In der Nacht, erzählt Oksana, habe er ihr die Hände um den Hals gelegt. Sie sei ein Feind, nicht die Frau, mit der er seit 16 Jahren verheiratet war. „Vor dem Krieg war er der perfekte Ehemann. Jetzt ist er ein Monster.“
Die Geschichte der Kiewerin ist kein Einzelfall, das Fuller Project, das sich für Frauenrechte einsetzt, hat sie gesammelt. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, gibt es auch eine zweite Front, die kaum jemand sieht: Die häusliche Gewalt steigt massiv. Die Polizei registrierte einen Anstieg um mehr als 50 Prozent, und das, obwohl in Kriegszeiten viele Fälle nicht gemeldet werden oder wegen Personalmangels nicht aufgenommen werden.
Keine Ressourcen
Fast alle Soldaten, die an der Front waren, zeigen Symptome von posttraumatischem Stress. Das liegt am massiven Artillerieeinsatz dieses Krieges, das Hämmern, Grollen, Dröhnen verschwindet nicht aus dem Kopf; und die Mittel, um die Soldaten aufzufangen, sind gering. Aggression ist eine der Folgen daraus, doch häusliche Gewalt in der Ukraine hat auch unter Zivilisten zugenommen – die prekäre finanzielle Lage vieler Familien und die fehlenden sozialen Dienste haben das Gewaltpotenzial steigen lassen.
Dazu kommt, dass über Verfehlungen von Helden nicht gern gesprochen wird: Opfer trauen sich oft nicht, Übergriffe zu melden, tun sie selbst ab. Oksana etwa wurde von den Behörden abgewiesen: Sie solle Geduld mit ihm haben, ihr Mann sei schließlich ein Kriegsheld. Nach dem Krieg seien wieder Ressourcen da.
Männer-Überhang
Die Flucht vor der Invasion hat zudem dazu geführt, dass es einen Männer-Überhang in der Gesellschaft gibt – Männer im wehrfähigen Alter dürfen nicht ausreisen. Das wird sich in Zukunft nicht ändern, wohl noch verschlimmern: Laut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften könnte das Land bis 2050 um fast ein Drittel schrumpfen. „Bei einem langen Krieg würden neun Millionen Menschen abwandern, bei kürzerer Dauer acht“, sagt Demografin Anne Goujon, die die Szenarien errechnet hat.
Frauen fehlen darum zusehends in der Gesellschaft, was vor allem beim Wiederaufbau problematisch werden wird. „Speziell im Bildungsbereich, im Sozialsektor wird das Konsequenzen haben“, sagt Goujon – in der Pflege, in Volksschulen arbeiten überwiegend Frauen. Männer könnten sie ersetzen, doch Umschulungen kosten Geld. Und das ist bekanntlich in Kriegszeiten mehr als rar.
Kommentare