Aufstand der Wirtschaft gegen den Steuerpakt
Die Regierungsspitze hat am Freitagabend die Steuerreform offiziell vorgestellt (mehr dazu hier). Die Wirtschaft schaut bei der Steuersenkung durch die Finger, zahlt aber bei der Gegenfinanzierung der Entlastung kräftig mit. Das sagen viele Unternehmer und ihre obersten Interessensvertreter.
Im ÖVP-Wirtschaftsbund gärt es gewaltig. Im Präsidium des Wirtschaftsbundes kam es Freitagfrüh sogar zu einem einstimmigen Beschluss gegen die Steuerreform.
Weshalb? Die monatelang bekämpfte Registrierkassenpflicht, die völlig überraschende Aufhebung des Bankgeheimnisses für Unternehmen (mehr dazu hier), die höhere Grunderwerbsteuer und vor allem die höhere Kapitalertragsteuer auf Dividenden, die die Ausschüttungen in Familienbetrieben verteuert – das alles schmerzt sehr.
Einstimmigkeit erkauft
In der ÖVP kam es zwischen Parteichef Reinhold Mitterlehner und Wirtschaftsbund-Chef Christoph Leitl zum Showdown. Mitterlehner, berichten Insider, habe indirekt sogar mit Rücktritt gedroht, sollte der Wirtschaftsbund die Zustimmung verweigern. Leitl pochte auf Nachbesserungen. Im Parteivorstand segnete der Wirtschaftskammer-Boss das Paket letztlich doch ab, nachdem die ÖVP-Spitze Nachbesserungen versprochen hatte: z.B. bei der Registrierkassenpflicht und der Betrugsbekämpfung, wo auch dem Missbrauch von Arbeitslosengeld oder E-Cards stärker nachgegangen werden soll.
Mitterlehner konnte so doch das einstimmige Okay seiner Parteifreunde verkünden. Das bedeute freilich nicht, dass es keine Kritik mehr gebe, gab Mitterlehner am Abend zu.
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Die wahre Stimmung in der Wirtschaft gibt Aktionärsschützer Wilhelm Rasinger wieder. Die Annahme, dass durch die schnelleren Kontenöffnungen bei Unternehmen 700 Millionen Mehreinnahmen zu erzielen sein würden, sei „beleidigend.“
Leitl gab zu, er habe sich von der Steuerreform „mehr“ gewünscht. Zur Registrierkassenpflicht sagte er: „Wir sind auch für Betrugsbekämpfung, aber gegen bürokratische Sekkiererei.“ Daher habe er die Registrierkassenpflicht „nicht achselzuckend“ zur Kenntnis nehmen wollen. Er hofft auf Nachverhandlungen.
Was das Bankgeheimnis für Unternehmen betrifft, verwies er auf die internationalen Bestrebungen zum Datenaustausch. Österreich werde sich hier nicht ausnehmen können. Leitl pochte aber darauf, dass die Bankkonten nur bei einem „begründeten Verdacht“ rasch offengelegt werden dürfen.
Insgesamt habe er sich den Inhalt der Steuerreform anders vorgestellt, denn Österreich habe ein Ausgaben- und kein Einnahmenproblem, kritisierte er die Steuererhöhungen.
Das Donnerstagnacht in letzter Sekunde geschnürte Paket von 200 Millionen Euro ist also noch zu wenig gewesen, um die Wirtschaft zu befrieden. Damit steigt das Volumen der Steuerreform von fünf auf 5,2 Milliarden Euro.
Nicht zustande gekommen ist die von der Volkspartei angestrebte Lohnnebenkostensenkung um 800 Millionen Euro. Sie wurde mit einer „vagen Absichtserklärung auf 2018 vertagt“, schimpft ein Industrieller.
Industrie „traurig“
IV-Präsident Georg Kapsch meinte, man sei „traurig, weil die Steuerreform wieder nicht für große Strukturreformen genutzt“ worden sei.
Auch die Erhöhung der Grunderwerbsteuer ärgert die Wirtschaft massiv. Nicht nur weil man sie als Erbschaftssteuer durch die Hintertür interpretieren kann. Auch Betriebe zahlen hier mehr als bisher. Allerdings erst ab einem Freibetrag von 900.000 Euro.
Einen Aufschrei gab es auch von der Börse Wien und der Tourismuswirtschaft. Die höhere Mehrwertsteuer auf Übernachtungen kommt deshalb wahrscheinlich erst ab 1. Juni 2016.
Lohnsteuerzahler
Arbeitnehmern, die Lohnsteuer zahlen, werden durch die niedrigeren Steuersätze im Schnitt 1000 Euro/Jahr netto mehr übrig bleiben als derzeit.
Familien
Mütter und Väter profitieren neben der Lohnsteuersenkung vom erhöhten Kinderfreibetrag – dieser wird verdoppelt (220 auf 440 Euro; bzw. von 132 auf 264 Euro, wenn ihn beide Elternteile absetzen). Eine Familie mit zwei Kindern kann sich somit z.B. 1349 Euro/Jahr ersparen, errechnete Margit Widinski von der BDO (siehe Grafik).
Niedrigverdiener/Pensionisten
Arbeitnehmer und Pensionisten, die keine Lohnsteuer zahlen, erhalten eine Steuergutschrift (max. 400 bzw. 110 Euro/Jahr). Pensionisten mit höheren Einkommen zahlen hingegen weniger Lohnsteuer.
Wirtschaft
Sie wird z. B. durch die höhere KESt auf Dividenden belastet, bekam aber nicht die erhoffte Lohnnebenkostensenkung. Der Tourismus beklagt zudem, dass Übernachtungen künftig mit 13 statt mit 10 Prozent besteuert werden.
Erben
Wer ein Grundstück und/oder ein Haus erbt oder geschenkt bekommt, muss künftig mehr Grunderwerbsteuer zahlen.
Aktionäre
Sie werden doppelt getroffen: In der Zeit des Aktienbesitzes durch eine höhere KESt (27,5 statt 25 Prozent), beim Verkauf durch die höhere Aktienkursgewinnsteuer (30 statt 25 Prozent).
Millionäre
Wer z.B. zwei Millionen im Jahr verdient, muss knapp 50.000 Euro mehr Lohnsteuer jährlich an den Fiskus abliefern (neuer Höchststeuersatz von 55 Prozent).
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