgeholt wurden.
Eigentlich verboten
Solche Leistungsgruppen waren damals gesetzlich gar nicht erlaubt – bis zur Reform vom damaligen Bildungsminister Heinz Faßmann, seit September 2020 ist das wieder optional möglich. Mit zwei Unterschieden zu den alten Leistungsgruppen der Hauptschulen: sie dürfen nicht „Leistungsgruppen“ genannt werden, sondern homogene Gruppen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus. Und dass die Schüler aus der besten Gruppe nicht automatisch in eine AHS übertreten können.
Faßmanns fundamentale Änderung für die Mittelschule ging wohl etwas unter, angesichts Corona und den Schulschließungen 2020. Das zeigt sich auch daran, dass auch heute immer wieder Politiker die Forderung nach Wiedereinführung der Leistungsgruppen stellen.
Wie die optionalen Leistungsgruppen tatsächlich praktiziert werden, ist dem Bildungsministerium aber nicht bekannt: „Manche Standorte führen generell dauerhafte Gruppen, es gibt aber auch Mittelschulen, die für die einzelnen Unterrichtsgegenstände oder auch Schulstufen unterschiedliche Settings wählen. Nachdem die Umsetzung schulautonom erfolgt und momentan darauf geachtet wird, Erhebungen zu minimieren, liegen keine entsprechenden Zahlen dazu vor“, hieß es in einer Stellungnahme aus dem Ressort von Minister Martin Polaschek.
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