Warum Wien und Niederösterreich Neuwahlen im Bund wollen

Außenminister Kurz, Vizekanzler Mitterlehner, Bundeskanzler Kern
Die Regierung steht auf der Kippe. Die Frage lautet: Wie sagt sie den Wählern, dass es schon wieder einen Wahlkampf geben wird?

Jedes Mal, wenn Wiens Bürgermeister in diesen Tagen vor die Öffentlichkeit tritt, um die Personaldebatte in seiner Partei für "beendet" zu erklären, spricht er von Nationalratswahlen. Gerade so, als ob er sie herbei reden möchte.

Ein Wahlkampf scheint für Michael Häupl das letzte Mittel zu sein, um seine zerstrittene Partei in den Griff zu bekommen. Das Rezept, einen Außenfeind zu kreieren, um die eigene Gefolgschaft hinter sich zu vereinen, hat sich schon oft bewährt.

In Niederösterreich wiederum braucht die ÖVP heuer noch Neuwahlen auf Bundesebene. Die künftige Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner benötigt jede Unterstützung, um nach dem Abgang von Erwin Pröll die schwarze Bastion im Kernland zu halten. In Niederösterreich sind im März 2018 turnusmäßig Landtagswahlen. Werden die Bundeswahlen nicht vorverlegt, ist Niederösterreich das Exerzierfeld für die folgende Mega-Schlacht zwischen FPÖ, SPÖ und ÖVP ums Kanzleramt. Dabei kann die niederösterreichische Volkspartei nur verlieren – denn sie hat satte 51 Prozent zu verteidigen, während die anderen Luft nach oben haben. Daher hat die ÖVP-Niederösterreich jedes Interesse, ihren Landtagswahlkampf nicht zum Probegalopp für den Bund werden zu lassen.

Auch die anderen schwarzen Wahlländer Salzburg und Tirol würden aus früheren Bundeswahlen Vorteile ziehen: Derzeit zieht die Bundes-ÖVP die Länder hinunter. Die Bundes-ÖVP liegt mit 20 Prozent deutlich abgeschlagen hinter der FPÖ (33 Prozent). Sie fällt aber auch hinter die SPÖ (27 Prozent) zurück (Umfrage auf Seite 2).

SPÖ-Chef Christian Kern fasst als Kanzler Tritt, im Vertrauensindex von OGM hat er den Rückstand auf den ÖVP-Star Sebastian Kurz zuletzt halbiert. Kurz führt nun mit 28 Punkten vor Kern mit 23.

Das alles macht die ÖVP nervös.

All ihre Hoffnungen ruhen auf Sebastian Kurz. Er soll den Bundestrend ins Positive drehen und den Ländern bei den Landtagswahlen Rückenwind verschaffen. Doch Kurz’ Bedingung, dass er sich an die Spitze der ÖVP stellt, sind – Neuwahlen. Kurz will sich nicht als der x-te ÖVP-Vizekanzler neben einem roten Kanzler verheizen lassen, er will mit seinen fantastisch guten Persönlichkeitswerten sofort in eine Wahlentscheidung gehen und den Kanzleranspruch stellen.

Auf dem Weg zu Neuwahlen gibt es allerdings ein Problemchen. Wie sagen sie’s den Bürgern? Die bestrafen nämlich in der Regel denjenigen, der Neuwahlen vom Zaun bricht.

Jetzt ist die Gefahr, dass SPÖ und ÖVP keinen Grund zum Streiten finden, nicht sonderlich groß. Schwieriger ist schon, einen Grund zu finden, der den Bürgern triftig genug für einen Wahlkampf erscheint.

Mögliche Bruchstellen werden in Koalitionskreisen bereits gehandelt, etwa die Neuverhandlung des Regierungsprogramms Anfang Februar. "Wir werden ja sehen, ob da genügend Schnittmenge heraus kommt, um die Fortführung der Koalition zu rechtfertigen", sagt ein Involvierter. Auch die Verhandlungen über den Finanzrahmen im März und im April gelten als möglicher Casus belli.

Die Neujahrsversprechen der Koalitionspolitiker, wonach 2017 ein "Arbeitsjahr" würde, haben jedenfalls nicht einmal den Jänner überdauert. Die Politik der Nadelstiche hat schon wieder eingesetzt.

So provozierte die ÖVP die SPÖ mit der Forderung, die Obergrenze für Asylwerber zu halbieren. Die SPÖ revanchierte sich, indem sie finanzielle Zuckerln für die ÖVP-Klientel der Selbstständigen in den Ministerrat einbrachte, und die ÖVP zwang, diese Vergünstigungen abzulehnen (es hätte die "schwarzen" Krankenkassen zu viel Geld gekostet).

Während solche Geplänkel im Ministerrat wohl kaum zum großen Neuwahl-Krach taugen, ist Innenminister Wolfgang Sobotka schon etwas wirksamer beim Unruhe Stiften.Er unterstellte dem Kanzler, das Privatleben des Außenministers auszuspionieren. Man stelle sich vor, das wäre in Deutschland passiert: der Innenminister beschuldigt die Kanzlerin, den Außenminister auszuspionieren – die Regierungskrise wäre perfekt gewesen. Nicht so in Österreich, wo nichts wirklich ernst genommen wird. So setzte Sobotka nach: Statt in den Bunker nach Salzburg zu fahren, solle sich der Kanzler lieber um die Regierung kümmern, sagte er unfreundlich.

In die Kategorie Nervenkrieg fällt wohl auch, dass Unbekannte den Plagiatsjäger Stefan Weber auf Kerns Diplomarbeit ansetzten (sie ist übrigens lupenrein). Die SPÖ vermutet die Auftraggeber in den Reihen der ÖVP.

Solche Art von gegenseitiger Provokation in der Koalition wird wohl andauern, bis sie irgendwann platzt. Der niederösterreichische Minister Sobotka hat offenkundig im ersten Akt, dem der Eskalation, die Rolle des Bad Guy übernommen, während es Sebastian Kurz peinlich vermeidet, sich mit dem koalitionären Alltags-Hader anzupatzen.

Kurz’ Auftritt folgt dann im zweiten Akt.

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