SPÖ-Parteitag: „Da wurde die Reißleine gezogen“
Vermutlich beginnt man diese Geschichte am besten mit Peter Florianschütz. Der Wiener ist das, was man einen treuen Genossen nennt. Er war Chef der Jungen Generation, Bezirksrat in Favoriten, er sitzt für die Partei im Landtag.
Man kann nicht behaupten, Florianschütz sei über die Stadtgrenzen hinaus als Partei- oder Politpromi bekannt.
Zumindest nicht bis zum vergangenen Samstag.
Am 45. Bundesparteitag der SPÖ meldet sich der Wiener am späten Nachmittag „zur Geschäftsordnung“ zu Wort und verlangt am Rednerpult, was Genossen im Saal und selbst oben im Sitzungspräsidium hörbar irritiert: Florianschütz will wissen, ob noch genug Delegierte anwesend sind, kurzum: Er stellt in Abrede, dass das höchste Gremium dieser seiner Partei noch in der Lage ist, Abstimmungen statutenkonform durchzuführen.
Es ist ein böser Verdacht und jedenfalls keiner, den ein Funktionär sehr leichtfertig und ohne Rücksprache mit seiner Landespartei unternimmt. Zwei Zählungen später ist klar: Florianschütz hat recht. Es sind zu wenige Delegierte im Saal. Und alle anstehenden Abstimmungen müssen überraschend vertagt werden.
Nach den ernüchternden 75 Prozent Zustimmung für Pamela Rendi-Wagner ist der De-facto-Abbruch des ohnehin nur alle drei Jahre stattfindenden Parteitreffens der zweite Schock an diesem Samstag.
Ältere Genossen stellen jüngeren vor Ort bang die Frage: Muss auch die Wahl der Vorsitzenden oder der gesamte Parteitag wiederholt werden?
„Das ist kein gutes Bild, wenn Delegierte zu früh abreißen“, sagt Rendi-Wagner am Montag im Ö1-Interview. Parteimanager Christian Deutsch spricht ebenfalls von einem „schlechten Signal“.
Doch entgegen der Vermutung, dass alles einfach so zufällig so passiert ist, bestätigen Quellen in Wien und den Bundesländern dem KURIER, dass Wiens Stadtpartei das Treffen am späten Nachmittag vorsätzlich hat enden lassen. Kollateralschäden wie die peinliche Außenwirkung mussten in Kauf genommen werden.
„Da wurde die Reißleine gezogen“, sagt ein hochrangiger Wiener Funktionär.
Florianschütz selbst stellt das in Abrede. „Mir ging es nur um die Frage: ‚Sind wir noch beschlussfähig?‘ Und wir sind draufgekommen, wir sind es nicht“, sagt er zum KURIER. Er habe Parteichef Ludwig auch nicht um Erlaubnis gefragt. „Das muss ich als Delegierter nicht. Ich bin ein selbstbewusster Funktionär.“ Ihm sei es nur um die Einhaltung der Spielregeln, also ums Prinzip gegangen. Dem widersprechen Mitarbeiter von Stadträten. „Lange vor dem Durchzählen war klar, wie Wenige wir sind.“
Sollbruchstelle
Dennoch lief die Veranstaltung weiter. Bis das Kapitel 13 an die Reihe kam. In ihm standen Anträge zu Parteiprogramm und
-organisation zur Abstimmung. An dieser Stelle wird in der Wiener SPÖ endgültig entschieden, eine „Sollbruchstelle“ zu nützen, um die Abstimmungen zu verhindern. Dann kommt der Auftritt von Florianschütz.
Nun ist es zwar so, dass Parteimanager Christian Deutsch im KURIER-Gespräch erklärt, „dass auch vergangene Parteitage gegen Ende immer an der Grenze zur Beschlussfähigkeit waren“. Bislang gab es aber die Übereinkunft, die Zahl der Anwesenden nicht zu thematisieren. – Die Parteitage sollten in Ruhe enden.
Völlig anders diesmal. Und so stellt sich die Frage: Warum wurde der „einmalige Vorgang“ (© Deutsch) durchgezogen?
Es hat wohl viel mit dem erwähnten Kapitel 13 im Antragsheft zu tun. Hier waren Neuerungen vorgesehen, die der Stadtpartei suspekt waren.
Die steirische SPÖ etwa forderte, dass Bundesparteichefs direkt von den Mitgliedern gewählt werden. Teilorganisationen wie die Jugendvertreter und die SPÖ-Bauern drängten auf mehr Mitsprache in der Bundes-SPÖ. Und die Sozialistische Jugend wollte die SPÖ per Beschluss darauf festlegen, dass man mit der Kurz-ÖVP keine Koalition eingeht.
„Den Wienern war nicht mehr klar, wie die Mehrheitsverhältnisse im Saal sind. Sie haben einen Kontroll- und Machtverlust befürchtet – und deshalb ein Formal-Argument verwendet, um den Parteitag zu sprengen“, sagt ein Landesparteiobmann.
In der Bundespartei geht man darauf nicht näher ein und sieht zudem kein Problem. „Es steht jedem Delegierten zu, die Beschlussfähigkeit feststellen zu lassen“, sagt Parteimanager Christian Deutsch zum KURIER.
Das stimmt natürlich. Es stimmt aber auch, dass sich an diesem Parteitag ein grundlegender Konflikt gezeigt hat, an dem die SPÖ leidet. Zitabel spricht ihn der Geschäftsführer der burgenländischen Landes-SPÖ, Roland Fürst, an: Man müsse endlich Politik für „Bobos und Prolos“ machen.
Bobos und Prolos? Vereinfacht gesagt plagt Landesparteien wie Nieder- und Oberösterreich oder die Steiermark der Eindruck, die Bundespartei sei inhaltlich und personell nicht mehr als ein Satellit der Wiener.
Themen wie das neue Staatsbürgerschaftsmodell würden bei liberalen Stadt-Wählern aber nicht am flachen Land funktionieren. Man vergesse auf „rote Kernthemen“, heißt es.
Parteimanager Deutsch sieht das anders. „Wir trommeln die Kernthemen wie Arbeit und Soziales seit über einem Jahr. Wer, wenn nicht die SPÖ-Chefin hat in der Pandemie mit Gesundheitsthemen gepunktet?“
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