Faktencheck: Wer hat die Balkanroute geschlossen?

Die Balkanroute geschlossen zu haben, ist der größte Erfolg von Sebastian Kurz - aber hat er sie tatsächlich dicht gemacht?

ÖVP-Kandidat verkauft es als seinen größten Erfolg, und als Beweis dafür, auch zu liefern und nicht nur zu versprechen: Die Schließung der Balkanroute. Auch gestern im Duell gegen Kern war sie wieder Thema. Aber hat der Chef der neuen Volkspartei die Balkanroute wirklich im Alleingang dicht gemacht? Ein Faktencheck:

Was hat Kurz im Zuge der Flüchtlingskrise aktiv gemacht?

Schon im Sommer 2015 hielt Kurz am Höhepunkt der Flüchtlingskrise daran fest, dass das Dublin-Verfahren eingehalten werden sollte. Deutschland erklärte zu diesem Zeitpunkt, auf das Verfahren bei syrischen Flüchtlingen zu verzichten. Auch stellte Kurz von Beginn an klar, dass das grenzkontrollfreie Schengen-System nur dann funktionieren könne, wenn es sichere EU-Außengrenzen gibt. Als Ungarn im August 2015 anfing, einen Grenzzaun Richtung Serbien zu errichten, zeigte Kurz Verständnis für die Maßnahme. Wenn es in der EU keinen ganzheitlichen Ansatz in der Flüchtlingsfrage gebe, "dann sind Staaten ja gezwungen, Einzelmaßnahmen zu setzen", sagte Kurz Ende August 2015. Am 9. Februar 2016 war Außenminister Kurz dann für politische Gespräche am Westbalkan. In Belgrad sagte er: "Wenn die Flüchtlinge sehen, dass es kein Durchkommen nach Europa gibt, werden die Ströme weniger werden."

Wurde die Route schließlich auf Initiative von Kurz und Mikl-Leitner hin geschlossen?

Am 24. Februar 2016 fand in Wien eine Westbalkankonferenz statt, deren Ausgang die Schließung der vielzitierten Route zumindest besiegelte. Die damalige ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz luden ihre Amtskollegen aus den EU-Staaten Slowenien, Kroatien und Bulgarien, sowie aus den Westbalkan-Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien nach Wien. Die Westbalkanstaaten vereinbarten damals Grenzschließungen. Zuvor waren täglich tausende Menschen von Griechenland aus Richtung Mitteleuropa über diese Grenzen gekommen. Griechenland und Deutschland lehnten das Vorhaben ab, waren aber nicht eingeladen. Kritik kam auch von der EU-Kommission.

Es folgten chaotische Szenen in Griechenland an der Grenze zu Mazedonien, weil dort tausende Flüchtlinge festgesessen sind. Knapp einen Monat später am 18.März 2016 wurde schließlich der EU-Türkei-Deal geschlossen, in deren Folge sank die Zahl der ankommenden Flüchtlinge deutlich.

War das alleine Kurz´ Verdienst?

Die Erklärung mit der Balkankonferenz greift zu kurz. Im Sommer 2015 überschlugen sich die Ereignisse. "Nach der Willkommenspolitik kam bei vielen Politikern die Einsicht, dass ein geordneter Rahmen notwendig ist", sagt Vedran Dzihic, Balkan-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien im Gespräch mit dem KURIER. Auf diese Idee kam nicht nur Kurz. Bevor noch Österreich seine Grenzen wieder stärker zu kontrollieren begann, gab es schon den Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien, initiiert durch Ungarns Premier Viktor Orbán. Laut Dzihic stand dieser Zaun bereits für die Politik: "Wir schotten uns ab". Der Prozess der schrittweisen Schließung der Grenzen bis nach Mazedonien war demnach bereits in vollem Gange, als Kurz begann, in der Region Partner zu suchen. Kurz habe dem Prozess lediglich seine "finale Form gegeben, um den Prozess endgültig abzuschließen".

Welche Rolle spielte Victor Orbán?

Laut Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI), war die Schließung der Balkanroute ursprünglich eine ungarische Idee: "Die Idee, Flüchtlinge auf dem Balkan durch Zäune zu stoppen, hatte Viktor Orbán bereits im Herbst 2015. Den Plan, Flüchtlinge daran zu hindern, Griechenland, ein Schengen-Mitgliedsland, zu verlassen und dafür ein nicht EU-Mitgliedsland - Mazedonien - zu gewinnen, machte Orban im Januar 2016 öffentlich." Laut Knaus stellte Orbán bereits Anfang Jänner 2016 bei einem Treffen mit dem polnischen Chef der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, in Südpolen klar, dass die Flüchtlingsbewegung gestoppt werden müsse. Er sprach damals von einer Mauer im Norden Griechenlands – hin zu Mazedonien. Wenig später konnte Orbán offenbar auch Slowenien für seine Idee begeistern.

Der Idee, die Balkanroute an der griechischen Nordgrenze zu schließen, kann Knaus wenig Positives abgewinnen. "Erstens handelte es sich um eine zutiefst unsolidarische Initiative, gerichtet gegen ein anderes Schengenland. Zweitens aber konnte diese Schließung ohne Hilfe Athens nicht lange funktionieren, wäre die mazedonische Grenzpolizei sofort überrannt worden. Drittens handelte es sich eben nicht um einen Plan, die EU-Außengrenze zu sichern, denn diese befindet sich in der Ägäis." Knaus: "Der Einbruch bei den Flüchtlingszahlen kam erst durch den Deal mit der Türkei, der zeitgleich passierte".

Der EU-Türkei-Deal - der auf ein ESI-Konzept zurückgeht - sieht vor, dass die Türkei Flüchtlinge, die es nach Griechenland illegal schafften, wieder zurücknehmen sollte. Für jeden zurückgeschickten Flüchtling, musste die EU einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen. Dazu gab es rund drei Milliarden Euro.

Fazit

Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Im Herbst 2015 wurden einige Länder entlang der Balkanroute nervös, allen voran Ungarn, das als eines der ersten Länder seine Grenzen zuerst in Richtung Serbien dicht machte und später in Richtung Kroatien nachzog. Ungarns Premier Orbán schuf mit seinem harten Vorgehen gegen Flüchtlinge unangenehme Fakten, forderte schon früher als alle anderen eine Abschottung Europas und stellte die EU damit vor eine Zerreißprobe. Die Verschiebung der Route gen Westen brachte dann auch Slowenien und Kroatien in Bedrängnis.

Die Idee zur Schließung der Balkanroute kam von Sebastian Kurz also gewiss nicht allein, Ungarn war ein kompromissloser Vorreiter, und ohne Unterstützung der betroffenen Länder entlang der Route hätte es auch nicht geklappt. Vorangetrieben hat Kurz die Schließung aber allemal. Wobei im Frühjahr 2016 einige Ereignisse zusammenfielen, die die Auswirkungen der Schließung der Balkanroute abfingen. Nicht zuletzt verursachte der Deal mit der Türkei einen Rückgang der Flüchtlingszahlen.

Kurzer Exkurs: Was ist die Balkanroute?

Die sogenannte Balkanroute war im Sommer 2015 die Hauptstrecke für Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Migranten, die von der Türkei nach Griechenland gekommen waren, reisten dabei weiter nach Mazedonien. Von dort ging es nach Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich - und für viele weiter nach Deutschland. Auch Ungarn war bis zum Bau eines Grenzzauns im Herbst 2015 ein wichtiges Transitland.

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