Strafverfahren gegen Wahlbeisitzer: „Als hätte man große Untat begangen“
Seit fast zwei Jahren ist Alexander Van der Bellen im Amt. Etwas länger ist es her, dass Wolfgang Mayer in Bregenz zur Polizei musste und als Tatverdächtiger befragt wurde: Was ist da passiert bei der Bundespräsidenten-Stichwahl 2016?
Gegen Mayer, der für die Freiheitlichen als Wahlbeisitzer tätig war, wird wegen „falscher Beurkundung im Amt“ ermittelt. Die Auszählung der Briefwahlstimmen ist bekanntlich in einigen Wahlbehörden rechtswidrig abgelaufen, die Stichwahl wurde dann vom Höchstgericht aufgehoben.
Seit seiner Einvernahme im September 2016 hat Mayer nichts mehr von Polizei oder Justiz gehört. „Ich weiß nicht, was auf mich zukommt, und das belastet mich sehr“, sagt der 52-jährige Vorarlberger, der nicht versteht, warum gegen ihn immer noch ein Strafverfahren läuft. „Ich mache das ehrenamtlich und nehme mir extra Urlaub dafür. Man wird behandelt, als hätte man eine große Untat begangen.“
Musterprozess Villach
Wie ihm geht es Dutzenden anderen Wahlbeisitzern in 14 Wahlbehörden, die seit zwei Jahren in der Warteschleife hängen. Anfangs waren es 20, bei fünf Behörden wurden die Verfahren bereits eingestellt. Bei einer, Villach-Stadt, gab es Ende Juli einen Prozess – es läuft noch ein Berufungsverfahren.
Die Urteile überraschten viele: Eine Beisitzerin, die auf die Fehler aufmerksam gemacht hatte, wurde freigesprochen; alle anderen wurden verurteilt. Für einfache Wahlbeisitzer – darunter Büroangestellte, Kindergärtnerin oder Pensionistin – gab es Geldstrafen von 5400 bis 9000 Euro. Eine Beisitzerin hat Berufung eingelegt, ihr Anwalt Meinhard Novak fordert für sie eine Diversion (eine Art Ausgleich; Anm.).
Der Fall könnte richtungsweisend für alle folgenden sein, so die Theorie von Novak: „Wenn das Oberlandesgericht entscheidet, dass eine Diversion angebracht wäre, könnten ähnliche Fälle künftig auch so milde enden.“ Das geht auch außergerichtlich – und hätte den Vorteil, dass man sich im Vornherein etliche Gerichtsprozesse spart.
Novak und Kollege Christoph Völk regen zudem eine Beschwerde „zur Wahrung des Gesetzes“ an. Die Verteidiger glauben, das Erstgericht habe einen Fehler gemacht, weil es keine Diversion gab.
Wo hängen Berichte fest?
War Villach-Stadt also ein Testballon, ein Musterprozess? „Das ist ganz offensichtlich“, sagt auch Anwalt Völk, der noch andere Wahlbeisitzer vertritt.
Völk kritisiert die Justiz scharf: Die überlangen Verfahren verstoßen seiner Ansicht nach gegen die Strafprozessordnung und die Menschenrechtskonvention: „Das Recht auf ein faires und schnelles Verfahren wird missachtet. Wahlbeisitzer werden hier zum Spielball justizpolitischer Interessen gemacht.“
Bei der Justiz erklärt man die lange Verfahrensdauer damit, dass es einerseits sehr viele, teils komplexe Fälle sind (ermittelt wurde gegen 250 Personen), und andererseits mit der Berichtspflicht an übergeordnete Stellen.
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ( WKStA) hat ihre Vorhabensberichte für alle Wahlbezirke bereits im Frühjahr über die Oberstaatsanwaltschaft ans Justizministerium geschickt. Kürzlich sind drei Berichte (von 14) zur WKStA retourgekommen.
Wo sie so lange hängengeblieben sind, ob es etwa gröbere Korrekturen gab und wo es bei den übrigen hakt, wird nicht kommuniziert. Auf KURIER-Anfrage nach dem Ergebnis der Berichte, die wieder retour sind, heißt es am Montag einmal mehr: Bitte warten.
Chronologie: Briefwahl-Debakel und seine Folgen
22. Mai 2016
Stichwahl zur Hofburg-Wahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer.
8. Juni 2016
FPÖ ficht die Stichwahl an.
18. Juni 2016
Die Staatsanwaltschaft leitet nach Fehlern bei der Briefwahl-Auszählung Ermittlungen gegen 250 Personen ein.
1. Juli 2016
Der Verfassungsgerichtshof hebt die Stichwahl auf.
4. Dezember 2016
Die Stichwahl wird wiederholt, Van der Bellen wird mit 53,8 Prozent der Stimmen zum Bundespräsidenten gewählt.
5. März 2018
Die Staatsanwaltschaft schließt ihre Ermittlungen ab. Bei fünf von 20 Wahlbehörden werden die Verfahren eingestellt.
25. April 2018
Die ersten Anklagen stehen: Betroffen sind zehn Personen aus Villach-Stadt.
26. Juli 2018
Die Verhandlung in Klagenfurt endet mit neun Schuldsprüchen und einem Freispruch. Eine Berufung läuft noch.
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