"Von ,Hass im Netz´ zu digitaler Courage"

Mario Lindner: SPÖ-Politiker und bis 31.12. Bundesratspräsident
SPÖ-Politiker Mario Lindner setzt sich für Gleichberechtigung ein und vermisst Mut in der Politik.

Er ist mit einer Größe von 1,95 Meter "zu klein für sein Gewicht", wie er selbstironisch zugibt. Und er weiß, dass sein Amt ebenso wie die Institution von vielen gerne abgeschafft würde. Doch Mario Lindner hat es als Bundesratspräsident geschafft, der zweiten Kammer des Parlaments ein Gesicht zu geben.

Vom ersten Tag seiner halbjährigen Präsidentschaft an, die am 31. Dezember endet, war im politischen Getriebe etwas anders als sonst.

Anders, weil er mit Nationalratspräsidentin Doris Bures Heinz Fischer am 8. Juli aus dem höchsten Amt im Staat verabschiedete. Anders, weil Mario Lindner mit Kanzler Christian Kern die Regenbogenparade besuchte. Anders, weil der 34-jährige Politiker sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekennt.

Bewusstes Outing

"Ich habe mich geoutet, weil ich es bewusst nicht den Medien überlassen wollte. Und weil ich immer noch glaube, dass es Menschen braucht, die öffentlich für ein Anliegen eintreten, um anderen Mut zu machen."

Lindners Anliegen ist vor allem die Gleichberechtigung – besonders der LGBT-Community (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender) – in der Gesellschaft und "digitale Courage". Wie ernst ihm sein Engagement ist, zeigen die Experten-Enquete, die er im November im Bundesrat ins Leben rief, sowie das 131 Seiten starke Grünbuch und das stenografische Protokoll der vorgetragenen Expertisen, die nun vorliegen. "Die Rechtsmeinungen bei Hass-Postings sind unterschiedlich, doch bei einem sind sich alle einig: Jeder macht etwas – ob Politiker, private Initiativen, Medien oder Organisationen. Wir müssen uns vernetzen, um gemeinsam etwas weiterzubringen."

Lindner weiß aus zahlreichen Gesprächen, dass "es oft eine Hemmschwelle gibt, zur Polizei zu gehen, etwas zur Anzeige zu bringen, weil man einfach Angst hat und auch niemanden vernadern will". Dem Bundesratspräsidenten schwebt eine digitale Plattform, ähnlich jener des Mauthausen-Komitees zum Thema Rechtsradikalismus, vor, über die man Hass-Postings unter anderem "niederschwellig" melden kann, Experten den Sachverhalt prüfen und gegebenenfalls an Behörden weiterleiten.

Bedeutender Kuss

"Weg von ,Hass im Netz‘ hin zu Courage. Nicht gegen etwas sein, sondern für etwas einstehen" – das ist Mario Lindners Devise. Dass er beides lebt, zeigte er Anfang Dezember. Nachdem zwei homosexuelle Freunde in der Wiener Innenstadt verprügelt worden waren, postete er auf Facebook ein Foto.

"Von ,Hass im Netz´ zu digitaler Courage"
Mario Lindner, Bundesrat, Facebook, 3. Dezember 2016, gegen Hass im Netz

Das Bild zeigt den Bundesratspräsidenten einen Freund küssend. Tausende Likes und internationale Medienberichte waren die Folge. "Ich kann nicht von anderen Zivilcourage verlangen – und selbst nicht handeln", begründet der SPÖ-Politiker sein Posting.

Dass es um die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften immer noch schlecht bestellt ist, der einst propagierte Conchita-Effekt in der politischen Realität verpuffte – das alles lässt Lindner nicht mürbe werden. "Wir müssen noch einige überzeugen, aber irgendwann wird es zu einer Gleichstellung kommen. Zumindest wird es bald auch auf Gemeindeämtern möglich sein, eine homosexuelle Partnerschaft eintragen zu lassen." Der Wermutstropfen dabei sei, dass nicht die Politik, sondern Höchstgerichte bis dato errungene Gleichberechtigungspunkte entschieden haben. Geht es nach dem gebürtigen Steirer, "müssen Politiker den Mut haben, Dinge anzusprechen, auch wenn das zwei bis drei Prozentpunkte bei Wahlen kostet".

Besonderes Anliegen

Angesprochen auf das schlechte Image des Bundesrates, sagt der scheidende Präsident: "Wir haben einen eigenen Kinderrechte- und einen Zukunftsausschuss – das hat nicht einmal der Nationalrat. Wir sind die zweit-aktivste Kammer europaweit, doch kaum einer weiß das. Wir müssen selbstbewusster auftreten." Er sei jedoch der Letzte, "der nicht mit sich diskutieren lässt, ob wir einen Bundesrat brauchen. Aber nicht auf der Basis, damit 20 Millionen Euro einzusparen oder den Nationalrat von 183 auf 100 Mandatare zu reduzieren. Wir müssen wenn, dann über das gesamte politische System diskutieren. Dass wir neun unterschiedliche Landesgesetzgebungen, Jugendschutzgesetze oder Bauordnungen haben, versteht kein Mensch."

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