Warum der Streit in der Wiener Ärztekammer eskaliert ist
Seit Monaten bekämpfen sich die Spitzen der Standesvertretung mit äußerster Härte. Präsident Johannes Steinhart ist massiv angeschlagen. Die Hintergründe
Die Palastrevolution in der Wiener Ärztekammer ist ausgeblieben: Präsident Johannes Steinhart überstand Dienstagabend in der Vollversammlung ein Misstrauensvotum. Die nötige Zweidrittelmehrheit für seine Abwahl kam nicht zustande.
Bei dem Votum unterstützte allerdings nicht einmal mehr die Hälfte der Mandatare den Präsidenten, der seit Monaten in einen erbittert geführten kammerinternen Kampf mit Teilen seiner Spitzenfunktionären verwickelt ist. Mit gegenseitigen schweren Angriffen, Anzeigen und Rücktrittsaufforderungen.
Der eigentliche Anlass, fragwürdige Vorgänge in der kammereigenen Handelsfirma Equip4Ordi, sind längst in den Hintergrund getreten.
Die Kollegen in den anderen Bundesländern sind schon nervös. Ist doch Steinhart auch Präsident der Österreichischen Ärztekammer. Von einer Beschädigung des Ansehens der gesamten Standesvertretung, schreibt der Salzburger Präsident Karl Forstner aktuell in seiner Kammer-Zeitschrift. Schlimmer sei aber „der Umstand, dass auch das Ansehen der Ärzteschaft selbst leidet“.
Doch wie konnte es so weit kommen? Wie konnte die im Vergleich zu den anderen Ländern-Kammern traditionell sehr schlagkräftige Wiener Standesvertretung derart in Streit und Chaos versinken?
Der Skandal
Entzündet hat sich der Konflikt rund um die E4O, die zur Kurie der niedergelassenen Ärzte gehört und dafür gegründet wurde, Ärzte günstig mit Ordinationsbedarf zu versorgen. Mit überschaubarem wirtschaftlichen Erfolg. Stattdessen ermittelt mittlerweile die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen des Verdachts der Untreue gegen mehrere Personen, darunter auch Steinhart, der bis 2022 Kurienobmann war. Es geht in erster Linie um fragwürdige Prämienzahlungen und Kreditgeschäfte. Beschuldigte haben ausgesagt, auf Weisung Steinharts gehandelt zu haben. Was dieser bestreitet.Für den Gesundheitsökonomen Ernest Pichlbauer ist das Bild verheerend: „Entweder hat Steinhart entsprechende Anweisungen gegeben oder sich an der Nase herumführen lassen. Beides ist fatal.“
Es gehe nicht rein um strafrechtlich relevante, sondern auch um moralische Verfehlungen.
Die Akteure
Langjährige Kenner der Kammer sind überzeugt: Dass der Konflikt derart eskalieren konnte, liegt vor allem an den handelnden Personen. Allesamt mehr machtbewusst als selbstlos agierende Funktionäre, die sich jahrelange kennen. Umso härter und persönlicher die Auseinandersetzungen. Allen voran jene zwischen Steinhart und Erik Huber: Ausgerechnet der vom Präsidenten zu seinem eigenen Stellvertreter gekürte Urologe nahm die Aufklärung der Causa E4O in Angriff.
Statt dabei zu kooperieren, so Kammer-Insider, habe das Steinhart-Lager versucht, Huber abzusetzen, woraufhin dieser wiederum frontal den Präsidenten angriff. Mehr oder weniger offen unterstützt von Vizepräsident Stefan Ferenci, der nicht zuletzt wegen seines angriffigen Auftretens gegen die Stadt Wien intern massiv umstritten ist.
Als weiterer Akteur trat schließlich Ex-Präsident Thomas Szekeres auf. Einst ein Widersacher Steinharts, unterstützt er nun den Präsidenten und rettete ihm womöglich das politische Überleben.
Seine Motive liegen (noch) im Dunklen.
Die Profiteure
Dass der Konflikt schon so lange am Kochen ist, liegt auch an der großen Zahl an Söldnern, die auf beiden Seiten engagiert sind. Rund um die Causa E4O hat das Huber-Lager mehrere Anwälte engagiert, um den Sachverhalt zu klären, Gutachten und Anzeigen zu verfassen. Die Kosten sollen bereits im sechsstelligen Euro-Bereich liegen. Hinzu kommen zahlreiche PR-Berater, die für die jeweilige Seite die mediale Lufthoheit erobern sollen. Geld dürfte keine Rolle spielen: Die größte Landeskammer hat allein im Vorjahr 22,8 Millionen Euro an Kammerbeiträgen eingenommen.
Ungesunde Strukturen
Schon seit einigen Jahren sind die Machtverhältnisse in der Wiener Kammer sehr instabil. Bei der Wahl im Vorjahr schafften gleich elf Fraktionen den Einzug in das Ärzteparlament. Wahlsieger Steinhart von der damals mandatsstärksten ÖVP-nahen Vereinigung schmiedete eine Koalition mit sieben Kleinparteien, um den bisherigen Präsidenten Szekeres von der Macht fernzuhalten.
Experte Pichlbauer ortet in Wien ein weiteres Problem: Aufgrund der Stärke der Gewerkschaft younion spiele die Kammer bei der Vertretung der Spitalsärzte kaum eine Rolle. Lautstarke Maßnahmen, wie der demnächst geplante Streik, seien nur „Scheingefechte“, während das Schwergewicht beim Kampf für die Kassenärzte liege. „Und seit der Kurienreform ist der Präsident nur mehr eine Art Frühstücksdirektor. Die Macht liegt bei den Kurienobleuten. Es ist klar, dass in so einer Konstellation Konflikte aufbrechen.“
Unterlassungserklärung
Steinhart hingegen ist zuversichtlich, dass die jüngste Vollversammlung zumindest „bei einigen Themen Klarheit gebracht hat“.
Klar ist jedenfalls, dass die internen Grabenkämpfe weitergehen. Am Dienstag erhielt Ferenci einen Brief von Steinharts Anwalt – mit der Aufforderung, eine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Der Anlass: In einem Interview hatte der Vizepräsident den Präsidenten massiv attackiert.
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