"Das Urteil macht niemanden zum Verlierer"
"Die Entscheidung, die ich jetzt verkünden werde, macht niemanden zum Verlierer und niemanden zum Gewinner", sagt Gerhart Holzinger, Präsident des Verfassungsgerichtshofes. Und alle im Saal halten am Freitag um 12.00 Uhr den Atem an.
Wen er meint? Alexander Van der Bellen, der bis gestern als Wahlsieger galt, und seinen FPÖ-Kontrahenten Norbert Hofer? Beide sind nicht im Raum, ihre Anwälte stehen mit eiserner Miene da, gespannt auf die Urteilsverkündung, bei der die 14 Höchstrichter erstmals das volle Amtskleid – Talar und violettes Barett – tragen.
"Sie soll allein einem Ziel dienen: Das Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu stärken", sagt Holzinger. Mit diesem Satz ist klar, wie der nächste lauten wird: "Der Anfechtung wird stattgegeben."
Freude bei den Blauen, Enttäuschung bei den Grünen? Nein. Beide, wie auch Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), der als Gegner der Anfechtung zur Urteilsverkündung gekommen ist, geben sich demütig. "Die Entscheidung ist zu akzeptieren", sagt Grünen-Anwältin Maria Windhager. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache (FPÖ) sieht "keinen Grund zum Jubeln" – das Erkenntnis sei ein "Gewinn für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie".
Verstoß an der Spitze
Am Mittwoch hatten Van der Bellens Anwälte noch Plädoyers gegen eine Wahlaufhebung gehalten. Dass es "schon einer gewaltigen Verschwörung bedürfe", dass das Ergebnis hätte beeinflusst werden können. Dass es sich rein rechnerisch gar nicht ausgehe. Dass es keinen Hinweis auf Manipulation gebe.
Alles irrelevant. Was zählt, sind Fehler und Schlampereien – und nicht zuletzt rechtswidrige Beschlüsse, mit denen versucht worden ist, all das glattzubügeln. Das gab es sogar an der Spitze, in der Bundeswahlbehörde. Dort agierte man unter dem selben Motto, das man den Beamten in der Peripherie so übel genommen hat: "Das haben wir schon immer so gemacht."
Seit 30 Jahren gibt die Bundeswahlbehörde per Beschluss Teilergebnisse an Medien weiter. Das alleine sei ein Grund, die Wahl aufzuheben, sagt der VfGH-Präsident. Es verletze das Grundrecht der freien Willensbildung, weil man nicht ausschließen könne, dass Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.
Wahlen sind kein Spiel
Wie genau es der VfGH mit den Gesetzen nimmt, betont Holzinger mehrmals. Wahlen seien ein hohes Gut. Bestimmungen, die dazu dienen, sie vor Missbrauch zu schützen, seien "im Wortlaut auszulegen", "auf Punkt und Beistrich zu befolgen". "Wahlen sind kein Spiel", man müsse sie "ernst nehmen".
In 14 von 20 Bezirkswahlbehörden (Innsbruck-Land, Südoststeiermark, Villach und Villach-Land, Schwaz, Wien-Umgebung, Hermagor, Wolfsberg, Freistadt, Bregenz, Kufstein, Graz-Umgebung, Leibnitz und Reutte), aus denen vergangene Woche Zeugen einvernommen worden sind, sei durch Rechtswidrigkeiten bei der Auszählung der Briefwahlstimmen gegen den Grundsatz der geheimen Wahl verstoßen worden. Es ging laut Holzinger um 77.926 Stimmen. Van der Bellen und Hofer lagen bei der Stichwahl am 22. Mai 30.863 Stimmen auseinander.
Ob des Briefwahl-Systems haben die Höchstrichter keine Bedenken. Sie empfehlen daher nicht, das Gesetz zu ändern. Es müsse die ganze Stichwahl, nicht nur Teile, wiederholt werden. Die Briefwähler seien kein abgegrenzter Wahlkreis – die Wahlkarte kann in jedem Wahllokal abgeben werden.
Und jetzt? Die Regierung müsse einen Wahltag festlegen, sagt Holzinger. Dann nehmen er und seine Kollegen ihre Hüte – und gehen wortlos aus dem Saal. Wohl erleichtert, dass sie die heikle Sache hinter sich gebracht haben.
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