Regierung einig: 4,9 Milliarden Steuersenkung fix
Am Ende dauerte es doch noch etwas länger als erwartet. Erst um 0.25 Uhr war es in der Nacht von Donnerstag auf Freitag so weit: Die Steuerreform-Verhandler der Regierung – angeführt von Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner – verkündeten im Kanzleramt, dass man sich geeinigt habe.
Faymann bedankte sich für den „konstruktiven Stil“, der auf Erfolg ausgerichtet gewesen sei. Wichtig sei ihm gewesen, dass die Regierung Wort gehalten habe, nämlich „die größte Steuersenkung“ aller Zeiten zu realisieren.
Hinter den Kulissen dürfte es aber bis zuletzt ein heftiges Gezerre gegeben haben. In den Gesichtern der Koalitionäre waren Anspannung und Erschöpfung abzulesen. Mitterlehner sagte: „Es war hart, aber korrekt.“ Er sprach von einem „balancierten Paket mit solider Gegenfinanzierung“, das sich positiv auf die Konjunktur auswirken sollte.
Heute Abend werden Kanzler und Vize die Details der Reform präsentieren:
Ab 1. Jänner 2016 werden 6,7 Millionen Arbeitnehmer, Pensionisten und Niedrigstverdiener entlastet. Der Polit-Deal dahinter, mit dem die Regierung nach wochenlangem Streit ihr weiteres Überleben sichert: Die SPÖ hat auf Millionärs- und klassische Erbschafts- und Schenkungssteuern verzichtet, bekommt aber mit 4,9 Milliarden nahezu das gesamte Entlastungsvolumen für ihr Kernklientel. Die ÖVP hat lediglich 100 Millionen für die Familien heraus geholt – und fast nichts für die Wirtschaft.
Kinderfreibetrag verdoppelt
Die 100 Millionen Euro für die Familien sollen in einen höheren Kinderfreibetrag fließen – er wird von 220 Euro auf 440 Euro verdoppelt: Ein Elternteil kann pro Jahr über die Arbeitnehmer-Veranlagung 440 Euro absetzen. Wenn sich Eltern den Freibetrag teilen, sind es je 264 Euro für Mutter und Vater.
Kern der Entlastung sind die neuen Tarifstufen – beginnend mit 25 Prozent für Jahreseinkommen zwischen 11.000 und 18.000 Euro. Bis 31.000 Euro zahlt man 35 Prozent und so weiter. Der bisherige Spitzensteuersatz von 50 Prozent greift ab 90.000 Euro (bisher 60.000), dafür gibt es eine neue Höchststufe mit 55 Prozent für Einkommen jenseits von einer Million (mehr dazu lesen Sie hier).
Spannend ist, wie sich die Regierung die Gegenfinanzierung vorstellt:
Kampf dem Steuerbetrug
1,9 Milliarden sollen die – von SPÖ-Staatssekretärin Sonja Steßl – geforderte Registrierkassenpflicht und Maßnahmen gegen Steuer- und Sozialbetrug bringen (Stichwort: Kampf gegen Scheinfirmen und Umsatzsteuerbetrug).
Höhere Steuern
Unter dem Titel „Steuer-Einnahmen“ sollen 1,25 Milliarden hereingespielt werden: 900 Millionen durch die Beschneidung von Steuer-Privilegien (Abschreibung für Gebäude, private Nutzung von Dienstautos etc.). 350 Millionen sind via Steuererhöhungen eingepreist. Am meisten soll die höhere Grunderwerbsteuer (Erben/Schenken) bringen, die künftig nach dem Verkehrswert (derzeit Einheitswert) bemessen wird. Auch die Kapitalertragsteuer auf Dividenden (von 25 auf 27,5 Prozent), die Immobilienertragsteuer auf Zweit- und Drittwohnsitze sowie die Aktienkursgewinnsteuer (je 30 Prozent) werden angehoben.
Verwaltung/Bildung
Eine Milliarde soll durch Einsparungen aufgestellt werden. Eine Bund-Länder-Kommission soll Details erarbeiten.
Konjunktur
Zu guter Letzt geht die Regierung davon aus, dass durch verstärkten Konsum 850 Millionen in Form von höherer Mehrwertsteuer in die Staatskassa kommen.
Kritiker bemängeln, dass vier der fünf Milliarden Euro durch höhere Einnahmen hereinkommen sollen. Dagegen gibt es lautstarken Protest von Wirtschaftsvertretern. Die Wirtschaft ist auch verärgert, weil es die (von der ÖVP) in Aussicht gestellte Millionen-Entlastung nicht gibt.
Der Finanzrechtler Werner Doralt resümierte in der ZiB24, Gewinner der Reform seien Menschen mit geringeren Einkommen, „aber das geht zu Lasten des Mittelstandes“. Hingegen seien „die Stiftungen und die Superreichen sind unberührt“.
