"Vielleicht g’schraubt, Brennpunktschule zu sagen"

SPÖ-Bildungsstadträtin Sandra Frauenberger.
SPÖ-Stadträtin gesteht Fehler ein und verspricht Abhilfe in Brennpunktschulen.

KURIER: Frau Stadträtin, würden Sie Ihr Kind in eine Schule geben, in der die Kinder zu 98 Prozent eine nicht-deutsche Muttersprache haben?

Sandra Frauenberger: Meine Kinder waren in einer solchen Volksschule. Der Jammer in der Sekundarstufe ist, dass, solange wir das geteilte System mit AHS und NMS (Neue Mittelschule) haben, die NMS quasi als Restschule – wie sie leider oft genannt wird – wahrgenommen wird. Wir haben die enorme Herausforderung, zu beweisen, dass die NMS auch gute Schulen sind.

Aber vorerst wird die Trennung AHS und NMS bleiben, es kommt vorerst keine Gesamtschule.

Ja, leider. In der Modellregion dürfen nur 15 Prozent gemeinsame Schulen sein, darüber bin ich gar nicht glücklich. Unser Bürgermeister hat vorgeschlagen, wir könnten aus allen Schulen ein Gymnasium machen. Es geht ja nicht um das Türschild, sondern darum, die Kinder nicht so früh zu trennen.

Tatsache in Wien ist, dass wir einen Niveauverlust in AHS und NMS haben, weil zu viele Kinder in eine AHS wollen, und die NMS zur Restschule wird.

Ich will das nicht schönreden, da gibt es auch Probleme. Solange wir noch trennen, müssen wir darauf schauen, dass das System bestmöglich funktioniert. Da müssen wir jetzt ganz viele Hebel in Bewegung setzen und auf die Schulentwicklung schauen.

Auch Bildungsarmut wird nach wie vor vererbt.

Der soziale Hintergrund hat größte Relevanz, der macht beim Lernfortschritt einen Unterschied von bis zu drei Jahren aus. Da müssen alle Alarmglocken schrillen. Weil Kinder aus bildungsfernen Familien einfach nicht die gleichen Chancen haben wie Kinder mit einem vorteilhaften Bildungshintergrund.

Aber die SPÖ regiert seit 70 Jahren, und das war immer ein wesentlicher Auftrag der Sozialdemokratie. Ist der gescheitert?

Seit 70 Jahren kämpft die Sozialdemokratie für ein gerechtes Bildungssystem. An Otto Glöckels Forderungen aus den 1920er-Jahren hat sich nichts geändert. Der soziale Aufstieg funktioniert ja auch, wenn man von Anfang an ansetzt. Das System ist eben enorm komplex und nicht einfacher geworden.

Also was ist Ihr Plan?

Wir werden uns die besonderen Herausforderungen an jedem Standort ansehen. Es braucht diese Mammutarbeit mit Schulinspektoren und Direktoren. Und dann schauen wir in unserem gut bestückten Instrumentenkasten, was es braucht. Mehr Sozialarbeiter, mehr Psychologen, mehr Therapeuten. Da werden wir Geld in die Hand nehmen.

Ein Drittel ihrer Schüler ist nicht vermittelbar, sagte Direktorin Walach im KURIER. Wurde das Problem unterschätzt?

Lang hat man sich g’schraubt, dass man das Wort Brennpunktschule sagt, auch der Begriff Risikoschüler ist verpönt. Auch wenn die Begriffe zu hart sind, wir müssen genau hinschauen. Es hat mich aber geschmerzt, dass Direktorin Walach für ein Drittel ihrer Kinder de facto keine Zukunft sieht. Das dürfen wir nicht sagen.

Aber da sprach Direktorin Walach aus ihrer Erfahrung.

Das ist mir schon klar, aber wir können ihnen eine Zukunft geben. Das Problem mit diesen Risikoschülern können wir mit Unterstützungspersonal und mit den vielen Programmen und Teams in den Griff bekommen. Und wir müssen weiterdenken. Die Qualifizierungsoffensive, die Wiener Ausbildungsgarantie, gibt uns die Möglichkeit diesen Kindern eine Perspektive anbieten zu können. Wir dürfen sie einfach nicht verlieren.

Das Problem mit den Risikoschülern ist doch ein akutes, braucht es da nicht sofort Maßnahmen?

Wenn Jugendliche nicht vermittelbar sind, müssen wir schauen, dass wir sie über die Ausbildungsgarantie in eine Maßnahme bekommen. Denn wenn diese Jugendlichen ihre Schulpflicht ohne eine weitere Ausbildung beenden, dann haben sie wirklich keine Zukunft. Deswegen müssen wir schauen, dass wir es in den NMS hinkriegen, dass uns das nicht passiert. Und sollte es doch passieren, muss die nächste Bildungsetappe gut geplant und organisiert sein, damit das Angebot für die Schüler wieder passt.

Warum haben wir trotzdem so viele Bildungsabbrecher?

Und die Ursache ist meistens der soziale, bildungsferne Hintergrund der Eltern. Mittlerweile kommen auf einen unqualifizierten Arbeitsplatz 27 Bewerber. Deswegen ist das Schulthema und Qualifizierung so wichtig. Und ja, wir haben viele unterschiedliche Möglichkeiten, um darauf zu reagieren und werden auch nicht müde, nachzudenken, was es noch braucht. Strukturell benötigen wir aber sicher zwei Dinge: Die gemeinsame, ganztägige Schule. Und die sozialindex basierte Mittelzuteilung für Schulen.

Was fordern Sie da für die Verhandlungen zum Finanzausgleich vom Finanzminister?

Ich wünsche mir, dass in den Verhandlungen der Sozialindex Thema wird. Wien wird sich starkmachen für diese soziale Indexierung. Die Studie der EU-Kommission, wonach Jugendliche ohne Ausbildung den Staat im Laufe ihres Lebens rund 1,8 Millionen Euro kosten, ist doch ein super Argument für die Verhandlungen. Wir wollen eine gerechtere Verteilung.

Woran hapert es bei den Ganztagsschulen? Alle Infos morgen im KURIER am Sonntag

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