Strafvollzug: "Liberal" heißt nicht "kuscheln"
Empört zeigt sich Volksanwältin Gertrude Brinek über die Kritik blauer und schwarzer Justizwache-Gewerkschafter an der Liberalisierung des Strafvollzugs bzw. der Titulierung "Kuscheljustiz" (der KURIER berichtete).
Die Volksanwaltschaft kontrolliert die österreichweit 27 Justizanstalten, jährlich gibt es dort um die 300 Beschwerden von Insassen. Meist gehe es um den Zustand der Zellen, mangelnde Beschäftigung, seltener auch um Umgangsformen der Wachebeamten. Seitens der Beamten gibt es jährlich "weniger als zehn" Beschwerden, sagt Brinek, meist gehe es um dienstrechtliche Fragen.
Auch Aussagen, dass Insassen immer aggressiver würden und ihnen die Handhabe fehle, sie zu disziplinieren, lässt Brinek nicht gelten: „Im Rahmen von Ordnungsstrafen kann man Vergünstigungen entziehen, aggressive Insassen können in Einzelzellen abgesondert werden. Die Mittel sind da, man muss sie nur nutzen.“
In einem Punkt stimmt die Volksanwältin der Justizwache-Gewerkschaft zu: Es gebe zu wenig Personal. 200 Planstellen sind unbesetzt, es fehlt der Nachwuchs. Laut Brinek fehlt es aber vor allem auch an Fachpersonal für die psychologische und medizinische Betreuung.
Vernünftiger Ansatz
Dass es im Justizvollzug diverse Probleme gibt, ist also evident, dass er zu liberal sei, ist keines davon, betont Brinek: "Von kuscheln kann keine Rede sein, wenn es um Maßnahmen geht, die zu einem offeneren, menschlicheren Strafvollzug geht." Die Volksanwältin erinnert: "Jeder Häftling kommt irgendwann wieder raus und könnte in die Nachbarschaft ziehen. Je besser man mit Menschen in Haft umgeht, desto erfolgreicher wird ihr späterer Weg in Freiheit sein."
Justizminister Wolfgang Brandstetter habe dahingehend "erste Schritte gesetzt, soweit es in seiner Amtszeit möglich war. Ich wünsche mir vom nächsten Minister, dass er diese Ambitionen weiterverfolgt", appelliert Brinek an die Koalitionsverhandler.
ÖVP und FPÖ treffen heute, Dienstag, in der Untergruppe Justiz zusammen, dabei wird auch der Strafvollzug Thema sein. Justizminister Brandstetter verhandelt für die ÖVP-Seite und richtet seinen Kritikern aus: "Wer will, dass kein Stammklientel an rückfälligen Straftätern aufgebaut wird, muss den Ansatz der Resozialisierung verfolgen. Das hat nichts Ideologisches, sondern folgt der Vernunft und Logik, den Insassen während der Haft Perspektiven für die Zukunft zu geben."
Gemeinsamer Wachkörper
Wie berichtet, gibt es eine parlamentarische Bürgerinitiative, in der eine härtere Gangart gegen "Vollzugsstörer" und eine Angleichung an Exekutivbeamte der Polizei gefordert wird. Einige Gewerkschafter sprechen sich für eine Übersiedelung der Justizwache ins Innenministerium aus, um einen gemeinsamen Wachkörper mit gleichen Rechten zu schaffen.
Der stellvertretende Vorsitzende der Justizwachegewerkschaft, der FSG-Vertreter Christian Kirchner, hat „kein Verständnis“ für derartige Pläne. Seiner Auffassung nach ist die Justizwache im Justizministerium „gut aufgehoben“. Im Innenministerium würde „das Wegsperren im Vordergrund“ stehen. Das sehe man auch in den Polizeianhaltezentren, wo es „nur um Auf- und Zusperren“ gehe. Im Strafvollzug gehe es aber in erster Linie um Betreuung und Resozialisierung, um die Vorbereitung auf eine Leben in der Freiheit.
Der Vorwurf der „Kuscheljustiz“ ist für Kirchner „ein Schlagwort“. Das treffe aber nur für etwa fünf Prozent der Häftlinge zu, die er als „Vollzugsquerulanten“ bezeichnet, weil diese Probleme machen und auch Kollegen verletzen. Für diese benötige man schärfer Maßnahmen, aber nicht für die 95 Prozent der anderen Häftlinge.
Um diese fünf Prozent der „Vollzugsquerulanten“ in den Griff zu bekommen fordert der FSG-Vorsitzende in der Justizwachegewerkschaft technische Möglichkeiten, gesetzliche Änderungen und mehr Personal.
Gummizellenforderung
Im Strafvollzugsgesetz wünscht sich Kirchner etwa, die Möglichkeit, dass dem Häftling Vergünstigungen entzogen werden können, in eine Mussbestimmung umzuwandeln. Und schließlich tritt er dafür ein, für Häftlinge, die toben und andere verletzen, wieder Gummizellen und Gitterbetten mit Gurten zu schaffen. Kirchner betont aber, dass für die anderen 95 Prozent der Häftlinge die Betreuung und Resozialisierung im Vordergrund stehen müsse.
Gewerkschaftschef Albin Simma fegt die Forderung nach einer Zusammenlegung als "Einzelmeinungen" vom Tisch, räumt gegenüber dem KURIER aber ein, "gesprächsbereit zu sein, wenn der Rahmen abgesteckt ist". Auch er wünscht sich eine Stärkung der Justizwache, vor allem aber in arbeitsrechtlicher Hinsicht, etwa – wie die Polizei – in die Schwerarbeiterregelung aufgenommen zu werden. Das ist aber nicht Sache des Justizministeriums, sondern des Bundeskanzleramts (zuständig für den öffentlichen Dienst) - und das dürfte künftig in ÖVP-Hand sein.
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