"Wenn Omas auf die Straße gehen, ist es ein Schock"

Omas gegen rechts bei der Gedenkveranstaltung für Ute Bock am Heldenplatz.
Die Plattform wächst von Tag zu Tag. Sie wird zum Symbol des Widerstands gegen die ÖVP/FPÖ-Koalition. Ihr Motto lautet: "Alte Frauen sind unabhängig. Uns kann keine männliche Macht unterdrücken, deswegen sind wir laut".

Am 18. Dezember bei der Anti-Regierungsdemo waren es erst zehn Omas, die mit roten und rosa Strickmützen und Katzenohren zum Protest aufmarschierten. Am Freitag versammelten sich beim Ute-Bock-Lichtermeer am Heldenplatz schon knapp 250 Frauen, die 55 plus sind. Und täglich werden es mehr. Insgesamt kamen rund 10.000 Menschen zum Gedenkevent. Darunter auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Altpräsident Heinz Fischer. Vor 18 Jahren gab es die Donnerstagsdemonstrationen. 2018 entwickelt sich die Omas gegen rechts-Plattform zum Symbol des Widerstandes gegen die ÖVP-FPÖ-Koalition. Der KURIER sprach mit vier Oma-Aktivistinnen (Ex-ORF-Korrespondentin Susanne Scholl, Plattform-Gründerin Monika Salzer, Künstlerin Jenny Simanowitz und Sängerin Fanya de Stella-Palikruschewa, die das Oma-Lied komponierte) über die Beweggründe für ihr Engagement.

KURIER: Sehen Sie das Potenzial, dass die "Omas gegen rechts" die tragende Protest-Bewegung gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung werden könnte?

Susanne Scholl: Ich hasse das Wort Bewegung. Wäre es eine Bewegung, müsste ich mich sofort verabschieden. Wir sehen uns als Plattform für den zivilgesellschaftlichen Ungehorsam. Eine tragende Rolle wollen wir gar nicht, aber wir haben das Potenzial, eine Konstante zu werden. Unsere Ambition ist es, laut zu schreien, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Heute ist ein Diskurs über den Sozialabbau, über den Umgang mit den Flüchtlingen, über unsere Vergangenheit kaum mehr möglich. Unsere Chance ist es, mit einem Schuss Humor zu sagen: Wir reden wieder darüber.

Monika Salzer: Wir sind die Nachkriegsgeneration und das Bindeglied zwischen den Jungen und unseren Eltern. Unsere Generation hat das Land aufgebaut. Das wollen wir uns nicht nehmen lassen. Das ist unsere Verantwortung.

Frau Simanowitz, Sie stammen ursprünglich aus Südafrika und marschieren gerade deswegen mit den "Omas gegen rechts" auf. Was wollen Sie erreichen?

Jenny Simanowitz: Ich bin in einem faschistischen Staat aufgewachsen und weiß, was das heißt. Der unterschwellige Rassismus, der sich in Österreich gerade einschleicht, ist ein Wahnsinn. Außerdem hat mir der Plattform-Name Omas gegen rechts sehr gut gefallen. Wenn Omas auf die Straße gehen, dann ist das ein Schock – aber im positiven Sinn. Denn wenn es eine Gruppe in der Gesellschaft gibt, die nicht existiert, dann sind es alte Frauen.

Salzer: Alte Frauen haben zu schweigen, auf einem Stock zu gehen und die Enkelkinder zu hüten.

Simanowitz: Aber wir sagen ‚Nein‘ und lassen uns das nicht gefallen.

Frau Salzer, Sie haben die Plattform gegründet. Warum haben Sie sich für den Namen "Omas gegen rechts" entschieden?Salzer:

Weil der Begriff absolut positiv konnotiert ist. Das hat mit meiner selbstbewussten eigenen Identität zu tun. Ich bin gerne Oma. Und natürlich fand ich den Namen auch lustig. Andere meinten, wenn du Oma verwendest, wirst du ausgelacht. Aber jetzt wird der Name auch medial positiv aufgenommen. Beim Akademikerball hat eine Zeitung geschrieben: "Linke Omas demonstrieren gegen rechte Opas". Das hat mir gefallen.

Simanowitz: Wir bekommen eine politische Bedeutung: "Je suis Oma".

Salzer: Wir sind unabhängig, wir haben unsere Pension, sind raus aus der Sexualisierung. Man kann uns nicht mehr mit männlicher Macht unterdrücken. Ich würde es nach dem Buch von Leopold Rosenmayr bezeichnen: "Die späte Freiheit".

