Vranitzkys Rat an SPÖ-Chef Kern: "Mitkämpfer um sich scharen"

Ehemaliger Bundeskanzler und SPÖ-Parteichef Franz Vranitzky findet, dass "eine Willkommenskultur unter Wahrung der Interessen der eigenen Bevölkerung nicht möglich ist".
Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky fordert von der SPÖ Antworten auf Migration und Globalisierung. Kritik übt er an der BVT-Affäre.

KURIER: Herr Doktor Vranitzky, fühlen Sie sich nicht mehr sicher in diesem Land?

Franz Vranitzky: Selbst wenn man gegenüber einer Regierung, die nur aus Neulingen besteht, nachsichtig ist, stellt man nach einiger Frist eine Reihe von Unzulänglichkeiten fest. Sehr unerfreulich ist das Handling der BVT-Affäre. Durch diese Affäre kommt zutage, dass unsere höchstpersönliche Sicherheit vor Gefährdungen durch eigene Behörden nicht mehr geschützt ist. Das Recht, vom Staat geschützt zu werden, wankt. Das hohe Ansehen unserer Nachrichtendienste ist nicht mehr so geschätzt wie einst.

Sie sprechen von Unzulänglichkeiten. Welche meinen Sie?

Ich halte es für empörend, dass die zuständige Ministerin bei der Kindergartenfinanzierung von der guten konsensualen Praxis abgeht und nicht mit den rot geführten Ländern verhandelt. Es geht um Kinder und nicht um tagespolitische Prestige-Angelegenheiten. In der AUVA gibt es weder maßgeblich neue Schritte noch sind die von der Sozialministerin genannten Einsparungspotenziale plausibel. Der Plan, Asylwerber, die eine Lehre machen, abzuschieben, ist wirtschaftlich unvernünftig und menschlich daneben. Mich bewegt der Imageschaden, den Österreich erleidet.

Wie groß ist der Imageschaden?

Die Frage geht tiefer: Was beabsichtigt Türkis-Blau mit dem positiven Erscheinungsbild Österreich in der Welt anzufangen? Wenn ein Vizekanzler mit Salvini und Orbán übereinstimmt, dann ist es nicht mehr dieselbe Republik, die vor wenigen Jahren in der Welt geschätzt wurde.

Hat die SPÖ die richtigen Antworten darauf?

Mit Zuzug und Globalisierung ergeben sich neue Herausforderungen. Der humanitäre Aspekt ist schwer zu vertreten, wenn sich ein nicht so kleiner Teil der Bevölkerung gegen Zuzug, Integration und die Auswirkungen der Globalisierung wehrt. Die Sozialdemokratie hat es versäumt, die Bürger in diese neuen Entwicklungen mitzunehmen. Die Frage, was hab’ ich von der Globalisierung, ist für viele unbeantwortet geblieben.

Fehlt SPÖ-Linie bei Migration?

Die strategischen Kräfte haben zu spät erkannt, dass eine Willkommenskultur unter Wahrung der Interessen der eigenen Bevölkerung nicht möglich ist. Selbst wenn wir jetzt keine markanten Flüchtlingsströme beobachten, Migration bleibt die politische Herausforderung für die Zukunft.

Gibt es eine Lösung?

Grenzen öffnen, Leute nach Libyen zurückschicken oder ertrinken lassen, ist kein Rezept. Die Schwäche der internationalen Gemeinschaft und der EU ist, dass eine einheitliche Haltung fehlt. Fluchtursachen bekämpfen sind auch nur Worthülsen. Von Hegel (dt. Philosoph 1770-1831) haben wir einen Satz gelernt: Die Wahrheit der Absicht ist die Tat. Diese Wahrheit gibt es nicht.

Was raten Sie der SPÖ?

Die Sozialdemokratie ist mit einem Policy mix, einer Kombination verschiedener Maßnahmen und Prioritäten, immer gut gefahren. An der Spitze steht die soziale Ausgewogenheit der Gesellschaft. Es braucht ein Konzept sozialer Vorsorge, Beschäftigungs- und Konjunkturpolitik sowie Bildung. Es kommt die Zeit, in der wieder makroökonomische Politik gefragt sein wird. Die Sozialdemokratie kann sich hier besser aufstellen. Wenn das geschieht, wird man von dem einzigen Thema Flüchtlinge wegkommen.

Ist die SPÖ für diese Herausforderungen gewappnet?

Der Parteivorsitzende (Christian Kern) ist gewappnet. Freundschaftlich würde ich ihm sagen, die Mitkämpfer um sich zu scharen, es nicht allein aufzunehmen gegen die Verhältnisse. Ein Stärkezeichen der Sozialdemokratie ist es, den Teamgeist unter Freunden zu fördern.

Wird der EU-Wahlkampf eine Abrechnung der Opposition mit der Regierung?

Ja, eine passende Gelegenheit.

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