Van der Bellen in Salzburg: "Das Leben kann nicht weitergehen wie bisher"

Van der Bellen in Salzburg: "Das Leben kann nicht weitergehen wie bisher"
Bundespräsident Alexander Van der Bellen skizziert in seiner Rede bei den Salzburger Festspielen drei Szenarien, spricht von "herausfordernden Jahren" und davon, was jeder einzelne tun kann.

In Bregenz gab sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwoch in seiner Eröffnungsrede anlässlich der 76. Festspiele ungewohnt politisch. Er sprach sich gegen Neuwahlen aus, dafür, dass die Regierung tun solle, wofür sie gewählt wurde ("arbeiten, arbeiten, arbeiten") und für mehr Solidarität. In Österreich wie in Europa. 

Für Russlands Präsidenten fand er eindeutige Worte. "In Moskau herrscht ein Diktator, der es nicht ertragen kann, dass Menschen in Europa in individueller Freiheit und Unabhängigkeit leben. Der vom verweichlichten, dekadenten Westen redet, der unsere Art zu leben, zutiefst verachtet", so Van der Bellen.

Bei der offiziellen Eröffnung der Salzburger Festspiele, denen Bundeskanzler Karl Nehammer fernbleibt wie jenen in Bregenz, setzt das Staatsoberhaupt in der Felsenreitschule den politischen Grundton fort.

Das Zusammenleben werde derzeit auf eine "harte Probe gestellt. Wir haben wieder einen Krieg in Europa. Menschen, Frauen, Männer, Kinder, Familien werden getötet."

Angesichts des Krieges mahnt Alexander Van der Bellen, die Gesellschaft möge sich stets an "Ursachen und Zusammenhänge, an die Kausalität" erinnern, die zum Krieg geführt haben. "Vergessen wir sie nie. Denn Putin will genau das: Dass wir nicht mehr sehen, worum in der Ukraine gekämpft und gestorben wird. Nämlich um das, woran wir glauben. Um unsere Werte! Um unsere Art zu leben. Um unseren Frieden. Und um unsere Freiheit, ein geglücktes Leben führen zu können." 

Man möge sich nichts vormachen, so Van der Bellen, der Krieg in der Ukraine, die Auseinandersetzung "zwischen Despotie und Freiheit ist nicht in ein paar Wochen oder Monaten vorbei. Sie hat eben erst begonnen."

"Waren wir zu gierig?"

Van der Bellen hält rhetorisch der Festspielzuhörerschaft gleichsam mit Fragen einen Spiegel vor, in Passagen wie jenen: "Wir haben nicht gesehen, was die Absicht Putins war, als er halb Europa großzügig mit billigem Gas versorgt hat. Als er in halb Europa lukrative Aufsichtsratsmandate verteilte. Dass er Europa damit in eine Abhängigkeit brachte. Wir haben es nicht gesehen. Oder wollten wir es nicht sehen? Vielleicht weil es bequem war? Weil wir zu sehr an eine ökonomische win-win Situation geglaubt haben? Weil wir vielleicht zu gierig waren?"

Der Bundespräsident regt an, in Szenarien zu denken. Im "bequemsten Fall besinnt sich Van der Bellen eines Besseren". Das Gas würde weiter fließen, doch, so fragt Van der Bellen: "Wollen wir wirklich weiter einer massiven Abhängigkeit von der guten Laune eines Diktators leben?"

"Mit Freiheit bezahlen"

Ein weiteres Szenario wäre, so Van der Bellen in seiner Rede, "dass Europa nachgibt und die Sanktionen einstellt". Die Konten der Oligarchen würden wieder auftauen, die Ukraine ihrem Schicksal überlassen. Der Preis dafür wäre hoch. "Davon bin ich überzeugt. Wir würden in diesem Szenario mit unserer Souveränität, mit unserer Sicherheit und vor allem: mit unserer Freiheit bezahlen." Denn Russlands Präsident führe "keinen Krieg gegen Sanktionen. Er führt einen imperialistisch geprägten Krieg:"

In Russland bestimme einer, Putin nämlich, "wie die Vielen zu leben haben. Und die Vielen zu gehorchen haben."

