Warum ein Erdoğan-Fan in Wiens ältester Moschee betet

In die Moschee in der Türkenstraße kommen Muslime unterschiedlicher Herkunft.
In Sinan Ertugruls Lieblingsmoschee gehen nicht nur AKP-Anhänger. „Mein Glaube gibt mir Kraft für die Politik“, sagt er.

„Bitte nicht mit Schuhen eintreten“, steht in deutscher Sprache über der Tür des kleinen Gebetsraums. Neben einem blauen Vorhang, der die Frauen von den Männern trennt, sind ein Afrikaner und ein Türke ins Gebet vertieft. Für das Freitagsgebet würde das Platzangebot in Wiens ältester Moschee aber nicht ausreichen. Ob des regen Andrangs muss der ägyptische Imam Woche für Woche im großen Veranstaltungssaal des Afroasiatischen Instituts in der Türkenstraße vorbeten. Rund 80 Gläubige kommen im Schnitt. Einer von ihnen ist Sinan Ertugrul (40).

Dem KURIER zeigt der türkischstämmige Österreicher, der beim Referendum am 16. April mit Vorbehalt für Erdoğans Präsidialsystem stimmen würde, sein ganz persönliches Wien. Und das liegt zu einem Gutteil am Alsergrund. Im Café Afro und in der angrenzenden Moschee.

"Katholische" Moschee

Die wird übrigens weder von einem der großen türkischen Verbände, noch von Muslimen betrieben – sondern von der katholischen Kirche. Der Gebetsraum gehört der Erzdiözese Wien. Das Afroasiatische Institut wurde 1959 nämlich von Kardinal Franz König als Treffpunkt für Menschen aus aller Welt gegründet. Neben einer christlichen Kapelle und der Moschee gab es hier bis vor Kurzem auch einen Hindutempel.

Warum ein Erdoğan-Fan in Wiens ältester Moschee betet
Sinan Ertugrul, Türken in Wien
Der Imam, der das Freitagsgebet leitet, wird von der Islamischen Glaubensgemeinschaft gestellt. Bedingt durch etliche Botschaften und Universitätsinstitute in der Nachbarschaft kommen Menschen verschiedener Herkunft zum Beten. Gepredigt wird deshalb auf Deutsch.

Und wie bei den Katholiken auch, wird nach dem Gottesdienst an den Tischen im Lokal heftig politisiert, erzählt Ertugrul. Unter den Türken, die laut seiner Schätzung etwa ein Drittel der Besucher ausmachen, zurzeit natürlich in erster Linie über Recep Tayyip Erdoğan. Der türkische Präsident ist hier durchaus umstritten.

Glaube als Antrieb

Ertugrul sieht in der Türkei zurzeit keine Alternative zu Erdoğans AKP – würde sich im Gegensatz zu anderen aber eine Zusammenarbeit mit der pro-kurdischen HDP (Halkların Demokratik Partisi – auf Deutsch: Demokratische Partei der Völker) wünschen. Das politische, kulturelle und konfessionelle Miteinander, sagt er, mache auch den Reiz seiner Stammmoschee aus.

Er selbst beziehe aus dem Glauben die Kraft für sein politisches Engagement, erklärt der Philosoph und Politikwissenschaftler – der freitags und an Feiertagen betet und den Ende Juni beginnenden Ramadan als „schöne Zeit“ empfindet.

„In diesen Wochen sage ich zur Welt und zu meinem üblichen Leben: Stopp!“, beschreibt Ertugrul seine spirituelle Praxis. „Einen Monat lang herrscht dann ein anderer Rhythmus und nicht alles richtet sich nach dem Konsum. Es ist eine unglaublich bereichernde Zeit – mit vielen Kontakten und Einladungen. Außerdem rauche ich weniger und nehme ab.“ Für das abendliche Fastenbrechen (Iftar) würde er sich große Zelte in der Öffentlichkeit wünschen. „Dort könnten alle gemeinsam essen, trinken, musizieren und diskutieren.“

Mit seinem „politischen Engagement“ meint Ertugrul jedoch nicht Wahlwerbung für Erdoğan.

Dokumentarfilm

Wenn er nicht gerade als Taxifahrer jobbt, engagiert er sich als Aktivist des „Netzwerks Muslimische Zivilgesellschaft“ gegen Islamfeindlichkeit. Seine Dokumentation „Islamophobie Österreichischer Prägung“ war bis vor Kurzem in Wiener Kinos zu sehen und befindet sich gerade auf Bundesländertour.

