Bildungsdirektor Himmer versteht, dass Eltern bestimmte Schulen meiden

Für Heinrich Himmer geht mit dem 1. Juli eine Ära zu Ende. Er verabschiedet sich aus der Bildungsdirektion und von seinem dortigen Team: Im KURIER sagt er, was ihn optimistisch macht, was er von einem Kopftuchverbot hält und welche Note er der SPÖ gibt.
KURIER: Wie optimistisch blicken Sie in die Bildungszukunft Österreichs?
Heinrich Himmer: Sehr – besonders stark, wenn ich in die Schulen gehe: Dort sind großartige Menschen, sowohl die Kinder als auch die Lehrpersonen. Man spürt die Energie und die Kraft, die sie haben – das ist die Voraussetzung dafür, dass es mit viel Optimismus auch gelingen kann.
In Wien ist jedes dritte eingeschulte Kind außerordentlicher Schüler. Gleichzeitig fehlt es an Lehrkräften. Wie soll da Schule funktionieren?
Mein Optimismus begründet sich darin, dass Kinder und Jugendliche grundsätzlich eine große Freude am Lernen haben. Das verliert sich zum Teil mit der Zeit. Da stellt sich die Frage, ob das Schulsystem, so wie wir es haben – mit diesen Kategorisierungen, mit den Systematiken – so noch passt. Wir müssen uns deshalb in einem großen Dialog zusammensetzen und in den nächsten Jahren darüber nachdenken, wie ein Schulsystem aussehen muss, dass wir nicht gegenüber Mitarbeitern, Familien und Kindern ein Versprechen abgeben, das wir nicht halten können.
Wir brauchen aber jetzt Lösungen für die Integration. Vor allem Lehrerinnen beklagen, dass sie von einigen männlichen Schülern nicht respektiert werden.
Diese Form von Zuschreibungen gegenüber Schülerinnen und Schülern oder auch Lehrkräften erleben wir hier nicht in der Form, wie der Eindruck sein mag, wenn man Schlagzeilen liest. Es gibt ein großes Miteinander. Klar ist aber auch: religiöse Extrempositionen und Frauenfeindlichkeit haben in unserem Land nichts verloren.
Was soll eine Lehrerin konkret tun, wenn ein Bub sich von ihr nichts sagen lässt?
Wir wollen als Bildungsdirektion niemanden alleine lassen. Deshalb haben wir unter anderem eine Hotline gegen Gewalt an Schulen, die allen offen steht – auch außerhalb der Hierarchie.
Was halten Sie von einem Kopftuchverbot in Schulen? Das schützt doch Mädchen vor patriarchalen Strukturen. Diese Frage gehört inner- und außerhalb des Klassenzimmers geregelt. Wenn, dann müssen wir uns darüber unterhalten, welche Form von Gesellschaft und Gleichberechtigung wir abseits der Klassen ermöglichen können. Ich bin kein Fan davon, Probleme ausschließlich in der Schule zu lösen, dafür braucht es gesamtgesellschaftliche Lösungen.
Muss man die Eltern mehr in die Pflicht nehmen?
Das Wort an sich gefällt mir nicht so gut, weil Eltern das Beste für ihr Kind wollen. Wird ein Kind aber von der Schule suspendiert, und Eltern lehnen Beratungsangebote ab, ist das ein Thema für die Kinder- und Jugendhilfe. Was mir noch ein Anliegen ist: Es gibt einen Eltern-Kind-Pass, der stark gesundheitliche Aspekte in den Mittelpunkt stellt. Da stellt sich die Frage, ob man auch die Bildungslaufbahn mit reinnehmen kann – nämlich klare Erwartungshaltungen: Was braucht es, um ein Kind auch gesund und glücklich groß werden zu lassen?
Verstehen Sie, dass Eltern sich scheuen, Kinder in bestimmte Bezirke oder Schulen zu schicken?
