Van der Bellen: „Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen“
Der Nationalsozialismus, die Konzentrationslager und auch Auschwitz sind „nicht vom Himmel gefallen“. „Der Boden war schon vor 1938 bereitet, der Samen war gesät“: So deutlich brachte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Geschichte Österreichs im Dritten Reich auf den Punkt. Welche unmenschlichen Auswüchse diese Saat hatte, wird im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau mit voller Wucht spürbar.
Van der Bellen ist gemeinsam mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in Begleitung von vier Ministern nach Auschwitz gereist, um die neue Länderausstellung im Block 17 zu eröffnen. Die Ausstellung mit dem Titel „Entfernung – Österreich und Auschwitz“ will die Rolle Österreichs im Nationalsozialismus aus einem anderen Blickwinkel beleuchten.
„Lange Zeit war es Staatsdoktrin, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus sei. Das spiegelte sich auch in der 1978 eröffneten ersten österreichischen Ausstellung wider, die in diesem Sinne ein Kind ihrer Zeit war“, erinnerte Van der Bellen.
Die neue Schau soll der Beweis einer gereiften Herangehensweise an die österreichische Rolle im Naziregime sein. „Wir müssen uns dem Schatten unserer Vergangenheit stellen“, sagte Außenminister Alexander Schallenberg.
167 Täter in Auschwitz
Sechs Jahre lang sind hier 1,1 Millionen Menschen erniedrigt, ausgehungert, gequält, ermordet worden. „Es
ist der größte Friedhof der Welt“, sagte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, in seiner Rede. Deutsch sorgte für einen emotionalen Höhepunkt der Eröffnung, als er den Abschiedsbrief seiner Großmutter vor der Deportation vorlas.
17.500 Auschwitz-Häftlinge ließen sich als Österreicher identifizieren. 16.000 davon sind umgekommen. 1.500 überlebten. Das ist die Opferseite. Die Täterseite liest sich so: 167 Täter im Konzentrationslager stammten aus Österreich. „167 Täter aus Österreich in Auschwitz – das klingt nicht nach überproportional viel, aber sie waren in der Führungsmannschaft“, erklärt Ausstellungskurator Hannes Sulzenbacher.
Rund 35 Reisen hat Sulzenbacher nach Polen gemacht. „Jedes Mal, wenn man nach Auschwitz kommt, tut es weh“, schildert der Tiroler. Sulzenbacher wollte kein klassisches „Tätereck“ gestalten, sondern sein Ziel war es, Opfer und Täter zu verschränken.
Im Österreich-Pavillon sieht man Exponate wie eine Glückwunschkarte – gezeichnet von Häftlingen für den Häftling Rudi Friemel. Er durfte als einziger Insasse heiraten. Der Automechaniker war ein Kommunist aus Wien. Er durfte sich Haare wachsen lassen, die Hochzeitsnacht durfte das Paar im Lagerbordell verbringen. Trotz dieses Privilegs entkam Friemel nicht dem Tod. Vier Wochen vor der Befreiung von Auschwitz wurde der Wiener gehängt.
Angesichts dessen, dass „die Zeitzeugen zunehmend verstummen, müssen die Ausstellung und Schicksalserzählungen wie diese für sie sprechen“, definierte Sobotka das Ziel.
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