Fanya de Stella-Palikruschewa: Wir haben nichts mehr zu verlieren. Deswegen können wir laut sein und müssen nicht schweigen.

Sie bezeichnen sich als 68er-Generation. FPÖ-Innenminister Herbert Kickl hat in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung gesagt: "Die Koalition ist ein Gegenentwurf zur 68er-Generation, denn die 68er versuchten im Namen des Fortschritts zerstörerisch zu sein".

Scholl: Das ist interessant. Denn das ist eine echte Spiegelung, wie man es in der Psychologie bezeichnet. Denn was passiert wirklich? Die Koalition höhlt unsere Demokratie aus. Ich sehe das Projekt von Justizminister Josef Moser, alle Gesetze außer Kraft zu setzen und neu zu formulieren, als brandgefährlich. Wir haben sehr gute Gesetze. Es ist nicht notwendig, irgendetwas außer Kraft zu setzen. Schwachpunkte kann man im Parlament novellieren. Wer soll die Gesetze neu überdenken? Die Burschenschafter in den Ministerien? Gute Nacht. Das bedeutet, dass man stillschweigend das NS-Wiederbetätigungsgesetz unter den Tisch fallen lassen könnte. Das kann auch mit dem Schwulen- und Lesbenparagrafen oder dem Abtreibungsparagrafen passieren.

Salzer: Aus dem Herrn Kickl kommt seit 20 Jahren nur Hass. Solche Hassprediger kann ich für meine Kinder und Enkelkinder nicht akzeptieren. Deswegen gehe ich auf die Straße. Wir haben viel zu lange zugeschaut. Die Zeit ist fast überreif dafür.

Frau Scholl, Sie haben 20 Jahre für den ORF aus Russland berichtet und besitzen deshalb ein besonderes Sensorium für den Status quo einer Demokratie. Wie fällt Ihr Urteil über Österreich aus?

Scholl: Wir leben zwar in einer funktionierenden Demokratie, aber wir erleben gerade ihre Schwächen. Lange dachten wir: Der Krieg ist aus, die Nazis sind besiegt, auch die Kommunisten sind weg. Jetzt ist die Demokratie ausgebrochen und bleibt. Aber Demokratie bricht nicht aus und bleibt. Sie ist harte Arbeit. Wir waren leider viel zu lange zu faul. Wozu eine schwache Demokratie führt, haben wir schon einmal erlebt – nämlich zum Zweiten Weltkrieg.

Salzer: Man muss nur über die Dritte Republik nachlesen. Alles, was die Freiheitlichen jetzt fordern, hat Jörg Haider schon propagiert. In diesem Konzept soll die parlamentarische Demokratie verunsichert und ausgehöhlt werden. Ich würde sagen, wir haben Warnstufe eins von drei erreicht.

Bei der ersten schwarz-blauen Koalition war die Empörung um ein Vielfaches größer. Es gab zwar viele Korruptionsfälle, aber Antisemitismus oder Rassismus war nicht das Problem der ersten ÖVP-FPÖ-Koalition. Wo liegt der Unterschied?

Scholl:Es gab auch nicht so viele Burschenschafter in der Regierung. Wenn ich mir anschaue, was in den Ministerien als Kabinettschefs in hohen Positionen herumläuft, dann ist das erschreckend.

Salzer: Ich glaube, auch der Bundeskanzler Wolfgang Schüssel machte den Unterschied. Er war in dieser Frage klarer. Sebastian Kurz versteht das Problem nicht.

Scholl: Ich glaube nicht, dass Kurz das nicht versteht. Es entspricht ihm. Er wäre in der FPÖ besser aufgehoben. Kurz ist ein verkappter FPÖler.

Die "Omas gegen rechts" mit Strickhauben und den Katzenohren besitzen Kultpotenzial. Ist das Ihr Erfolgsgeheimnis?

De Stella-Palikruschewa: Wir fallen aus dem Rahmen und haben dadurch einen Spaßfaktor, der uns sympathisch macht. Und wenn alte Frauen aufmarschieren, dann ist die Sache vielleicht doch ernster.

Salzer: Unser Auftritt ist vielleicht lustig, aber in der Sache sind wir ernst. Ich habe den Rettungsanspruch für die Jungen. Es ist uns eine Herzensangelegenheit, die Welt, die wir aufgebaut haben, für unsere Kinder zu retten. Das nimmt man uns ab.

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