Kickl-Kritik aus der ÖVP: Blau-Türkise Einigung "sehr, sehr unwahrscheinlich"

Christian Stocker und Herbert Kickl
FPÖ und ÖVP verhandeln seit Dienstagmittag wieder. Nach außen gibt man sich optimistisch, innerhalb beider Parteien scheiden sich die Geister, ob und wie es weitergeht.

Im Wahlkampf wird FPÖ-Chef Herbert Kickl von der Volkspartei unter der Obmannschaft von Regierungschef Karl Nehammer beharrlich als "Sicherheitsrisiko" bezeichnet. 

Seit den Regierungsverhandlungen zwischen den Freiheitlichen und der ÖVP mit dem geschäftsführenden Bundesparteiobmann Christian Stocker in der zweiten Jännerwoche ist davon keine Rede mehr. Dafür attestieren die Türkisen den Blauen, sich in einem "Machtrausch" zu befinden. Als Argumentarium dienen den Verhandlern wie Funktionären der ÖVP gleichsam die publik gewordenen Protokolle.

Auf 223 Seiten ist darin - wie berichtet - nachzulesen, worauf sich FPÖ und ÖVP geeinigt haben (grün) und worauf nicht (rot). Dazwischen gibt es orange, blau und schwarz geschriebene Passagen. Zu Wochenbeginn legt die ÖVP den Freiheitlichen nun ihr Verständnis von "gemeinsamen Grundlinien" vor.

D'accord sei man mit der Aussetzung des Familiennachzugs, sakrosankt sei der Beitritt zu Sky Shield.

Kritik aus der ÖVP

Tags darauf legt nun WKO-Präsident Harald Mahrer wenige Stunden vor weiteren Verhandlungen in der Kronenzeitung nach.  "Österreich ist eine Demokratie, und da sind demokratische Grundprinzipien wichtig. Wer nicht konsensbereit ist und sich nur im Machtrausch befindet, der ist möglicherweise nicht regierungsfit.“ 

Kritik kam auch vom Obmann der Wiener Volkspartei, Karl Mahrer. "Meine kritische Haltung zu Herbert Kickl hat sich zuletzt erneut bestätigt", sagt er zum Standard. "Kickl will offenbar keine stabile und handlungsfähige Regierung - er setzt auf totale Kontrolle und Macht. Wir setzen auf Verantwortung. Herbert Kickl muss sich endlich klar werden, was er möchte - sonst scheitert er." ÖVP-EU-Delegationsleiter Lopatka hält einen Einigung auf eine Koalition mittlerweile für "sehr, sehr unwahrscheinlich", sagte er gegenüber der Kleinen Zeitung. Er sieht seitens der FPÖ keine Bereitschaft für einen pro-europäischen Richtungswechsel: "Da hat es wenig Sinn, noch weiter zu tun."

Legt es die ÖVP mit Aussagen wie diesen und dem Vorlegen eines "Grundsatzpapiers" auf ein Scheitern der Verhandlungen an, stellt sie den Freiheitlichen eine Rute ins Fenster oder lediglich Forderungen, die notwendig sind, um eine blau-türkise Regierung zustande zu bringen?

"Das sind alles Nebelgranaten", so ein Freiheitlicher. Erst habe der ÖVP-Chef von "drei Grundvoraussetzungen" gesprochen, nun sei von "gemeinsamen Grundlinien" die Rede. In Wahrheit gehe es "einzig und allein um das Innenministerium". Welche Partei dieses besetzen wird oder, ob eine für alle akzeptable und rechtlich haltbare Teilung der für beide Parteien wichtigen Agenden Sicherheit, Asyl und Migration möglich ist. 

Geht es nach der FPÖ, soll die ÖVP auf das Innenressort verzichten. Im Gegenzug soll im Ministerium ein unabhängiger Staatssekretär installiert werden, der für den Geheimdienst zuständig ist. Diesen der FPÖ zu überlassen, wäre für die ÖVP nach der BVT-Affäre unter der Amtszeit des damaligen Innenministers Kickl nur schwer zu akzeptieren. 

Es wird wieder verhandelt

Seit Dienstagmittag wird jedenfalls wieder verhandelt. Nach außen gibt man sich zurückhaltend. "Die Verhandlungen gehen selbstverständlich weiter", sagte ÖVP-Chef Christian Stocker vor dem Treffen;  FPÖ-Chef Herbert Kickl sprach zu Mittag von „fünf guten Jahren“, die man dem Land bescheren wolle. 

"Möglich ist derzeit alles", hört man in beiden Parteien weiterhin. Die Bandbreite reicht vom Abbruch der Verhandlungen bis hin zu einem "doch noch Gelingen" bis zum Valentinstag und einer Angelobung am 26.2.2025.

Das Misstrauen zwischen FPÖ und ÖVP sei jedenfalls seit Montag und dem eineinhalbstündigen Gespräch nicht weniger geworden. 

Zudem mutmaßen die Freiheitlichen, dass WKO-Präsident Mahrer, der Finanzen und Steuern verhandelt, bereits längst parallel mit der SPÖ Gespräche führe.

Seitens der SPÖ gibt man sich seit diesem Wochenende mit "ausgestreckter Hand" erneut verhandlungsbereit. SPÖ-Wien-Chef Michael Ludwig lässt selbiges wissen. 

Zur Erinnerung: Die Dreier-Koalitionsverhandlungen sind nach Dafürhalten von ÖVP und Neos an der Sozialdemokratie gescheitert. 

Mikl-Leitner appelliert an Kickl

Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner wandte sich am Dienstag am Rande einer Pressekonferenz in St. Pölten an Kickl. „Wenn ich Bundeskanzler dieser Republik werden will, dann ist das auch eine ganz große Verantwortung. Mit dieser Verantwortung verbunden ist natürlich auch die Kompromissfähigkeit und vor allem auch die Fähigkeit, Brücken zu bauen, um Kompromisse und gemeinsame Zugänge zu schaffen.“ 

Die SPÖ wiederum habe „retrosozialistische Forderungen“ erhoben und ÖVP und Neos bei den Dreierkoalitions-Gesprächen „vom Verhandlungstisch gedrängt“. Dass man nun vorgebe, die Hand sei ausgestreckt, „das scheint mir unglaubwürdig zu sein“, befand Mikl-Leitner. Eine von den Neos aufs Tapet gebrachte Option einer Minderheitsregierung stelle sich aktuell aufgrund der laufenden Regierungsverhandlungen nicht.

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