SPÖ-Urgestein Androsch: "Die Stimmung ist noch besser als die Lage"
Ein nachdenkliches Gespräch im Büro des Industriellen mit Blick auf Stephansdom und Oper.
KURIER: Es finden gerade Koalitionsverhandlungen statt. Was wünschen Sie sich von der neuen Regierung?
Hannes Androsch: Die Koalitionsverhandlungen haben ja noch gar nicht begonnen.
De facto schon, oder?
Offiziell nicht, obwohl der Hut brennt, weil sich über die letzten Jahre und Jahrzehnte riesige Probleme aufgetürmt haben. Wir sind in vielen Bereichen aus der Furche geraten. Die Menschen erwarten Antworten auf die brennenden Fragen unserer Zeit.
Was sind die brennendsten Probleme?
An erster Stelle ist es das Desaster der Staatsfinanzen.
Jetzt gab es natürlich eine Pandemie und einen Krieg samt Energiepreisexplosion. War es nicht auch wichtig, die Teuerung abzufedern?
Die Teuerung wurde dadurch erst produziert. Wenn Sie eine Angebotslücke haben, etwa im Energiebereich, und Sie heizen die Nachfrage an, so ist das wie Öl ins Feuer gießen: Das, was Sie bekämpfen, wird erst richtig befeuert.
Also zu hohe Lohnerhöhungen?
Nein, die waren dann erst die Folge dieser eigengemachten Teuerung – mit dem Ergebnis, dass Österreich im ohnehin zurückfallenden Europa das Schlusslicht ist. Wir hatten die höchste Inflation und nicht nur kein Wachstum, sondern Schrumpfung und Wohlstandsverlust. Die Stimmung im Land ist noch besser als die Lage, und die Lage verschlechtert sich stündlich.
Die Industriellenvereinigung warnt, dass Arbeitsplätze nicht nur außerhalb Österreichs, sondern außerhalb ganz Europas entstehen. Teilen Sie diese Ansicht?
Ja, das ist eine Folge des Verlusts der Wettbewerbsfähigkeit: zu hohe Arbeitskosten, zu geringe Nettolöhne, zu hohe Energiekosten. Schauen Sie sich an, wie der Butter- oder der Brotpreis innerhalb eines Jahres gestiegen ist. Nächstes Jahr wird ein Durchschnittshaushalt 400 bis 450 Euro teurere Energiekosten haben.
Deswegen wurden ja Klima- und Anti-Teuerungsbonus verteilt.
Da wurde mit der Gießkanne das Geld beim Fenster hinausgeschmissen. Wir hatten im Schnitt das Vierfache an solchen Bonifikationen als anderswo in Europa. Das hat eine Überbonifikationsinflation erzeugt.
Sie haben vor zwei Jahren gesagt, dass man in Österreich den Gürtel enger schnallen und sparen soll. Nach wie vor dieser Meinung?
Ja. Nicht nur der Staat hat über seine Verhältnisse gelebt, auch der Einzelne. Wenn man sich überlegt, dass für Halloween 75 Millionen Euro ausgegeben werden und die Kosten für Haustiere neun Milliarden ausmachen ...
....und die Reiselust größer denn je ist ...
Es sei jedem vergönnt: Aber man kann nur verbrauchen und verteilen, was man zuerst erwirtschaftet hat. Ansonsten macht man Schulden, und die Rechnung kommt dann hintennach.
Sie haben in einem Krone-Interview gesagt: „Es brennt, aber niemand ist bereit zu löschen.“ Damit meinen Sie alle Parteien?
Ja, natürlich. Wir gehen ins nächste Jahr vorerst mit einem Budgetprovisorium. Da ist sicher nicht der Weg, wie man zu Lösungen kommt in den Kindergärten, in den Schulen, im Gesundheitsbereich, bei der illegalen Migration in unser Sozialsystem. Es gab eine Krankenkassenreform, die eine Milliarde für die Patienten hätte bringen sollen und nun soll – im Gegenteil – der Steuerzahler noch eine Milliarde dazulegen. Und so geht es dahin. Wir werden überrollt von Transitwellen. Wir sind in der inneren, wie in der äußeren Sicherheit bedroht. Wenn wir „Neutralität“ rufen, glauben wir, dass das schon die Sicherheit ist, die uns andere gewährleisten sollen.
Ich nehme nicht an, dass Sie für die 32-Stunden-Woche sind?
Der frühere SPD-Finanzminister Peer Steinbrück hat erst dieser Tage gesagt, eine 32-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich würde das Ende des Wohlfahrtsstaates bedeuten. Der ist ohnehin schon überlastet – auch dadurch, dass wir zugelassen haben, dass so viele Menschen, die nichts eingezahlt haben, nur „Asyl“ zu sagen brauchen und in unser Sozialsystem kommen.
