Welche Chancen hätte eine "Liste Peter Pilz"?

Kommt Peter Pilz auch ohne die Grünen ins Parlament?
Was bräuchte es, damit eine etwaige Liste Pilz bei der Nationalratswahl erfolgreich wäre? Und ist so ein Projekt überhaupt realistisch? Wir haben den Politologen Reinhard Heinisch und Meinungsforscher Peter Hajek um ihre Einschätzung gebeten.

Nein, für die Grünen wird er sicher nicht mehr kandidieren. "Unsere Wege haben sich in Linz getrennt", sagte Peter Pilz am Montag zum KURIER. „Das ist für mich erledigt.“ Genauso wie ein Antritt für eine andere Partei.

Nur eine eigene Liste wollte er nicht explizit ausschließen. Ein konkretes Projekt verfolge er zwar nicht, sagte er gestern. Er werde sich dazu aber noch mit seiner Frau beraten. Ein Dementi klingt anders - und seitdem wollen die Gerüchte um eine etwaige "Liste Peter Pilz" nicht mehr verstummen. "Pilz ist ein vifer Knabe, ich sehe nicht, dass er müde wäre, alles andere kann man sich ausrechnen", legte der Wiener Anwalt und Pilz-Freund Alfred Noll am Dienstag im Standard nach. Von Konkretem wisse aber auch er nichts.

Wo ist die politische Lücke?

Aber wofür würde eine "Liste Peter Pilz" überhaupt stehen und welche Chancen würde sie bei der kommenden Nationalratswahl haben?

Meinungsforscher Peter Hajek sieht die "persönlichen Voraussetzungen" für eine eigene Liste jedenfalls gegeben. Pilz verfüge über eine hohe Bekanntheit, habe ein klares, aber auch polarisierendes Profil und könne auf politische Erfolge in der Vergangenheit verweisen, erklärt Hajek – schränkt jedoch gleichzeitig ein, dass eine eigene Liste auf die Beine zu stellen in der Kürze der Zeit kaum mehr möglich sei. Rein formal bräuchte Pilz zwar nur die Unterschriften von drei Abgeordneten, um am 15. Oktober mit einer eigenen Liste antreten zu können (alternativ 2.600 Unterstützungserklärungen, wie sie Roland Düringer für seine Liste "Gilt" gerade aufzutreiben verucht). Für Wahlbewegungen wie es 2013 die NEOS waren "braucht es aber einen zeitlichen Vorlauf von ein bis zwei Jahren und ein politisches window of opportunity", sagt Hajek.

Genau diese politische Lücke sieht der Meinungsforscher für eine etwaige "Liste Pilz" jedoch nicht gegeben. Mit der SPÖ gäbe es bereits eine linke Partei, die deutlich in die Mitte rücke – und links bis noch weiter links stehen die Grünen und die KPÖ parat. "Da würde es eng werden im linken Spektrum", meint Hajek (hier geht's zum gesamten Interview).

Politologe Reinhard Heinisch sieht insbesondere durch den "Rechtsdrift der anderen Parteien" jedoch durchaus noch Platz im "linkspopulistischen Bereich". Im Gegensatz zu Deutschland mit der Partei "Die Linke" gäbe es hierzulande nämlich vor allem den "Populismus von rechts". Vor allem in Wien und mit Abstand danach in den größeren Städten sieht Heinisch Potenzial.

"Pilz polarisiert stark"

Auch er verweist auf das starke persönliche Profil des grünen Urgesteins. "Pilz polarisiert stark", meint der Politologe von der Universität Salzburg. "Das ist aber ein Vorteil, wenn ich nicht eine breite Wählerschaft erreichen muss, sondern nur ein bestimmtes Segment." Er traut Pilz deshalb zu, Wähler vor allem über den "Bobo-Kreis hinaus" anzusprechen. "Besonders ältere, männliche, linke Wählersegmente mit kritischer Betonung sozialer Themen und Einwanderung und Islam, die sich derzeit von den Grünen vielleicht weniger umworben fühlen."

Wobei: "Die Mehrheit der Wähler würde natürlich von den Grünen selbst kommen“, warnt Heinisch. "Das könnte ein Nullsummenspiel werden."

Dennoch setze so eine eigene Liste "einen starken persönlichen Einsatz von Pilz voraus, entsprechende Finanzmittel und eine Strategie, sich von den Mitbewerbern genügend zu unterscheiden und medial durchzudringen." All dies sei jedoch bei weitem noch nicht gegeben.

Ob so etwas wie eine Liste Pilz tatsächlich kommt, steht also in den Sternen. Bis 10. August müsste sich das grüne Urgestein entscheiden. Spätestens dann müssen die 2.600 Unterstützungserklärungen, oder - im Fall des langgedienten Parlamentariers deutlich einfacher - die drei geforderten Unterschriften beim Innenministerium vorliegen. Der Vorteil: Pilz muss sich dafür nur noch zwei Kollegen aus dem Nationalrat suchen, eine Unterschrift kann er selbst leisten.

Peter Pilz hat in der Vergangenheit einen „linken Populismus“ in seiner Partei eingefordert? Sollte er, wie jetzt spekuliert wird, mit einer eigenen Liste antreten: Was wäre mit so einer Ausrichtung drinnen?

