Nach ÖVP-Vorstoß: Ist Teilzeit wirklich so ein großes Problem?

Er polarisiert und dürfte einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben: Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP). Jüngst hat der umtriebige Oberösterreicher eine Teilzeit-Debatte ausgelöst. Sein Standpunkt: Zu viele Österreicher arbeiten freiwillig zu wenig, Teilzeit sei zu attraktiv.
Die SPÖ, allen voran Finanzminister Markus Marterbauer, widerspricht deutlich. Er sieht die Arbeitgeber und die Männer in der Pflicht. Erstere würden zu wenige Teilzeitjobs mit mehr als 20 Stunden anbieten, zweitere zu wenig Sorgearbeit leisten.
Was sagen Experten zum bisherigen Aufregerthema des Sommers? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Woher wissen wir, wie viele Menschen in Österreich Teilzeit arbeiten?
Die laufende Diskussion habe keine Grundlage, sagt WIFO-Ökonomin Christine Mayrhuber zum KURIER. Warum? „Die einzige Datenquelle zur Arbeitszeit ist die Mikrozensus Arbeitskräfteerhebung, die Frage im Fragebogen lautet: ,Arbeiten Sie Vollzeit oder Teilzeit?’“, so Mayrhuber. Heißt: Die Befragten ordnen sich selbst zu, detaillierte Daten gibt es nicht. Forscher plädieren schon länger dafür, dass Betriebe der Sozialversicherung nicht nur das Einkommen, sondern auch die Arbeitszeit der Mitarbeiter melden sollen. Laut Regierungsprogramm soll das künftig bei der Anmeldung passieren.
Wie hoch ist die Teilzeitquote laut Umfragen?
2024 haben laut Statistik Austria 52 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer in Teilzeitjobs gearbeitet. Die Quote ist in den vergangenen Jahren zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen. EU-weit arbeiten laut Eurostat nur die Niederländer, Dänen und Deutschen kürzer.
In welchen Branchen ist die Teilzeitquote am höchsten?
Mehr als die Hälfte der unselbstständig erwerbstätigen Frauen arbeitet im Gesundheits- und Sozialwesen, Handel, Dienstleistungssektor, Unterhaltung und der Gastronomie Teilzeit (siehe Grafik). Bei den Männer ist Teilzeitquote mit rund 30 Prozent in den Bereichen Erziehung und Gesundheit besonders hoch.
Gibt es zu wenige offene Vollzeitstellen?
Nein. Laut dem wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria waren im Vorjahr 81,7 Prozent der im Jahresschnitt rund 174.000 offenen Stellen Vollzeitjobs.
Würden die Menschen gerne länger oder kürzer arbeiten?
Laut WIFO-Studie von 2023 würden mehr als 100.000 Teilzeitkräfte in Österreich, gerne länger arbeiten. „Derzeit wird es so dargestellt, als liege es nur im Ermessensspielraum der Arbeitnehmer, wie lange ihre Arbeitszeit ist. Aber das Arbeitsvolumen wird angebots- und nachfragemäßig induziert“, sagt Mayrhuber. Agenda-Austria-Ökonom Dénes Kucsera sieht mit Verweis auf die Statistik Austria wiederum einen klaren Trend der Arbeitnehmer zur Teilzeit: „Es zeigt sich, dass nur 14,1 Prozent der Teilzeit-Beschäftigten gerne länger arbeiten würden.“ 20 Prozent der Vollzeitkräfte würden wiederum gerne Arbeitszeit reduzieren.
Wie könnte man Menschen zu mehr Vollzeit animieren?
Negative Anreize, wie die Kürzung von Sozialleistungen, wurden bisher nicht debattiert. Hattmannsdorfer will jene, die ihre Arbeitszeit reduzieren, künftig vorwarnen. Der Grund: Wer weniger verdient, zahlt auch weniger in die Pensionsversicherung ein – was die spätere Pension um Hunderte Euro reduzieren kann. Eine Steuerreform, die Vollzeitarbeit fördert, steht nicht im Regierungsprogramm. Die Agenda Austria hätte mehrere Vorschläge. Etwa Steuersätze, die nicht auf das Jahreseinkommen, sondern den Stundenlohn anfallen. Oder eine „Flat Tax“: Nach der Steuerfreigrenze von derzeit 13.308 Euro würde ein flacher Steuersatz von 17 Prozent gelten – bis zur Höchstbeitragsgrundlage.
