Doch die Staaten, auch Österreich, wollten es anders: Jeder pochte darauf, seinen speziellen Impfstoff-Korb selbst zusammenstellen. Österreich wählte einen Vakzin-Mix aus überwiegend Pfizer-Biontech (11,1 Mio.), Astra Zeneca (5,9 Mio.), Moderna (4,7 Mio.) und Johnson & Johnson ( 2,5 Mio.). Vier weitere bestellte Vakzine aus diesem Mix sind in der EU noch nicht zugelassen.
Das Riesenproblem zum Zeitpunkt der Bestellungen im Frühherbst: Es war ein Blindflug. Im September war noch nicht endgültig sicher, ob es je einen Corona-Impfstoff geben würde. Und noch weniger abzuschätzen war, welche von den Pharmafirmen ab wann, wenn überhaupt, liefern könnten.
Die meisten osteuropäischen Staaten misstrauten zudem den neuen und teuren mRNA-Impfstoffen von Pfizer-Biontech und Moderna. So setzten sie, allen voran Bulgarien, überwiegend auf das billigere und leichter zu handhabende Vakzin von Astra Zeneca. „Die Kommission riet den Staaten damals: Kauft so viel ihr könnt, auch wenn Ihr um ein Vielfaches überbucht“, schildert Yannis Natsis, Politik-Stratege bei der Gesundheits-NGO European Public Health Alliance in Brüssel. „Aber viele Staaten waren skeptisch und fragten: Warum sollten wir?“
Als dann Kapazitäten von Pfizer-Biontech, Moderna und Johnson & Johnson frei wurden, griffen andere Staaten sofort zu. So heftig, dass etwa auf Deutschland schiefes Licht fiel. Der Verdacht kam auf, dass Berlin mit den Pharmafirmen separate Lieferverträge ausgehandelt habe. Das stellte sich als unwahr heraus.
Doch schon Anfang Jänner war damit nach ersten Medienberichten klar: Angesichts der massiven Lieferverzögerungen von Astra Zeneca würde es in Europa zu einer ungleichen Verteilung der Impfstoffe kommen. Dass man im Bundeskanzleramt die längste Zeit davon nicht gehört haben soll, wäre erstaunlich. Zumal es von Seiten des Bundeskanzleramtes bereits Ende Februar dem Vernehmen nach die dringende Bitte an die EU-Kommission gegeben haben soll: Österreich will ebenfalls aufkaufen, wann und wo immer sich die Gelegenheit ergibt.
Und dann warnte noch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach dem letzten EU-Gipfel, also zwei Wochen vor Kanzler Kurz’ empörter Kritik ob des „Basars“ in Brüssel: Es gebe eine Schieflage in der EU: „Die EU-Kommission sollte einen Mechanismus entwickeln, um Impfstoffdosen, wenn nötig anders zu verteilen“, forderte Macron.
Für solch einen „Korrektur-Mechanismus“ wirbt nun auch Kanzler Kurz. Das könnten zehn Millionen zusätzlicher Impfdosen sein, die Biontech-Pfizer liefern werden. Sie sollen, so Kurz, auf jene Länder verteilt werden, die bisher zu kurz kamen. Auch für Österreich könnten dem Vernehmen nach bis zu 400.000 zusätzliche Dosen dabei herausspringen. Gelingt diese Einigung beim nächsten EU-Gipfel, wäre es für den Kanzler unweigerlich ein Prestigegewinn.
Freunde hat sich Kurz mit diesem Vorstoß in Brüssel nicht gemacht: „Wenn jemand schlecht verhandelt und alles auf eine Karte setzt, die sich dann als die Falsche herausstellt, ist das nicht unsere Schuld“, ärgerte sich ein EU-Diplomat. Die Verantwortung habe, wohl jeder Staat bei sich selbst zu suchen.
Gesundheitsexperte Yannis Natsis sieht die Ursache der Spannungen auch noch anderswo: bei den EU-Verträgen mit den Pharmafirmen. Zu intransparent seien sie und vor allem zu „schwach“ – im Sinne, dass sie den Firmen zu viele Freiheiten gaben ohne diese sanktionieren zu können. Zwei Mal habe etwa Astra Zeneca erklärt, die versprochenen Mengen nicht liefern zu können. Statt 90 Millionen werden bis Ende März nur 30 Millionen an die EU-Staaten übergeben. „Und wo sind die Sanktionen?“ ärgert sich Natsis: „Hallo, wir sind die EU. Wir sind eine Macht. Und wir haben keine besseren Verträge zustande gebracht?“ Weil dieser grundsätzliche Hebel gegen die Firmen nun fehle, mein Natsis, „darum betteln wir jetzt um die Impfstoffe“.
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