Tausche Zivil-Job gegen Politik: Das Resümee der Quereinsteiger
Spannend, prickelnd; etwas, das demütig macht – so hat sich für Gaby Schwarz, frühere ORF-Moderatorin und Radioprogrammchefin im Burgenland, der Quereinstieg in die Politik angefühlt.
Die 57-Jährige stach rasch unter den 183 Abgeordneten im Parlament hervor, war Vize-Klubobfrau und Gesundheitssprecherin der ÖVP mit einer breiten Themenpalette. „Seit der Matura habe ich nicht mehr so viel lernen müssen. Den Arbeitsaufwand habe ich völlig unterschätzt“, sagt sie lachend.
Ihr Enthusiasmus konnte nicht einmal gebremst werden, als Türkis-Blau 2018 das Rauchverbot gekippt hat – und sie als türkise Abgeordnete gegen ihre persönliche Überzeugung stimmen musste.
Solche Entscheidungen seien aber kein Polit-Spezifikum – so etwas ist Schwarz aus dem Management bekannt: „Ich weiß, dass man nach kontroversen internen Diskussionen manchmal Kompromisse eingehen muss.“ Dass das Rauchverbot nach dem Koalitionsbruch nun doch kommt, ist eine Erleichterung für die frühere „Kettenraucherin“.
Schwarz kandidiert auf Platz 8 der Bundesliste – der Wiedereinzug ins Parlament ist der Burgenländerin damit sicher.
"Zwang zur Selbstvermarktung"
Keine einzige Nationalratssitzung hat Irmgard Griss versäumt, in mehr als 30 Sitzungen sprach sie im Plenum. Die frühere Präsidentin des Obersten Gerichtshofs nahm ihren Polit-Job bei den Neos ernst. Sehr ernst. Vielleicht zu ernst.
Motiviert hat sie damals ihr Erfolg bei der Bundespräsidentschaftswahl – 18,9 Prozent für eine Quereinsteigerin, das war beachtlich. Nach zwei Jahren im Parlament kandidiert sie nun nicht mehr. Warum? „Ich habe es mir angeschaut, und jetzt höre ich auf“, sagt die Juristin lapidar. Dazu kommt: Es lockt der Ruhestand, die Enkelkinder sollen mehr von ihrer Oma haben.
Die Politik, so erklärt die 72-Jährige dann, sei für sie so faszinierend wie irritierend gewesen: „Als Richterin lag es an mir, ob ich etwas erreiche. In der Politik braucht man immer andere, die das mittragen.“
Dazu komme der „ständige Zwang zur Selbstvermarktung“, der sie gestört habe. Ganz kann sie es aber nicht lassen: Griss unterstützt die Neos im Wahlkampf, auch ein Comeback bei der Hofburg-Wahl 2022 scheint nicht ausgeschlossen. Sie sagt dazu nur: „Mein Gott, das liegt in ferner Zukunft. Daran denke ich jetzt nicht.“
„Mehr Arbeit, größere Strapazen fürs Nervenkostüm, aber weniger Geld“, so das Resümee von Alfred Noll über seine politische Karriere. An sich, so sagt der Wiener Anwalt, habe er sich schnell eingewöhnt. Als Jurist seien ihm Gesetzestexte, die es im Parlament zu bearbeiten gibt, ebenso wenig fremd wie Konflikte – und bei dem Teil muss er lachen.
Konflikte gab es bei der Liste Jetzt, ehemals Pilz, ja zuhauf. Er ist einer von fünf Abgeordneten, die der Liste und ihrem Gründer Peter Pilz den Rücken gekehrt haben und nicht mehr kandidieren.
Lust an Provokation
2017 hatte er noch eine fast sechsstellige Summe im Wahlkampf investiert, jetzt gab er seinen zwei verbliebenen Kollegen im Klub nicht einmal die nötige Unterschrift für die neuerliche Kandidatur. Die Chancen auf einen Wiedereinzug stehen schlecht, in Umfragen liegt die Liste bei unter zwei Prozent.
Dass er den Schritt in die Politik gewagt hat, begründet der Jurist mit einem „akademischen Interesse“ – und einer gewissen Lust an der Provokation: „In der Opposition kann man das Augenmerk auf Dinge richten, die sonst untergehen – und für Irritation bei den Oberen sorgen.“
Die Dichte an Rechtsanwälten und Notaren im Hohen Haus ist hoch – eine von sechs im Klub der Freiheitlichen ist Susanne Fürst. Die 50-jährige Oberösterreicherin hat es 2017 von der Juristerei in die Politik verschlagen, vorher war sie für die Blauen Expertin bei einer Enquete zur direkten Demokratie und im ORF-Publikumsrat.
Die Vollblut-Blaue
Sie ist noch nicht lange im parteipolitischen Getriebe, aber Fürst ist eine, die man als Vollblut-Blaue bezeichnen könnte. „Ich konnte mich mit dem Kurs, den Strache und Kickl vorgegeben haben, sehr gut identifizieren. Als Abgeordnete hatte ich den Luxus, dass ich alles, was wir beschlossen haben, mit voller Überzeugung mittragen konnte.“
Für sie hätte es besser nicht laufen können – wären da nicht die Störgeräusche gewesen, die „Einzelfälle“. Das „Rattengedicht“ des Braunauer Vizebürgermeisters? „Nicht mein Geschmack.“ Die Ibiza-Affäre? „Entsetzlich.“
Die Anwältin ist aber pragmatisch: „Ich muss in Familie und Freundeskreis auch nicht mit allem einverstanden sein, was da gesagt und getan wird. Was zählt, sind die großen gemeinsamen Ziele.“ Fürst dürfte es wieder in den Nationalrat schaffen, sie ist Nummer 1 auf der OÖ-Liste.
SPÖ verzichtet auf Quereinsteiger
Christian Kern: Manager, Macher, Mann klarer Worte. Was wurde der ÖBB-Chef nicht mit Vorschusslorbeeren überhäuft, als er im Mai 2016 nach dem Abgang von Werner Faymann die SPÖ und das Kanzleramt übernahm.
Der Quereinsteiger war selbst überzeugt vom Prinzip Quereinsteiger: Jemand aus der Praxis, aus der „echten Welt“, der sich nicht um Befindlichkeiten schert, der richtige Sachpolitik macht. Er scheiterte. Kanzler war er 19 Monate, Oppositionsführer rund acht Monate lang.
Die Quereinsteiger, die er mitgenommen hatte – Pamela Rendi-Wagner, Thomas Drozda, Sonja Hammerschmid – sind im Nationalrat geblieben und schlagen nun erneut eine Wahl. Von der Idee Quereinsteiger scheint man aber abgekommen zu sein.
Rendi-Wagner, Kerns Nachfolgerin an der Parteispitze, hat auf der Bundesliste heuer Kandidaten vom Lehrer, Polizisten und Krankenpfleger, über Wissenschafter und Maschinenschlosser bis hin zum Schüler und Bauer. Aber es sind – wie schon 2017 – keine Quereinsteiger auf einem wählbaren Platz. „Es geht uns bei der Liste um Expertise, und darum, dass das Parlament nicht aus Starlets besteht“, sagt Bundesgeschäftsführer Drozda.
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