Staatsbürgerschaft: "Karotte zu hoch"

Staatsbürgerschaft: "Karotte zu hoch"
Staatssekretär Kurz will Vorzeige-Migranten rascher einbürgern. Für Grünen-Sprecherin Korun errichtet er neue Hürden.

Sollen Vorzeige-Migranten schneller zum österreichischen Staatsbürger werden? Der Vorstoß von ÖVP-Staatssekretär Sebastian Kurz hat für heftige Diskussionen gesorgt. Für Grünen-Integrationssprecherin Alev Korun ist das Modell unausgegoren.

KURIER: Herr Staatssekretär, in kaum einem anderen Land Europas wartet man zehn Jahre auf die Einbürgerung. Warum bei uns?

Sebastian Kurz: Manche Länder sind der Meinung, dass die Staatsbürgerschaft ein Zwischenschritt im Integrationsprozess ist. Wir sind der Meinung, das soll am Ende stehen. Die Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut, daher halte ich diese Einstellung für sinnvoll. Allerdings sollten wir etwas flexibler werden: Es geht um den Integrationserfolg, nicht um die Dauer. Daher meine Forderung, für sehr gut integrierte Migranten eine Art Überholspur einzurichten.

Alev Korun: Die zehn Jahre sind im europäischen Vergleich extrem lang, selbst Deutschland ist von dieser Dauer schon abgegangen ...

Kurz: Darum wollen wir ja jetzt ein Modell mit sechs Jahren anbieten ...

Sie wollen nun ein Anreizmodell schaffen – quasi die Staatsbürgerschaft zum Verdienen. Ihre Forderungen gelten vielen als zu hart ...

Kurz: Unser Modell ist ein Anreizmodell. Daher halte ich es für legitim, dass wir viel verlangen. Wir stellen Deutschkenntnisse auf dem Niveau erste lebende Fremdsprache, einen Job und ein Ehrenamt in den Fokus.

Die Grünen sprechen von neuen Hürden. Ist es zu viel verlangt, Deutsch zu können und ein geregeltes Einkommen vorweisen zu müssen?

Korun: Die Einbürgerung steht unserer Meinung nach nicht am Ende, sondern ist ein wichtiger Meilenstein im Integrationsprozess. Wenn man hier lebt, soll man auch gleiche Rechte und Pflichten haben. Ich spreche aus eigener Erfahrung: Die Einbürgerung war ein wichtiges Signal, wir nehmen dich auf.

Die Zahl der Einbürgerungen lag 2011 bei 6700. 2003 waren es noch 45.000. Bemüht sich die Politik, die Staatsbürgerschaft möglichst exklusiv zu halten?

Korun: Unter Schwarz-Blau wurde das Staatsbürgerschaftsrecht massiv verschärft. Staatssekretär Kurz will diese hohen Hürden aufrechterhalten. Allein an der Einkommenshürde (Anm. 1000 Euro Monatsverdienst) scheitern sehr viele hart arbeitende Menschen – auch Österreicher. 70 Prozent aller Arbeiterinnen können das nicht überwinden.

Kurz: Die Zahlen sind auch deswegen gesunken, weil mehr und mehr EU-Bürger eingewandert sind, die oft kein Interesse an unserer Staatsbürgerschaft haben. Fakt ist: Wir sind offen für neue Staatsbürger. Daher gehen wir gerade mit der Wartefrist herunter. Aber wir wollen Zuwanderung in die Arbeitswelt, nicht in das Sozialsystem. Und nach der Verleihung der Staatsbürgerschaft habe ich keine Möglichkeit mehr, Zuwanderern einen Deutsch-Kurs nahezulegen.

Korun: Was Sie machen, ist, Sie hängen den Menschen eine Karotte vor die Nase. Aber die hängen Sie so hoch, dass sie unerreichbar ist. Wie soll beispielsweise eine Krankenpflegerin Zeit dafür finden, neben ihrem Vollzeitjob drei Jahre ehrenamtlich tätig zu sein. Das können sich einfach nur wenige leisten. Sie wollen den Super-Migranten, der viel mehr kann als Normalbürger.

Herr Kurz, auch Kanzler Faymann hat kritisiert, dass viele hart arbeitende Menschen keine Zeit für ein Ehrenamt haben. Sind Sie da zu Zugeständnissen bereit?

