SPÖ-Wirbel wegen Selenskij: Leichtfried findet Vorwürfe "abstrus"

Selenskij per Videoschaltung im Nationalrat
SPÖ-Vizeklubchef dementiert Vorwürfe der Russlandfreundlichkeit - und Gerüchte, dass leere Plätze von Mandataren bewusst mit Klub-Mitarbeitern besetzt wurden.

Mehr als die Hälfte der SPÖ-Sitze blieb leer: Auch einen Tag danach kann die Frage, warum so viele SPÖ-Abgeordnete bei der Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij im Parlament am Donnerstag fehlten, nicht schlüssig geklärt werden. SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried verteidigt die schütter besetzten roten Reihen in der APA. Der Vorwurf einer gewissen Russlandfreundlichkeit in der SPÖ sei "sehr abstrus", meinte Leichtfried. Es gebe "gewisse Vorbehalte gegen Veranstaltungen des Nationalratspräsidenten generell", erklärte Leichtfried.

Folgende Erzählung entwickelte die SPÖ-Klubführung im Laufe des Donnerstags: Die Abgeordneten seien ferngeblieben, da Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) Selenskij zu diesem außerparlamentarischen Online-Auftritt eingeladen habe. Selenskyjs Rede fand zwar im Nationalratssitzungssaal statt, allerdings im Rahmen einer "parlamentarischen Veranstaltung" und nicht des anschließenden Plenums. Schon vor einem Jahr hatte es Versuche der Neos gegeben, dem ukrainischen Präsidenten wie in vielen anderen Ländern auch die Möglichkeit zu geben, im Parlament zu sprechen - diese Initiative war allerdings am Widerstand der FPÖ gescheitert, auch die SPÖ zögerte damals zunächst. "Kriegsrhetorik" habe im Hohen Haus keinen Platz, sagte damals etwa SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer.

"Abstruser Vorwurf"

Am gestrigen Donnerstag protestierten die Freiheitlichen gegen die Ansprache, indem sie Taferln auf ihren Pulten platzierten, dem Redner den Rücken zukehrten und geschlossen den Saal verließen. Während alle Fraktionen die FPÖ für dieses Verhalten zurechtwiesen, fiel auch auf, dass bei der SPÖ knapp über die Hälfte der Abgeordneten fehlte.

Ebenso abwesend: SPÖ-Parteichefin und außenpolitische Sprecherin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ). Sie war gesundheitlich verhindert – was ihr Team jedoch erst kommunizierte, nachdem Rendi-Wagners Absenz für heftige Kritik gesorgt hatte. Auffällig hoch war übrigens der niederösterreichische Anteil unter den Abwesenden.

Dass dies mit einem mitunter schwierigen Verhältnis zu Russland mancher Linker zusammenhängen könnte, wies Leichtfried gegenüber der APA zurück: "Der Vorwurf ist für mich sehr, sehr abstrus", verwies er auf das entsprechende Abstimmungsverhalten der SPÖ im Parlament. "Ganz klar, wir sind auf der Seite der Menschen in der Ukraine und gegen den brutalen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine", unterstrich er. Julia Herr, damals noch Vorsitzende der Sozialistischen Jugend (SJ), kritisierte etwa 2014 die EU-Sanktionen gegen Russland nach der Annexion der Halbinsel Krim. Österreichs Regierung würde "nach Geschmack von NATO, EU und USA" auf einen "Russland-feindlichen Kurs" aufspringen, so Herr. Auch sie fehlte am Donnerstag bei der Rede - "aus terminlichen Gründen", wie sie später bekanntgab.

Klub-Plätze aufgefüllt?

Im Standard stellte eine anonyme SPÖ-Mandatarin ein "Führungsversagen" der Klubspitze in den Raum. Auch die Klubführung sei mittlerweile der Ansicht, dass es "nicht optimal" gelaufen sei, sagen Insider zum KURIER. Zusätzlich kursiert das Gerücht, der Klub habe die Order ausgegeben, dass sich Mitarbeiterinnen auf die leeren Plätze der Abgeordneten setzen sollen. Tatsächlich zeigt ein Foto Klub-Mitarbeiterinnen, die in den hinteren SPÖ-Reihen Platz genommen haben. Sie belächeln das Gerücht auf Anfrage: Sie hätten sich freiwillig hingesetzt, weil Mitarbeiterinnen das bei außerparlamentarischen Events - im Gegensatz zu offiziellen Sitzungen - dürfen.

Auch Leichtfried will das Vorgehen nicht als Auffüllen der Lücken verstanden wissen: Er sitze ganz vorne und "ich habe das gar nicht beobachtet", sagte er, und "selbstverständlich müssen Mitarbeiter auch irgendwo sitzen".

Doskozil wäre gekommen

Scharfe Kritik an der hohen roten Abwesenheitsquote kam von den Neos, und auch auf Twitter wurden die betroffenen Abgeordneten - etwa vom SPÖ-Urgestein Josef Ackerl aus dem äußerst linken Lager - aufgefordert, sich zu erklären. Wehrsprecher Laimer fühlte sich wiederum "nicht genug in den Prozess von Präsident Sobotka eingebunden", wie er dem KURIER sagte. "Ich stehe nicht zur Verfügung für den Missbrauch parteipolitischer Zwecke in unserem Land." Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner wehrte sich gegen Verurteilungen und ließ in einem - mittlerweile gelöschten - Tweet wissen, "ich hatte Geburtstag, habe mit meinen Freund*innen gefeiert", außerdem habe er nach einer Zahnoperation "die Fäden heraus bekommen".

Burgenlands Landeshauptmann und SPÖ-Chef-Kandidat Hans Peter Doskozil meinte in der ZiB2 Donnerstagabend jedenfalls, er hätte das Parlament nicht verlassen. "Ich hätte das ermöglicht und auch den Ausführungen des Herrn Präsidenten zugehört, das ist eine klare Positionierung, für mich ist das auch mit der Neutralität vereinbar."

Gespaltene Bevölkerung

Die Bevölkerung ist in der Frage des Selenskij-Auftritts übrigens gespalten: Wie Meinungsforscher Peter Hajek für ATV bei 500 Teilnehmern - im Vorfeld - erfragte, sind insgesamt 49 Prozent der Befragten von der Rede des ukrainischen Präsidenten im Parlament nicht erfreut. Auf die Frage "Soll Selenskij im Parlament per Video zugeschaltet eine Rede halten dürfen?", antworteten 27 Prozent "auf keinen Fall" und 22 Prozent, dass er "eher keine" Rede halten dürfte. 39 Prozent (19 Prozent "auf jeden Fall", 20 Prozent "eher ja") begrüßten im Vorfeld den Auftritt des ukrainischen Präsidenten im österreichischen Parlament. 12 Prozent der Befragten hatten keine Meinung dazu.

Während sich die Mehrheit der SPÖ- (59 Prozent), Grün- (51 Prozent) und NEOS-Wähler (50 Prozent) "auf jeden Fall" bzw. "eher" für den Auftritt Selenskijs aussprachen, waren 52 Prozent der ÖVP-Wähler und 75 Prozent der FPÖ-Wähler "auf jeden Fall" oder "eher" gegen dessen Auftritt.

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