Ich verstehe, dass Eltern einen großen Wunsch nach Orientierung haben. Die Unsicherheit im Bildungsbereich ist in den letzten Jahren deswegen so gestiegen, weil das Vertrauen, dass das der beste Ort für mein Kind ist, nicht immer im gleichen Ausmaß da ist. Da braucht es mit Sicherheit eine gemeinsame, mutige Kraftanstrengung.
Warum scheitern viele Kinder nach neun Jahren Schule am Lesen und Lösen einfacher mathematischer Aufgaben? Unser Schulsystem ist so aufgebaut, dass man davon ausgeht, dass wir noch eine homogene Schülerschaft wie vor 40 Jahren haben. In den urbanen Räumen ist das aber anders, da braucht es andere Instrumente. Allerdings liegt vieles von dem, wie das Bildungssystem gestaltet ist, in Bundeskompetenz.
Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium bewerten?
Durchaus wechselhaft. Es gibt eine hohe Kompetenz im Bildungsministerium, und wir arbeiten in vielen Bereichen sehr gut zusammen. Doch es gibt Bereiche, wo wir uns als Bundesland Wien andere Schwerpunkte wünschen.
Sie müssen auch mit Außen- und Innenministerium kooperieren: Wann wurden Sie informiert, dass das mit dem Familiennachzug problematisch wird?
Die Entscheidung, wer nach Österreich kommt, trifft weder das Bundesland Wien noch die Bildungsdirektion. Die ersten Informationen hatten wir im letzten Jahr nicht vonseiten der Ministerien, sondern vom Österreichischen Roten Kreuz, mit dem wir zusammenarbeiten: Durch die verschiedenen Fluchtbewegungen haben wir in Wien ja schon eine hohe Kompetenz aufgebaut. Allerdings übererfüllt Wien die Quote. Da stellt sich die Frage, inwiefern Migration fair geregelt ist – in Österreich und in Europa. Die Stadt Wien steht zur Humanität. Es geht aber darum, diese als Bildungsverwaltung zu leben – wir müssen schauen, dass es geordnet funktioniert. Sonst überfordern wir die Lehrkräfte noch mehr. Es braucht Menschlichkeit und Ordnung.
Wie schafft man es, jungen Menschen zu erklären, dass Sie Lehrkraft werden sollen?
Es gibt gar nicht so wenige, die das Lehramt studieren wollen. Es ist allerdings heute nicht mehr so attraktiv zu sagen, ich mache Matura, gehe an eine Pädagogische Hochschule und bleibe bis zur Pensionierung Lehrer. Da braucht es Karrieremöglichkeiten wie in anderen Ländern, etwa ein mittleres Management. In manchen Ländern ist zum Beispiel die Unterrichtsvorbereitungen für alle Schulen oder für alle Jahrgänge in einer Hand.
Sie wechseln jetzt in den Nationalrat. Was sehen Sie dort als Ihre Aufgabe?
Die Erfahrung der letzten Jahre hat mir gezeigt, dass fast alles im Bildungsbereich auf bundespolitischer Ebene entschieden wird. Ich bin jemand, der die Dinge nicht nur gerne kommentiert, sondern auch in die Hand nimmt. Da möchte ich einen Beitrag leisten.
Schulleitungen beklagen, dass sie keine Antwort bekommen, wenn sie in der Bildungsdirektion anrufen. Was läuft in der Behörde schief? Es läuft sehr viel gut. So haben etwa erstmals neue Lehrkräfte ihr Gehalt schon im September bekommen – bisher war das frühestens im Oktober der Fall. Gleichzeitig müssen wir so viele neue Lehrpersonen einstellen wie vier Bundesländer zusammen – haben aber nicht die gleiche Anzahl an Personal.
Noch einmal zum Nationalrat: Welche Schulnote würden Sie der SPÖ geben? Schulnoten gibt man, wenn Aufgaben erledigt sind, also bei der Nationalratswahl im September. Bis dorthin möchte ich alles dafür tun, dass es die bestmögliche Note wird. Wobei ich ja kein großer Fan von Noten bin.
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