"Das realistische Szenario"

Für wahrscheinlich wie realistisch hält Alexander Van der Bellen, dass der Krieg und das Leid so weitergehen. "Sogar noch schlimmer werden könnte". Dass Putin die Gaslieferungen weiter drosselt oder einstellt. "Er wird  keine Sekunde zögern, das zu tun, wenn er es für opportun hält. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Jetzt."

Es liege in seiner Verantwortung als Staatsoberhaupt darauf hinzuweisen. Und klar zu benennen: "Es liegen herausfordernde Jahre für uns, unser Gemeinwesen und für unsere demokratischen Institutionen vor uns."

"Steuern auf Entsolidarisierungsproblem zu"

Die Folgen des Krieges gingen nicht an der Gesellschaft vorüber. Viel mehr würden sie die Gesellschaft auf eine Probe stellen. "Österreich steuert auf ein massives Energieproblem zu. Wir steuern auf ein massives Teuerungsproblem zu. Wir steuern, wenn jetzt nicht gehandelt wird, auf ein massives Entsolidarisierungsproblem zu."

Man könne diese Gedanken nicht an der Festspielgarderobe abgeben, sondern müsse sich dem stellen. Sich der "europäischen Stärken besinnen. Lassen wir uns Europa nicht klein reden", sagt Van der Bellen, und ist überzeugt: "Gemeinsam sind wir unüberwindbar".

"Despotenpraxis: teilen und herrschen"

Um gegen die Spaltung der Gesellschaft vorzugehen, möge sich Europa, die Gesellschaft, der Werte besinnen, dem gemeinsamen Können. Die EU gehöre zu den drei größten Volkswirtschaften, entstanden aus den Lehren zweier Weltkriege. Jene, die nun in welcher Form immer mit den "Interessen Putins sympathisieren oder tatsächlich oder vermeintlich mit ihm kollaborieren, gefährden unseren Zusammenhalt doppelt. Wir dürfen uns nicht spalten lassen!  Denn das ist eine uralte Despotenpraxis: teilen und herrschen".

"Grundlegendes Umdenken" in der Krise

Die Zukunft, davon geht das Staatsoberhaupt aus, werde "anders aussehen, als die meisten es sich erhofft haben". Mehr noch, es brauche ein "grundlegendes Umdenken". Österreich müsse sich bei der Energieversorgung unabhängiger machen, dürfe es nicht zulassen, wirtschaftlich nachhaltig schaden zu nehmen. In Österreich werde niemand allein gelassen werden, egal, ob es sich um einen aus der Ukraine Vertriebenen handelt oder jemanden, der sich in Österreich nicht mehr die Heizung leisten könne.

Ob Krieg, Krise und Teuerung mahnt Van der Bellen, "den Überfluss dort zu reduzieren, wo wes möglich ist. Jede und jeder so gut er kann."

Gen Ende seiner Rede regt der Bundespräsident an, überall dort zu sparen, wo es möglich ist. Österreich und Europa könnten das. "Wir sind in dieser Situation eine Schicksalsgemeinschaft. Wir müssen bereit sein, zu akzeptieren, dass unser Leben in diesen Zeiten nicht einfach so weitergehen kann wie bisher, wenn wir das, was wir sind, was uns ausmacht, wofür Generationen vor uns eingetreten sind nicht verlieren wollen."

Zum Schluss adressiert er an alle - die Regierung, die Opposition, die Sozialpartner bis hin zu den Kammern, Kirchen, Unternehmen und Betrieben - zu zeigen, "wie wir sind, wenn es darauf ankommt". Österreich möge wie Europa an sich glauben.

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