Kurz: Wir treten erst in die Verhandlungen mit dem Koalitionspartner ein. Faktum ist, in Österreich sind drei Millionen Menschen ehrenamtlich tätig. Das Freiwilligenwesen ist der Kitt unserer Zivilgesellschaft. Gleichzeitig haben wir 1,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Wir müssen es langfristig schaffen, auch diese Menschen für das Ehrenamt zu begeistern. Die Vereine müssen aufmachen und die Migranten müssen mitmachen. Unser Modell vermittelt, dass wir das Ehrenamt wertschätzen. Abseits davon steht es jedem offen, das 10-Jahres-Modell zu wählen.

Aber ist das nicht eine klassische ÖVP-Sicht, nur die Fleißigen sind willkommen, Rücksicht auf sozial Schwache wird nicht genommen?

Kurz: Wir wollen einen Anreiz setzen für all jene, die sich engagieren. Da braucht weder die FPÖ sagen, dass wir die Türen aufmachen, noch die Grünen, dass wir neue Hürden aufbauen.

Frau Korun, wie wollen Sie verhindern, dass die Staatsbürgerschaft nicht von Wirtschaftsflüchtlingen als soziale Hängematte missbraucht wird?

Korun: Moment, wir reden von Menschen, die seit Jahren hier leben und arbeiten. Wenn Sie nicht eingebürgert werden, leben Sie trotzdem weiter hier. Diese Unterstellung mit dem Sozialnetz, das ihnen zugute kommen soll, ist ein Scheinargument, weil die Menschen ja nicht neu hinzukommen. Aber aufgrund dieser Regeln dürfen Menschen, die seit acht Jahren hier leben, nicht einmal über die Sanierung der Schule ihrer Kinder mitbestimmen. Wenn in Wien jeder Fünfte nicht mitreden kann bei den Gesetzen, denen er unterliegt, weil er nicht die österreichische Staatsbürgerschaft hat, dann haben wir ein Demokratiedefizit.

Herr Kurz, finden Sie das nicht bedenklich?

Kurz: Natürlich muss es ein Ziel sein, dass Zuwanderer österreichische Staatsbürger werden wollen. Aber es wäre falsch, mit den Kriterien für die Staatsbürgerschaft runterzugehen. Ich glaube nicht, dass unser Demokratieprozess so super wäre, wenn zwar jeder die Staatsbürgerschaft hat, aber der Wahlauseinandersetzung nicht folgen kann, weil er die Sprache nicht versteht.

Korun: Ich sehe ein demokratiepolitisches Problem: Wenn sich ein Italiener in Wien niederlässt, darf er in seinem Bezirk nach einem Jahr mitbestimmen. Ein Serbe, der 30 Jahre hier lebt und die Staatsbürgerschaft nicht bekommt, darf nicht einmal über den Zebrastreifen mitbestimmen.

Herr Kurz, können Sie sich vorstellen, das man das Wahlrecht zumindest auf kommunaler Ebene ermöglicht?

Kurz: Bei EU-Bürgern ist es erlaubt. Zum anderen ist das Wahlrecht ja einer der Anreize, um Staatsbürger zu werden. Wenn jetzt auch alle Nicht-Staatsbürger wählen dürfen, wozu soll dann überhaupt noch jemand Staatsbürger werden wollen?

Abschließend: Was sind die größten Defizite in der heimischen Integrationspolitik?

Korun: Es gibt weder flächendeckende Deutsch-Kurse noch ein flächendeckendes Integrationsprogramm vom ersten Tag an. Zudem verkennt die Bundesregierung, dass Zweisprachigkeit ein hohes Gut ist und lässt sie brach liegen. Und sie hält nach wie vor daran fest, dass die Einbürgerung am Ende des Integrationsprozesses steht.

Herr Kurz, was wollen Sie in nächster Zeit angehen?

Kurz: Wir sind gerade dabei, den Bereich der Wertevermittlung an Zuwanderer neu zu regeln. Dazu ändern wir die Staatsbürgerschaftstests. Der zweite Schwerpunkt ist die Bildung: Wir brauchen dringend ein zweites Kindergartenjahr für alle, die nicht gut Deutsch können.

Debatte: Überholspur für Supermigranten

Staatsbürgerschaft: "Karotte zu hoch"

Streitthema Zehn Jahre müssen Migranten derzeit warten, bis sie die Österreichische Staatsbürgerschaft beantragen können. Geht es nach Staatssekretär Kurz, sollen sehr gut Integrierte künftig schon nach sechs Jahren eingebürgert werden.

Gesprächspartner Sebastian Kurz (24) ist seit 2011 Integrations-Staatssekretär, seit 2009 Chef der JVP. Alev Korun (43) wanderte mit 19 aus der Türkei nach Wien ein. Sie sitzt seit 2008 für die Grünen im Nationalrat und ist Integrationssprecherin.

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