Wie beurteilen Sie den Zustand „Ihrer“ Partei, der SPÖ? Sie bräuchte einen Viktor Adler (Arzt und Reformer, der die Sozialdemokratie geeint hat, 1852 -1918).
Eine rote Kernforderung ist eine höhere Vermögensbesteuerung.
Das Steuersystem ist sehr heikel. Daraus sind schon Revolutionen entstanden. Wenn man das System überdehnt und mit Ausnahmen gleichzeitig zu einem löchrigen Emmentaler macht, dann gefährdet man das ganze System.
Salon Salomon: Hannes Androsch zu Gast in der KURIER TV-Sendung
Eine Grundsteuer-Erhöhung steht im Raum. Wie sehen Sie das? Wenn man einen richtigen Steuer-Wirbel haben will, dann ist das ideal, das hatten wir schon einmal Ende der Sechzigerjahre. Ich habe als junger Finanzminister gesagt: „Wenn ich etwas nicht anrühre, dann ist es die Grundsteuer.“
Was bleibt dann? Erbschaftssteuer?
Man könnte ja einmal die Ausgaben anschauen. Wir haben eine der höchsten Steuerbelastungen der Welt. Und seit 2000 gab es fast eine Verdreifachung der Schulden.
Themenwechsel zu Ihrer Wahlheimat, dem Salzkammergut. Das Kulturhauptstadtjahr geht zu Ende. Sie haben die Aktivitäten kritisiert. Hat Ihnen auch etwas gefallen?
Ich habe nichts kritisiert, sondern gesagt, dass ich mich mit der Konstruktion nicht identifizieren kann. Die Salinen haben ihr Programm umgesetzt– vom europäischen Knappentag bis zur Jubiläumsfeier 500 Jahre Salzkammergut in Hallstatt. Unsere Konzepte waren nachhaltiger als die Wunderkerzen, die da versprüht wurden.
Die Ausseer sind ja eher abweisend. Fühlen Sie sich hier integriert?
Während der Pandemie ging ich mal spazieren. Es waren kaum Leute zu sehen, bis auf einen Ausseer, dem ich sagte: „Wir sind da, obwohl wir keine Einheimischen sind.“ Da antwortete der: „Wieso, ihr seid doch eh schon halbe.“ Und mehr kann man hier auch in vier Generationen nicht erreichen.
Stört Sie als Sozialdemokrat die Bezeichnung Salzbaron?
Wir leben in einer Republik. Die Bezeichnung entstammt einer TV-Sendung. Aber historisch hatte nie ein Baron die Salzrechte.
Sie sind Miteigentümer bei AT&S. Der langjährige CEO ist gegangen, Ihr Neffe, schon bisher im Vorstand, führt interimistisch die Geschäfte. Wer folgt ihm?
Das entscheide nicht ich, sondern das Nominierungskomitee des Aufsichtsrates.
Die Umsatzprognose von AT&S wurde nach unten geschraubt.
Nach dem digitalen Boom in der Covid-Zeit hat, von Ausnahmen wie KI-Chips abgesehen, der Mikroelektronikmarkt der Welt eine Delle bekommen. Der Markt wird sich aber zunehmend wieder verbessern. Darauf muss sich AT&S kosteneffizient ausrichten.
Was bedeutet es – auch für AT&S, wenn China Taiwan angreift?
Taiwan ist ein Krisenpunkt, aber nicht der brennendste: Das ist das südchinesische Meer. Dort ist die Auseinandersetzung. Da geht es um die Freiheit der Meere, um Handelsströme und Lieferketten.
Findet der wahre Krieg also bereits zwischen China und den USA im südchinesischen Meer statt?
Der findet im technologischen Bereich statt.
Spielt Europa bei dieser Superpower-Auseinandersetzung eine Rolle?
Nein. Europa ist zerrissen und führungslos, weil die beiden Hauptmitglieder Frankreich und Deutschland selbst so große interne Schwierigkeiten haben.
Gibt’s einen Zeitpunkt, wo Sie sagen: Jetzt bin ich in Pension?
Ich weiß nicht, was das ist. Wer rastet, der rostet.
Ex-Finanzminister
Unter Bruno Kreisky war Hannes Androsch von 1970 bis 1981 Finanzminister. Danach wurde er Generaldirektor der Creditanstalt. Androsch ist an der 1997 privatisierten Salinen AG beteiligt und u. a. Miteigentümer des internationalen Leiterplatten-Konzerns AT&S. In Aussee betätigte er sich als Investor und baute ein spektakuläres Gesundheitshotel. Er engagierte sich für Uni-, Forschungs- und Schulbelange
500-Jahr-Jubiläum feiert heuer das Salzkammergut. Mit den offiziellen Kulturhauptstadt-Aktivitäten war der Wahl-Ausseer Androsch aber nicht zufrieden
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