Der frühere ÖVP-Finanzsprecher Günter Stummvoll, heute Sprecher einer breit angelegten Mittelstands-Initiative, lässt kein gutes Haar an der Steuerreform. Er hat in den vergangenen Wochen an vorderster Front gegen Vermögens- und Erbschaftsteuern gekämpft. "Man soll eben keine Steuerreform machen, wenn man sich auf der Ausgabenseite den Spielraum nicht erarbeitet hat. Das zeigt sich jetzt", befindet Stummvoll.
Sowohl die Betrugsbekämpfung als auch die Konsumbelebung führe nur zu höheren Einnahmen für den Staat. Die Ausgabenseite sei völlig unterrepräsentiert. Heißt übersetzt: Es wird aus der Sicht des Schwarzen viel zu wenig gespart, um die Steuerreform zu finanzieren.
Dazu komme, so Stummvoll erbost, noch die Anhebung der Grunderwerbsteuer: "Das ist der große Hammer, wenn man hier auf Verkehrswerte geht. Da wäre es ja fast ehrlicher gewesen gleich die Erbschaftssteuer wieder einzuführen, obwohl wir diese strikt ablehnen." Unterm Strich zeigt sich für Stummvoll: "Die Schockwelle hat noch nicht alle erfasst, aber im Verhandlungsfinale läuft diese Reform in die völlig falsche Richtung."
Zwiespältiges Urteil
Ein so strenges Urteil fällt Wirtschaftsprofessor Gottfried Haber von der Donau Uni Krems nicht. Er ortet positive und negative Aspekte. "Die Tarifreform geht in die richtige Richtung. Es profitieren nicht nur Arbeitnehmer davon, sondern auch jene Unternehmer, die Einkommensteuer zahlen." Denn die niedrigeren Steuertarife würden ja auch für die Einkommensteuer gelten.
"Skeptisch" sieht der Ökonom aber die Erhöhung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden. Man hätte parallel dazu die Körperschaftssteuer senken müssen. Das wäre ein Anreiz für Unternehmer gewesen, mehr Gewinne in den Betrieben zu belassen (für Investitionen). So sei die (einseitige) KESt-Erhöhung eine reine Maßnahme zur Finanzierung der Steuerreform.
Generell kritisiert Haber, dass es der Regierung nicht gelungen sei, die Steuer- und Abgabenquote insgesamt zu senken. Das müsse in einem nächsten Schritt angegangen werden. Kurzfristig sei die Finanzierung der Steuersenkung aber wohl nicht anders zu schaffen gewesen.
Der bekannte deutsche Ökonom Peter Bofinger bewertet die Stoßrichtung der österreichischen Steuerreform positiv. "Wenn man die Bürger im Prozess der Globalisierung und Europäisierung mitnehmen will, muss der Staat ihnen das Gefühl geben, dass sie nicht zu den Verlierern gehören. Die Menschen müssen es auch materiell spüren. Wohlstand ist auch ein Faktor der Demokratie", sagt Bofinger.
Der Universitätsprofessor ist einer der fünf deutschen Wirtschaftsweisen und findet den österreichischen Ansatz, niedrige und mittlere Einkommen zu entlasten "volkswirtschaftlich sinnvoll. Das steigert die Kaufkraft und trägt zu Wachstum bei".
Besonders weist er auf die Bedeutung der Negativsteuer hin. "Das ist eine gute Maßnahme, weil damit für geringer Qualifizierte die Anreize erhöht werden, eine reguläre Arbeit aufzunehmen anstatt im Sozialleistungssystem zu verharren."
"Exemplarisch"
Die Weitergabe von Grund und Immobilien höher zu besteuern ebenso wie Spitzeneinkommen findet Bofinger angemessen, weil es in der Gesellschaft "eine zunehmende Ungleichheit von Vermögen" gibt. "Das ist eine Maßnahme, um die soziale Kohäsion zu stärken."
Insgesamt beurteilt Bofinger die Eckpunkte der Steuerreform im europäischen Vergleich für "exemplarisch".
Der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, spricht von einer "großen und mutige Reform, die vor allem die Arbeitnehmer mit geringen Einkommen und Pensionisten signifikant entlastet". Dies helfe der Wirtschaft, ist der Professor an der Humboldt-Universität in Berlin überzeugt. Die Konsumnachfrage sollte sich deutlich erhöhen, da die Menschen entlastet würden. "Menschen, die ein geringeres verfügbares Einkommen haben, haben eine höhere Konsumneigung."
Der Budgetsprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, erwartet sich durch die Steuerreform "Auswirkungen auf die Debatte in Deutschland. Bei uns herrscht ja Stillstand in der Steuerpolitik. Österreich gibt wirklich einen Impuls". Die Steuerreform findet er "innen- und europapolitisch richtig. Die Große Koalition in Wien macht genau das, was in Europa jetzt dringend nötig ist".
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