Strom- vom Gaspreis trennen? Sonntagabend Gipfel im Kanzleramt
Die dramatisch steigenden Strompreise lassen nicht nur bei Konsumenten, sondern auch in der Politik die Alarmglocken läuten. Von Deutschland bis Österreich ist hektische Betriebsamkeit ausgebrochen.
Im Bundeskanzleramt findet am Abend ein Krisengipfel statt, zu dem Türkis-Grün auch die rote Wiener Stadtregierung zugezogen hat.
Inzwischen sind sogar Paradeliberale wie der deutsche FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner für einen "sofortigen" Eingriff in den Strommarkt. Zur Bild am Sonntag sagte Lindnder, die Inflation werde immer mehr vom Strompreis getrieben. Der Liberale kritisiert die hohen Gewinne der Betreiber von Windrädern, Solaranlagen (und Kohlekraftwerke in Deutschland, die es in Österreich nicht gibt, Anm.). "Die Politik hat hier einen Profitautopiloten eingerichtet."
Wind und Sonne nicht teurer, aber Preise steigen
Auch Ex-Kanzler Christian Kern hatte kürzlich im KURIER-Interview kritisiert, dass Produzenten von Wind- und Solarstrom automatisch so bezahlt würden, als hätten sie teures Gas für ihre Stromproduktion eingekauft. Dahinter steckt das auf dem Strommarkt geltende Merit-Order-Prinzip, wonach der Strompreis durch das teuerste Kraftwerk bestimmt wird. Wind und Sonne seien aber nicht teurer geworden, sagt Kern.
Energiegipfel im Kanzleramt
Eine Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis ist auch Thema beim Energiegipfel im Kanzleramt, der heute, Sonntagabend, stattfindet. Beim Gipfel anwesend sind Vertreter der Wiener Stadtwerke, die sich Wiens Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ) abstimmen, wie es aus dem Stadtratsbüro heißt.
Von Regierungsseite sind neben Kanzler Karl Nehammer auch Finanzminister Magnus Brunner, Wirtschaftsminister Martin Kocher und Energieministerin Leonore Gewessler anwesend. Weitere Teilnehmer: Verbundchef Michael Strugl, Wien-Energie-Chef Michael Strebl und E-Control-Chef Wolfgang Urbantschitsch.
Entkopplung Gas und Strom Thema
Bisher galt eine Entkoppelung von Strom- und Gaspreisen als Maßnahme, die möglichst auf EU-Ebene stattfinden sollte. Nun debattiert Deutschland aber eine Single-Lösung. Nehammer ist laut Krone mit der deutschen Regierung dazu in Kontakt.
Auch die Umsetzung der Strompreisbremse dürfte auf der Tagesordnung stehen.
AK und ÖGB: Das Modell für Sondersteuer
AK und ÖGB fordern, dass die Energiekonzerne ihre Sondergewinne per Sondersteuer wieder abliefern müssen. Ihr Modell legten die Arbeitnehmervertreter am Sonntag vor. Insgesamt sollen dabei 1,5 bis 2,2 Mrd. Euro pro Jahr zur Finanzierung von Anti-Teuerungsmaßnahmen winken. Für Investitionen in erneuerbare Energieträger gibt es Abzugsmöglichkeiten.
Übergewinne "sachlich nicht gerechtfertigt"
AK und ÖGB fordern von der türkis-grünen Regierung die baldige Einführung einer Sondersteuer auf Übergewinne. "Mit dem Modell wird es in Österreich, wie in anderen europäischen Ländern auch, die Möglichkeit geben, die Übergewinne der Energiekonzerne abzuschöpfen, damit sie tatsächlich den Vielen zugutekommen", so AK- Präsidentin Renate Anderl. "Es gibt keine sachliche Rechtfertigung für Übergewinne, daher braucht es diese Steuer, die Menschen in dieser besonderen ökonomischen Krise und der Rekordinflation langfristig unterstützt", sagte ÖGB-Chef Wolfgang Katzian.
Investitionen in Erneuerbare nicht belastet
Auf Basis der Bilanzen der wichtigsten Energieunternehmen - darunter Verbund und OMV - sind der AK und dem ÖGB zufolge mit 4 bis 5 Mrd. Euro pro Jahr an Übergewinnen zu rechnen. Für Investitionen in erneuerbare Energien können davon 1 bis 1,5 Mrd. Euro abgezogen werden. Dadurch sollen Anreize, in erneuerbare Energien zu investieren, erhalten bleiben. Übergewinnsteuern standen jüngst in der Kritik, weil sie auch Erneuerbare-Anbieter treffen würden und damit die Abkehr von fossilen Energieformen verzögern und die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas verlängern könnten.
60 bis 90 Prozent der Übergewinne abschöpfen
Besteuert werden sollen Energieunternehmen in Österreich, Ausnahmen sind dabei für Kleinstunternehmen bis zu einem Umsatz von 1 Mio. Euro vorgesehen. Insgesamt sieht das Modell eine Abschöpfung von 60 bis 90 Prozent der Übergewinne vor. Übergewinne werden dabei als Gewinne definiert, die über den durchschnittlichen Referenzgewinn der Jahre 2019 bis 2021 hinausgehen. Als Basis dient der Unternehmensgewinn vor Abschreibungen, Finanzergebnis und Steuern (EBITDA). Damit sollen Verzerrungen durch die Neubewertung von Beteiligungen oder Ähnliches reduziert werden. Investitionen in erneuerbare Energieträger im Inland können sofort und vollständig vom Übergewinn abgezogen werden.
Mit Körperschaftssteuer gegenrechnen
Die Sondersteuer greift dem AK/ÖGB-Modell nach erst, wenn der Gewinn für die betroffenen Jahre bei mehr als 110 Prozent des Referenzgewinnes liegt. Diese Übergewinne sollen mit 60 Prozent besteuert werden, Gewinne, die über 130 Prozent des Referenzgewinnes liegen, mit einem Steuersatz von 90 Prozent. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, ist die Übergewinnsteuer von der Einkommen- bzw. Körperschaftssteuer absetzbar. Wie die "Bankenabgabe" soll diese als eigenständige Sonderabgabe konzipiert sein. Die Erhebung der Steuer soll dabei auf Basis von Erklärungen der Unternehmen erfolgen, mit Erstellung des Jahresabschlusses etwa. Das Modell wäre für die Jahre 2022 bis 2024 befristet angelegt.
Energie treibt Inflation
Der Großteil der aktuellen Rekordinflation ist auf den Energiebereich zurückzuführen. Dabei würden Energieunternehmen nicht nur importierte Preissteigerungen weitergeben, sondern auch durch Steigerung der eigenen Gewinnmargen - insbesondere bei Strom und Treibstoffen - die Preise in die Höhe treiben, argumentieren AK und ÖGB. Ein befristeter steuerlicher Beitrag des Energiesektors zur Finanzierung der staatlichen Hilfsprogramme sei daher auch verfassungsrechtlich ausreichend begründbar und ähnle damit etwa der Bankenabgabe im Anschluss an die Finanzkrise. Insbesondere im Hinblick auf diese "besondere ökonomische Krise" sei die Maßnahme den Arbeitnehmervertretungen zufolge "sachlich gerechtfertigt" und keineswegs "willkürlich".
Sonderdividenden sind für AK und ÖGB keine Alternative zur Übergewinnsteuer, weil diese nur bei Verbund und Tiwag greifen und damit zu deutlich geringeren Einnahmen führen. Bei der OMV sei der Staat ein Minderheitseigentümer und könne keine Sonderdividende veranlassen.
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