Was spricht gegen negative Anreize?
„Würde man alle zur Vollzeitarbeit verpflichten, könnte sich das negativ auf die Beschäftigungsquote auswirken, da die Rahmenbedingungen für Vollzeittätigkeit vielerorts nicht gegeben sind“, sagt Mayrhuber. Durch Teilzeit, die häufig alternativlos sei, habe zudem die Frauenbeschäftigung enorm zugelegt: „Der Anteil der Männer, die mehr Sorgearbeit übernehmen, ist immer noch nicht gestiegen.“
Wie erwähnt, weiß die Sozialversicherung nicht, wie viele Stunden jemand arbeitet. Das erschwert gezielte Maßnahmen. Dazu kommt das Problem schlecht bezahlter Vollzeitjobs: „Auch Niedriglöhne wirken sich negativ auf die Finanzierung des Sozialstaats aus“, sagt Mayrhuber. „Die Diskussion blendet die Tatsache aus, dass nicht die Arbeitszeit, sondern das Einkommen die Grundlage der Sozialversicherungsbeiträge bildet.“
In welchen Branchen gibt es die meisten Niedriglohnbeschäftigten?
In der „Beherbergung und Gastronomie“. Hier fielen 2022 57,6 Prozent der Arbeitnehmer unter die Niedriglohngrenze von damals 11,66 Euro brutto pro Stunde. Auch die Hälfte der Vollzeitkräfte lag darunter. Dahinter folgt der Sektor der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen und die Unterhaltung. Zwischen den Geschlechtern gibt es übrigens branchenübergreifend große Unterschiede: 20,6 Prozent der Frauen und 9,4 Prozent der Männer beziehen Niedriglöhne.
In welchen Branchen gehen die Menschen am frühesten in Pension?
Auch die Zahl der Beitragsjahre wirkt sich kräftig auf die Pensionshöhe aus. Vorab: Da das Pensionsalter der Frauen bis 2033 stetig steigt, ist derzeit eher ein Blick auf die Männer sinnvoll. Welche Branche arbeitet am „längsten“? 2022 waren das der Bildungsbereich (64,2 Jahre) und die Gastro (64). Besonders weit entfernt vom gesetzlichen Antrittsalter von 65 Jahren ist der körperlich fordernde Bau – aber auch die öffentliche Verwaltung.
Eine Verdoppelung der Arbeitszeit von 20 auf 40 Wochenstunden bringt durchschnittlich aufgrund höherer Steuern netto nur 68 Prozent mehr Einkommen. Der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria hat dazu detaillierte Rechenbeispiele vorgelegt:
- 20 Stunden: Ein Handwerker arbeitet 20 Stunden pro Woche, und zwar bei einem Bruttomonatsgehalt von 1.750 Euro. Er überlegt, um zehn Stunden aufzustocken, entscheidet sich aber dagegen. Warum? Für 50 Prozent Mehrarbeit würde sein Nettogehalt um lediglich 35,7 Prozent steigen.
- 30 Stunden: Eine Kindergärtnerin versieht 30 Stunden pro Woche ihren Dienst und erhält dafür monatlich 1.875 Euro brutto. Sie würde gerne auf 40 Wochenstunden, also Vollzeit, aufstocken. Das Problem: Für 33,3 Prozent Mehrarbeit erhält sie netto lediglich 23,1 Prozent mehr. Ob sie dafür ihre Freizeit opfert?
- 40 Stunden: Eine Journalistin, die Vollzeit arbeitet und damit ein Monatsbruttogehalt von 4.500 Euro verdient, hätte gerne mehr Freizeit. Zahlt es sich für sie aus, die Arbeitszeit zu reduzieren? Durchaus. Würde sie 20 Prozent weniger arbeiten, also auf 32 Wochenstunden reduzieren, blieben ihr 3.600 Euro brutto – und damit immer noch 84 Prozent ihres bisherigen Nettogehalts.
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