Wer nimmt die Patienten an der Hand?

SMZ-Ost, Donauspital
Ärzte sollen 100.000 Euro Bonus bekommen, wenn sie unbeliebte Kassenstellen annehmen. Warum das nicht alle drängenden Probleme löst, erklären Experten dem KURIER

Als der Kanzler und sein Stellvertreter Anfang der Woche am Ballhausplatz zum „Sommerministerrat“ luden, gab es streng genommen nur ein Thema: Das Gesundheitssystem – und wie man es in die Zukunft führt. Bis zu 100.000 Euro „Start-Bonus“ verspricht die Regierung Ärzten, wenn sie eine schwer oder nicht zu besetzende Kassenarzt-Stelle übernehmen; insgesamt sollen zusätzliche 200 Millionen Euro ins System gepumpt werden. 

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Aber ist das sinnvoll? Was kann und soll Ärzten wie Patienten zugemutet werden? Und vor allem: Ist die Lage wirklich so beklagenswert – oder befindet sich das Gesundheitssystem nur gefühlt in der Krise?

Zur Frage des Gesamtzustandes hat Maria Hofmarcher-Holzhacker einen klaren Befund: „Die sich nun manifestierende Unzufriedenheit reicht bis 2015 zurück: Schon damals war das System ermüdet“, sagt die auf Gesundheitsfragen spezialisierte Ökonomin zum KURIER. 

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Bereits vor der Pandemie wäre de facto das doppelte Budget vonnöten gewesen. Covid-19 habe zur „endgültigen Erschöpfung“ geführt, es müssten nun „sehr große Schritte in Richtung Reform“ erfolgen.  Auch Thomas Czypionka, Leiter der Forschungsgruppe Gesundheitsökonomik und -politik am IHS, mahnt zu „substanziellen Reformen“; andernfalls lasse sich die Qualität nicht halten.

"One Stop Shop"-Prinzip

Woran aber „leidet“ das System? Eine der großen Fehlentwicklungen besteht darin, dass Medizin nicht dort stattfindet, wo es für alle Beteiligten am besten ist. „Es wird nach wie vor sehr viel in Spitälern gemacht, was dort nicht hingehört“, sagt Czypionka. Chronische und standardisierte Erkrankungen wie Diabetes müssten längst nicht dort behandelt werden. Czypionka macht aber den Patienten keinen Vorwurf: „Die Menschen gehen ins Spital, weil sie dort das ,One-Stop-Shop’-Prinzip gilt: Man erledigt alles auf einmal.“ Gäbe es vergleichbare Angebote im niedergelassenen Bereich, würde die Belastung der Spitäler sinken.

Hier spannt Hofmarcher-Holzhacker den Bogen zur Wahlarzt-Debatte: „Wahlärzte ganz abzuschaffen wäre absurd und teuer für die Kassen. Vielmehr gilt es, das Angebot im niedergelassenen Bereich so auszugestalten, dass die Grundversorgung überall gegeben ist. Patienten gehen oft nicht zum Wahlarzt, weil sie wollen, sondern weil das Angebot im Kassensystem fehlt.“

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