Im Film lässt Ertugrul sowohl Opfer von Rassismus und Diskriminierung, als auch Politikexperten zu Wort kommen. Das 2015 in Kraft getretene Islamgesetz kritisiert er massiv. Es sei der Tiefpunkt in einer langjährigen Geschichte der Ablehnung und stelle Muslime unter Generalverdacht.

Zielgruppe der Dokumentation seien vor allem junge Leute, sagt der Regisseur – denn sie hätten es in der Hand, etwas am Status quo zu ändern. Indem sie etwa politisch partizipieren, die Berichterstattung über Muslime positiv beeinflussen oder bei Bedarf auch vor Gericht ziehen. „Wir müssen füreinander einstehen und Solidarität beweisen“, heißt es in dem Film.

Für Ertugrul ist die Botschaft eindeutig: Bis jetzt sei es zwischen der Mehrheitsbevölkerung und den Muslimen „schlecht gelaufen – und es schaut auch für die Zukunft nicht gut aus. Es wäre dringend nötig, dass wir endlich handeln. Für beide Seiten.“

Bis zum Schicksalstag sind es nicht einmal mehr zwei Wochen. Am 16. April entscheiden die Menschen in der Türkei über die politische Zukunft ihres Landes. Und egal, ob die rund 55 Millionen Wahlberechtigten beim Verfassungsreferendum ihres Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mit einem "Ja" oder "Nein" antworten – das Ergebnis hat jedenfalls weitreichende Konsequenzen.

Seit Wochen, ja Monaten ist die Community in Aufruhr – und gespalten. Auch hierzulande sind weit mehr als 100.000 türkische Staatsbürger beim Referendum wahlberechtigt, und die Frage, ob Politiker aus Ankara in Österreich wahlwerben dürfen, beschäftigte die Innenpolitik über Wochen.

Für den KURIER ist das richtungsweisende Referendum Anlass genug, einen Blick auf die türkisch-stämmigen Mitbürger zu werfen.

Wie leben sie, was bewegt sie?

Warum fühlen sich manche ganz selbstverständlich als Österreicher, andere bloß als hier Geduldete? Und vor allem: Wie kann in einer ohnehin über Gebühr aufgeheizten Stimmung das Zusammenleben noch besser oder überhaupt funktionieren?

Fragen wie diesen widmet sich der KURIER in den kommenden Tagen eingehend. Ein Reporter-Team hat mit Dutzenden Menschen gesprochen und verschiedenste Schauplätze besucht, darunter Moscheen und Kulturvereine, Schischa-Bars oder auch ein türkisches Gymnasium.

Ein unvoreingenommener Blick

Prediger, Vereinsobleute und Wirte, einfache Arbeiter und Akademiker, sie alle kommen zu Wort, und bei den Begegnungen und Recherchen stand und steht im Vordergrund, einen möglichst unvoreingenommenen Blick auf die Welt der Austro-Türken zu werfen.

Fest steht: Um den freundschaftlichen Austausch der beiden "Welten" steht es nicht zum Besten. Wie sonst wäre es zu erklären, dass zwei Drittel der Österreicher laut einer KURIER-OGM-Umfrage zwar beruflich und im Alltag mit türkischen Mitbürgern in Kontakt stehen, dass aber satte drei Viertel antworten, sie würden privat keinen Kontakt zu türkischen Mitmenschen pflegen (Grafik)?

Fest steht außerdem: Die Türken oder die türkische Community gibt es nicht.

Zu bunt, zu vielfältig und widersprüchlich ist die Welt der mehr als 262.000 Menschen, die in Österreich einen türkischen Migrationshintergrund haben.

Ihr lebt hier

Der Titel der KURIER-Serie "Unsere Türken" ist in dieser Hinsicht alles andere als vereinnahmend oder despektierlich, sondern vielmehr eingemeindend gedacht, frei nach dem Motto: Ihr lebt hier, ihr habt hier Platz, ihr gehört hierher zu uns.

Warum mit einzelnen Vertretern der türkischen Community kontroversielle Dialoge mitunter schwierig sind; welche unterschiedlichen Wahrnehmungen es zur Türkei und Österreich gibt und wo türkisch-stämmige Menschen die wahren Probleme des Zusammenlebens und der Politik verorten, das und vieles mehr soll die folgende KURIER-Serie in den nächsten beiden Wochen durchaus intensiv ausleuchten.

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