Peter Hajek: Eine eigene Liste jetzt noch auf die Beine zu stellen ist schwer bis unmöglich. Pilz müsste also bei einer bestehenden Liste andocken. Grundsätzlich könnte aber Pilz sicher eine signifikante Gruppe an Wählerinnen und Wählern ansprechen. Er verfügt vermutlich – aktuelle Zahlen liegen nicht vor – über eine hohe Bekanntheit, hat ein klares, aber auch polarisierendes Profil und kann auf politische Erfolge in der Vergangenheit verweisen. Die persönlichen Voraussetzungen wären also da.

International gewinnen solche Bewegungen an Fahrt. Kann die SPÖ dieses Wählerklientel, das einen Corbyn oder Sanders wählt, hierzulande mit dem aktuellen Kurs abholen? Oder hätte eine „Außenseiter“-Bewegung mit linken populistischen Inhalten nicht auch in Österreich gute Chancen?

Hier muss man trennen. Das eine sind Bewegungen wie die von Macron oder in Österreich 2013 die Neos. Das sind Listen, die neu entstanden sind. Dafür braucht es aber einen zeitlichen Vorlauf von ein bis zwei Jahren und ein politisches window of opportunity. Das andere sind bestehende Parteien, die sich politisch akzentuierter ausrichten als bisher. Corbyn und Sanders kam zu Gute, dass sie ein linkes Alleinstellungsmerkmal in ihren Ländern haben. Das hat die SPÖ in Österreich nicht, denn es gibt die Grünen und für die sehr Linken die KPÖ. Wenn jetzt eine neue linke Gruppierung hinzukäme, würde es eng werden im linken Spektrum. Dazu braucht man nur nach Deutschland schauen.

Die Grünen setzen voll auf einen Anti-FPÖ, auf einen flüchtlingsfreundlicheren Kurs, auf Verteilungsgerechtigkeit. Das Thema Korruption wurde bis dato weniger groß gespielt. Hat man diesen Trumpf mit Peter Pilz endgültig verloren?

Mit Pilz geht hier sicher Know-how verloren. Die Grünwählerschaft hat sich aber – außer bei Van der Bellen als Bundessprecher – nie explizit auf einzelne Personen fokussiert. Man sollte seinen Abgang also nicht überwerten. Das Problem der Grünen liegt derzeit in der Kumulierung der negativen Medienberichterstattung: Rauswurf Junge Grüne, Heumarktprojekt in Wien, Rücktritt Glawischnig, Abwahl Pilz und jetzt noch die Kooperation zwischen Junge Grüne und KPÖ. Also, es gibt bessere Starts in einen Wahlkampf.

Wie stehen die Chancen der Grünen bei der NR-Wahl? Ist der Kurs, sich als einzige wirklich „linke Kraft“ (besonders in Sachen Flüchtlingspolitik) zu generieren erfolgsversprechend?

Grundsätzlich ist der Gedanke, sich klar links zu positionieren, nicht falsch. Die SPÖ möchte wie selbst angekündigt deutlich in die Mitte rücken, es könnte also Platz frei werden. Zudem haben die Grünen immer klar linke Positionen vertreten. Es tut sich also beim Wähler keine Schere im Kopf auf. Soweit die Theorie. Die Frage ist nur: Gibt es derzeit ausreichend Wähler am linken Spektrum, die für die Botschaften der Grünen empfänglich sind? Hinzu kommt, dass es mit Kern, aber auch Kurz Mitbewerber gibt, die in die grüne Wählerschaft hineinstrahlen. Und schlussendlich stellt sich die Frage: Was wäre für die Grünen ein Erfolg? Aus heutiger Sicht, wenn man zweistellig bleibt.

Bei den deutschen Grünen haben die Realos mit viel Knirschen im Gebälk gewonnen. Haben sich mit der Abwahl von Pilz in Österreich jetzt die Fundis durchgesetzt? Und wenn man das in einen internationalen Trend einordnet: Ist hier eine Identitätskrise der Grünen-Bewegung festzustellen? Also unabhängig von Peter Pilz – wo geht die Reise hin?

Identitätskrise ist zu hoch gegriffen. Es findet ein Generationswechsel statt, der vielleicht verschleppt worden ist, und das verursacht natürlich Irritationen. Was aber Grün-Bewegungen bis dato nicht geschafft haben: Menschen jenseits der klassischen Zielgruppe anzusprechen. Man konnte die Themenpalette nur wenig erweitern. Peter Pilz hat schon vor Jahrzehnten gefragt, warum man der FPÖ die Arbeiter überlässt. Eine berechtigte Fragestellung.

Was kann’s der KPÖ bringen, dass sich jetzt die Jungen Grünen angeschlossen haben… Und was bedeutet das für die Grünen, dass jetzt fix zwei, unter Umständen sogar drei, genuin grüne Listen, antreten?

Es bringt in einem ersten Schritt Aufmerksamkeit. Ein „Erfolg“ der KPÖ wird davon abhängen, wie sehr man im Wahlkampf medial aufzeigen kann. Es wird die Grünen sicher die eine oder andere Stimme kosten, aber eine große Gefahr stellt es derzeit nicht dar – außer man findet überhaupt keinen Tritt mehr. Aber dann hat man ein ganz anderes Problem.

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