Spitzenjurist warnt vor "Pfusch"

Spitzenjurist warnt vor "Pfusch"
Direkte Demokratie: Ex-VfGH-Chef Karl Korinek will Gesetz erst nach Wahl.

Das Volk soll mehr mitbestimmen dürfen. Wenn zehn Prozent aller Wahlberechtigten ein Volksbegehren unterstützen, soll es automatisch zu einer Volksbefragung kommen. Damit könnte die Politikverdrossenheit eingedämmt werden. Das ist die Grund-Idee hinter dem Demokratie-Paket. Doch so einfach, wie es klingt, ist es nicht. Zuletzt äußerte sogar der Bundespräsident Bedenken: Dass das Vorhaben noch vor der Nationalratswahl ohne Begutachtungsverfahren durchgepeitscht werden soll, missfällt Heinz Fischer.

Auch Ex-Verfassungsgerichtshof-Präsident Karl Korinek moniert: Die Demokratie-Reform müsse der bei wichtigen Gesetzen üblichen Begutachtung („fünf bis sechs Wochen“) durch Interessenvertreter, Justizexperten und Ländervertreter unterzogen werden – „alles andere ist ein Pfusch“. Er rät der Politik dazu, das Gesetz erst nach der Wahl zu beschließen – davor solle es nur eine Grundsatzeinigung geben. Es gehe immerhin um „die größte Verfassungsänderung seit dem EU-Beitritt. Ich habe große Angst, dass man wichtige Details übersieht – und auf solche kommt es hier an“, sagt der Spitzenjurist zum KURIER. Man müsse doch etwa dem VfGH, der von der Gesetzesänderung betroffen sein soll, „die Möglichkeit geben, Stellung zu nehmen“.

Spitzenjurist warnt vor "Pfusch"
Ähnlicher Meinung ist Ex-VfGH-Präsident Ludwig Adamovich (Bild). „Ich bin selbstverständlich auch dafür, dass das Ganze begutachtet wird“, sagt er zum KURIER.

Denn umstritten ist vor allem worüber das Volk abstimmen darf. Menschenrechte und völkerrechtliche Verträge sollen ausgenommen werden. Aber wo sind die Grenzen? Adamovich bringt ein Beispiel dafür, wie schwierig es ist, diese zu ziehen: In der Schweiz wurde über ein Minarett-Verbot abgestimmt. „Das ist eine Einschränkung der Religionsfreiheit, aber nicht deren Beseitigung.“ Ob das daher ein – auch im Demokratiepaket verbotener – Eingriff in die Grundrechte ist, wäre eine Streitfrage.

ÖVP-Finanzsprecher Günter Stummvoll möchte auch Expertenmeinungen einholen: „Das Demokratie-Paket hat viele Punkte, von denen ich sage, da kann ich un’gschaut dafür sein. Aber wenn namhafte Persönlichkeiten in dem Punkt der automatischen Volksbefragungen die Gefahr sehen, dass das Parlament ausgehebelt wird, würde ich auch gern die Ergebnisse eines Begutachtungsverfahrens kennen.“

Nicht nur Stummvoll mahnt zur Vorsicht. Aus den Klubs von SPÖ und ÖVP wird berichtet, dass einzelne Abgeordnete bereits androhen, im Plenum dagegen zu stimmen. Laufend finden Sitzungen und Verhandlungen statt. Die Crux: Die Parteispitzen (Spindelegger/ÖVP und Faymann/SPÖ) wollen das Projekt vor der Wahl umsetzen. Am Freitag ist ein Beschluss im Verfassungsausschuss geplant, kommende Woche sollte das Plenum seinen Sanktus dazu geben.

Irreparabler Schaden?

Viele Parlamentarier haben aber Angst vor einem irreparablem politischen Schaden: Anders als bei Wahlzuckerln, die man mit einfacher Parlamentsmehrheit wieder rückgängig machen kann (wie bei der Hacklerregelung), wäre beim Demokratie-Paket „die Kuh endgültig aus dem Stall“: Wenn der Schritt in das plebiszitäre System einmal gemacht ist, wird man kaum mehr eine Zweidrittelmehrheit finden, um ihn rückgängig zu machen, sollte er sich als Irrweg herausstellen.

Direkte Demokratie
Volksbegehren: Ab 100.000 Unterschriften muss das Thema im Parlament behandelt werden, bleibt meist ohne Konsequenzen. Künftig soll es ab rd. 600.000 Unterschriften eine Volksbefragung geben.
Volksbefragung: Das Volk bekommt eine Ja/Nein-Frage oder zwei Alternativen vorgelegt. Ergebnis rechtlich nicht bindend, politisch doch (z.B. Wehrpflicht-Befragung).
Volksabstimmung: Rechtlich bindend. Bisher wurde über das AKW Zwentendorf und über den EU-Beitritt abgestimmt.

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